Das Rezo-Phänomen oder: Wie deutsche Parteien eine wichtige Zielgruppe verlieren
Sie wurden kalt erwischt und fanden keine passende Antwort: Die im Rezo-Video angesprochenen Parteien können mit einer politisierten Jugend nicht viel anfangen – mit Social Media offenbar auch nicht.
Ein YouTuber lehrt Parteien das Fürchten – obwohl er in seinem 55 Minuten umfassenden Video ausschließlich Politik thematisiert. Dabei wird den jungen Generationen sowohl eine kurze Aufmerksamkeitsspanne als auch politisches Desinteresse nachgesagt. Fatale Fehleinschätzungen.
Rezo demonstriert die unterschätzte digitale Medienmacht
Hier die Fakten:
am 18. Mai von einem erfolgreichen Influencer online gestellt
mehr als 12 Millionen Aufrufe – Tendenz steigend
bestimmt Schlagzeilen in etablierten Medien
zeigt enorme Defizite der Parteienkommunikation auf
soll nun auch noch die Wahlergebnisse beeinflusst haben
Wenn das keine beeindruckende Bilanz ist! Es lässt sich trefflich streiten, ob Rezo nun von einer Marketingagentur gemanagt wird oder nicht – er ist letztendlich nur ein Synonym für eine politisierte Jugend, die ihrer Meinung Luft macht: auf der Straße und im Netz. Und für die Sprachlosigkeit ihrer Adressaten, nämlich der politischen Parteien, die bislang keine geeigneten Antworten gefunden haben. Im Gegenteil, mit laut gedachten restriktiven Regeln für den Wahlkampf wird noch kräftig Öl ins Feuer gegossen. Wann sollen denn die vielen strittigen Punkte thematisiert werden, wenn nicht in der Zeit vor einer Wahlentscheidung?
Die Chance zum Austausch, zum Formulieren von Argumenten und konstruktiven Diskurs mit der Jugend ist für die EU-Wahl vertan. Jetzt die Ursachen für die Ergebnisse auf ein YouTube-Video zu reduzieren, kann und darf nicht die Schlussfolgerung sein. Vielmehr sind gefragt:
neue Formen der demokratischen Teilhabe für alle Generationen
eine klare Kommunikation der politischen Ziele
eine ehrliche und kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Politik
Das Internet ist nicht „der Feind“, aber es vergisst nicht, fördert Transparenz und schafft Raum für Meinungsäußerungen – einige Parteien haben noch einiges in puncto Digitalisierung zu lernen.