Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Das Verschwinden der Nacht: Was wir gegen Lichtverschmutzung tun können

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Die Schattenseiten der Erhellung

Nie zuvor war die Welt so hell wie heute. Der US-Satellit Suomi liefert seit 2011 Daten zur Veränderung der Erdoberfläche – am auffälligsten ist der Verlust der Nacht, die in den letzten Jahren immer heller geworden ist. Wissenschaftler nennen das globale Phänomen Lichtverschmutzung (auch „Lichtmüll“, „Lichtsmog“): beleuchtete Fußgängerzonen, Straßen, Wege, Parks, Reklametafeln, Flutlichtanlagen in Fußballstadien, Skybeamer und angestrahlte Bergwelten sind heute eine Selbstverständlichkeit. Licht gehört zwar zu den schädlichen Umwelteinwirkungen, die das Bundes-Immissionsschutzgesetz erfasst, doch gibt es keine verbindlichen Grenzwerte.

Der exzessive Gebrauch von Transparenz (Klarheit) bedroht heute nicht nur unsere Vorstellung von Privatsphäre, sondern auch die Romantik des Verborgenen. „Wenn man jedoch bei Tageslicht auf eine durchsichtige Glaswand blickt, sieht man ein Spiegelbild seiner selbst. Wenn wir in einer Welt leben sollen, in der wir auch weiterhin Innovation fördern, dann brauchen wir die schmutzige Vitalität der Undurchsichtigkeit“ schreibt der Marketingexperte Tim Leberecht in seinem Buch „Business Romantiker“. Hier zeigt er, dass es vor allem Erlebnisse im Dunkeln sind, die unsere Sehnsüchte erhellen: „Die Dinge, die wir wegschließen, die Geschichten, die wir für uns behalten, die Schatten, die wir werfen, die leeren Stellen, die wir ausschneiden: Sie bringen uns dazu, mehr zu wollen.“ Und mehr zu sein durch Licht und Schatten, Wissen und Nicht-Wissen.

Licht bedeutet Wissen, das Dunkel hat etwas Bedrohliches. Die Lehre von der Dunkelheit des Nichtwissens antwortet auf die Un- und Überbegrifflichkeit des Höchsten. Die sich in Stufen vollziehende Gottesschau als geistige Substanz der Seele sei nur über einen gewissen Grad der Umnachtung der Sinne möglich, weil man von der uneinholbaren göttlichen Absolutheit nur eine allgemeine Ansicht haben könne, heißt es in frühen philosophischen Schriften. Unter den Renaissance-Theologen galt es geradezu als Gemeinplatz, dass die höchsten Mysterien in einem Zustand der Dunkelheit - in dem die Unterscheidungen der Logik verschwinden - erfasst werden müssten.

Der spätantike griechische Philosoph und Universalgelehrte Proklos schloss aus dem Spätwerk „Timaios“ des griechischen Philosophen Platon, dass die Mysterien ohne Augen gesehen und ohne Ohren gehört werden sollten. Um sich den Menschen zu offenbaren, müssen sie allerdings im Dunkeln sein, in der Finsternis. Der blendende Blick des Höchsten gilt in der menschlichen Sozietät sogar als tödlich: Gott „wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann“ (1. Tim. 6, 16).

Im 18. Jahrhundert verbanden sich Erkenntnis und Helligkeit: Aufklärung bezeichnet allgemein jegliche weltanschauliche Transformation von der Dunkelheit zum Licht oder vom Mythos zum Logos. Als transhistorischer Universalbegriff ist Aufklärung ein Synonym für Entmythisierung und bezeichnet als Übersetzung von lateinisch „serenitas“ das „Durchbrechen der Sonne bei bedecktem Himmel“ („heiteres Wetter“). Die heute damit assoziierte Bedeutung von „aufhellen“, „klarmachen“ und „aufdecken“ eines bestimmten Sachverhalts verbindet sich damit seit 1720.

Ein Klempner aus Montpellier entwickelte Ende des 18. Jahrhunderts nach Vorgaben des Physikers Aimé Argand einen hohlen Docht – die Flamme seiner Öllampe wurde so hell, dass nun auch abends gelesen werden konnte. Nachdem Thomas Alva Edison 1879 die Glühbirne erfand, wurde die allgemeine Beleuchtung kostengünstig und allen zugänglich. Die Licht emittierende Diode (LED), die 1906 von Henry Joseph Round beim Experimentieren mit Siliziumkarbid erfunden wurde, kam zunächst bei Taschenrechnern und Armbanduhren zum Einsatz. Dabei handelte es sich meistens um rote LEDs.

Mit der Entwicklung von weiteren Farben wurde der Anwendungsbereich (z.B. Autos, Anzeigentafeln und Handys) des neuen Leuchtmittels größer. Als in den 1990er-Jahren die Entwicklung der ersten blauen LED gelang, bedeutete das den Durchbruch. In Zukunft wird das vernetzte, intelligente Licht immer mehr an Bedeutung gewinnen: So werden Lichtpunkte nicht nur Licht geben, sondern können auch für Datentransporte genutzt werden. Doch bei aller Freude über diese technologischen Entwicklungen, sollten wir die Philosophen nicht ausblenden, denn: „Es gibt ein Menschenrecht auf Dunkel wie auf Stille.“ (Ludger Lütkehaus)

Auch Tiere (30 Prozent aller Wirbeltiere und 60 Prozent aller wirbellosen sind nachtaktiv) brauchen die Dunkelheit: Durch die künstliche Beleuchtung verwechseln viele von ihnen Nacht und Tag. Vögel beginnen, früher zu brüten, und Laubbäume werfen ihre Blätter vor der Zeit ab. Der Mensch spürt die Auswirkungen am eigenen Körper, denn die Helligkeit am Abend stört seinen Hormonhaushalt. Wer abends noch am PC sitzt oder lange fernsieht, nimmt das Wachbleibelicht auf. Dadurch sinkt die Einschlafbereitschaft. Die Hersteller von E-Book-Readern, Smarthonones und PCs bauen deshalb inzwischen Blaufilter in ihre Geräte ein, die sich abends aktivieren. Um der zunehmenden Ausbreitung künstlichen Lichts entgegenzusteuern, wurde 1988 in den USA die International Dark Sky Assosiation (IDA).

Die Vereinigung von Astronomen hat das Ziel, sich für eine geringere Lichtverschmutzung einzusetzen. In anderen Staaten gibt es zahlreiche Partnerorganisationen. Die IDA führt Forschungsarbeiten und Kampagnen im Bereich der Lichtverschmutzung durch – unter anderem die National Dark-Sky Week. Die IDA zertifiziert besonders dunkle Orte als Sternenparks. Etwa 100 gibt es derzeit weltweit, vier liegen in Deutschland: in der Rhön und auf der Winklmoosalm in Bayern sowie im Westhavelland und in der Eifel.

Weiterführende Informationen:

Matthias Drobinski: Feuer und Flamme. In: Süddeutsche Zeitung (23./24./25./26.12.2017), S. 2.

Alexander Stirn: Hellwach. In: Süddeutsche Zeitung (28.11.2017), S. 18.

Veronika Wulf: Es werde Nacht. In: Süddeutsche Zeitung (9./10.6.2018), S. 71.

Alexandra Hildebrandt: Lebwohl, du heiterer Schein! Blindheit im Kontext der Romantik (Epistemata - Würzburger wissenschaftliche Schriften. Reihe Literaturwissenschaft). Königshausen & Neumann 2012.

Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben von Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Wer schreibt hier?

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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