Dr. Alexandra Hildebrandt

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für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Der Garten als Wirtschafts- und Lebensprinzip

Dr. Alexandra Hildebrandt

Das Missverhältnis zwischen Geben und Nehmen ist vor allem ein Lebensprinzip: Leben existiert dort, wo das Geben das Nehmen überwiegt. In gleicher Weise gilt dies für die menschliche „Kultur“ - nicht umsonst hat das Wort seine Wurzeln im Erdboden: die „cultura animi (Pflege des Geistes) in Analogie zur cultura agri (Landwirtschaft) wurde schon von den antiken Philosophen beschrieben. Was für den Boden gilt – dass man ihm mehr geben muss, als man ihm nimmt -, das gilt auch für die menschliche Kultur als Ganze und für Wirtschaftssysteme, die „gute Gärtner“ brauchen. Große Sprünge und schnelles Wachstum machen für sie keinen Sinn, denn die Natur macht es auch nicht. Was für den Garten gilt, gilt aber auch für andere Lebensbereiche. Damit das Leben nachhaltig „gedeihen“ kann, muss inneres und äußeres Wachstum in Balance sein. Einer der besten Wege, um gesünder und zufriedener zu werden, ist für Bert Martin Ohnemüller Achtsamkeit. Im Interview erklärt der High Performance Business Coach unter anderem, warum Herz (durch Empathie) und Geist (durch Konzentration) miteinander verbunden sein müssen, um eine bessere Welt zu gestalten.

Interview mit Bert Martin Ohnemüller

„Erst war das Greifen - dann kam das Begreifen", sagt der US-Neurologe Frank Wilson. Für ihn ist die Hand das Werkzeug, das unseren Geist erst zu dem machte, was er ist. Der grüne Daumen erinnert daran. Ist er vor diesem Hintergrund nicht auch ein Zeichen für emphatische Fähigkeiten?

Ja, Empathie ist das Rückgrat der Menschlichkeit - ohne Empathie werden wir nicht überleben! Menschen brauchen immer andere Menschen, um ihr wahres Potential zu entfalten - jeder Mensch hat ein Gehirn, aber nur durch die Interaktion von verschiedenen Gehirnen entsteht so etwas wie ein Geist.

Pflege des Geistes und Landwirtschaft gehören zusammen. Was für den Boden gilt, lässt sich auch übertragen auf die Gesellschaft und die Kultur. Was bedeutet das im Kontext von Führung und Management?

Die Kultur ist für mich so etwas wie der Boden/die Erde in der Landwirtschaft: Es braucht guten Boden und vor allem richtige Pflege, damit die Pflanzen wachsen können und Früchte tragen. Kultur ist auch so etwas wie die Wurzeln - im unternehmerischen Kontext sprechen wir von Werten, vom Charakter. Feste Wurzeln geben Halt auch in turbulenten Zeiten (the roots make the fruits). Warum tun wir uns nur so verdammt schwer, die scheinbar einfachen und alten Prinzipien der Natur in die Business Welt zu tragen?

Die Dekade der Menschlichkeit fordert genau das: eine werteorientierte Business-Welt, in der wirtschaftliche Erfolge immer eine Folgeerscheinung sind. Die Garten- und Boden-Analogie liefert aus meiner Sicht ein schönes und allzu deutliches Bild: Schlechte Führung ist in den meisten Fällen kein Vorsatz, ich glaube vielmehr, dass die meisten Führungskräfte nie gelernt haben, was gute Führung bedeutet: Nur wer den Menschen und sich selbst versteht, kann und sollte führen dürfen. Wir müssen einen Führerschein erwerben, um ein Auto zu führen, aber auf Menschen lässt man uns ohne "dokumentierte" Qualifikation los.

Führung heißt immer Selbstführung: Nur wer beweisen kann, das er sich selbst führen kann, darf andere führen - die ehrlichen CEOs sagen mir: "Bert, wir haben das nie gelernt" Und vor dem Umgang mit "Emotionen" haben wir noch mehr Respekt. Leider gibt es immer noch zu viele Elefanten, die alles platt walzen und sich dann wundern, wenn nichts mehr wächst. Die Dekade der Menschlichkeit fordert deshalb neue Sichtweisen auf Führung und Unternehmenserfolg.

Je unübersichtlicher die Zeiten, desto größer ist das Bedürfnis, einen greifbaren Bezug zur unmittelbaren Umgebung herzustellen und in sich zu gehen. So ist es nicht verwunderlich, dass der Garten heute eine Renaissance erlebt. Er setzt der Zeit, die aus den Fugen geraten zu sein scheint, eine eigene Ordnung und Schönheit entgegen. Was können Unternehmen davon lernen?

Ein Garten braucht Fürsorge - allerdings sollte sich jeder Gärtner überlegen, welche Garten er haben möchte: einen Feng Shui Garten, einen Obst- und Gemüsegarten, einen "wilden" Garten - je nachdem ergeben sich daraus die entsprechenden und notwendigen Pflegemaßnahmen: Welche Pflanzen sollen Garten wachsen? Was brauchen sie, um zu gedeihen? Diese Bedürfnisse sind so unterschiedlich wie wir Menschen: Manche Pflanzen brauchen viel Wasser, andere wenig, manche brauchen viel Licht, andere wenig, manche brauchen viel Platz, andere wenig. Nur wenn ich um die Pflanzen in meinem Garten weiß, habe ich die Voraussetzung für ein gesundes und nachhaltiges Wachstum erfüllt.

Die Frage, die sich für einen Gärtner stellt, heißt aber auch: „Wie muss ein Eingreifen aussehen?" Werden für das schnelle Wachstum große Mengen an Dünger einsetzt, stellt er bald fest, dass sie dadurch anfälliger gegenüber Krankheiten und Insekten werden. Bekämpft er sie konsequent, werden möglicherweise so viele Pestizide versprüht, dass der Boden abgetötet wird … 

Dann gibt es zwar kein Ungeziefer mehr, aber es kann auch nichts mehr richtig wachsen. Ein Prinzip lässt sich nämlich nicht verleugnen - Pflanzen wollen wachsen - Menschen wollen (gesund) wachsen! Und die Pflanzen, denen wir keine Aufmerksamkeit und richtige Pflege schenken, werden eingehen. Das Ignorieren dieser Prinzipien ist für mich der beste Weg der Wertevernichtung.

„Gute Gärtner“ sind widerstandsfähig und handeln mit Augenmaß. Was verbindest Du mit dem Begriff?

Gute Gärtner wissen um ihren Garten und um ihre Pflanzen darin. Sie wissen auch, dass immer nur das geerntet werden kann, was vorher gesät wurde. Wir ernten immer nur, was wir säen, aber um zu ernten, brauchen wir viel Fürsorge und Geduld. Leider ziehen immer noch zu viele Führungskräfte an den Grashalmen, damit diese schneller wachsen. Aber das ist gegen die Natur. Wir sollten einfach Gutes säen und geduldig sein, damit wird Gutes ernten können. Die Natur macht keine Sprünge. Das Prinzip Garten lässt sich also hervorragend auf die Arbeitswelt übertragen. Das Belohnungsprinzip der Natur beim Gärtnern ist einzigartig: Wir geben, und sie gibt zurück.

Warum lässt sich von guten Gärtnern auch lernen, gelassen mit Misserfolg umzugehen?

Für mich gibt es keinen Misserfolg: Entweder wir gewinnen, oder wir lernen", lehrte mich einst Nelson Mandela. Das Wort Fehler/Misserfolg ist eindeutig negativ besetzt - es raubt Energie und zieht uns nach unten auf der Abwärstspirale negativer Emotionen. Ich glaube, es ist höchste Zeit für neues Denken, insbesondere in Bezug auf Misserfolg/Fehler. Letzteres sollte durch das Wort Lernen ersetzt werden. Und schon bekommt das Ganze eine neue Qualität: Wer schnell lernen will, darf keine Angst vor dem Misserfolg haben. Schnell scheitern heißt, schneller erfolgreich sein!

An dieser Stelle sei an Michael Pollan erinnert, der darauf verwies, dass, wenn die Karotten gedeihen, der Gärtner nichts lernt, es sei denn, dieser Erfolg wird vor dem Hintergrund einer vorausgegangenen Enttäuschung gewonnen. „Misserfolg“ war für ihn ein Auslöser, sich detaillierter mit der Materie zu beschäftigen. Er lernte, wie Wasser zu denken, eine Fähigkeit, die ihm später bei der Gartenarbeit gute Dienste leisten sollte…

Ja, die innere Einstellung ist entscheidend. Mein Mantra in schweren Zeiten lautet: "Ich finde einen Weg, auch wenn ich ihn (noch) nicht sehe. In der Ruhe liegt die Kraft. Wer Angst vorm Scheitern hat, wird nie alles geben. Angst lähmt und macht langsam. Wir brauchen Vertrauen in den Prozess und in uns selbst. Nur wer sich selbst vertraut, kann auch anderen vertrauen. Hier schwingt auch das Urvertrauen mit: Wie schon gesagt: Die beste Saat und die guten Rahmenbedingungen sind leider keine Garanten für eine reiche Ernte. Jeder gute und erfolgreiche Gärtner wird immer wieder gefordert mit Missernten und unerwarteten Ereignissen - der gelungene Umgang mit diesen Herausforderungen zeigt den wahren Charakter der Führungskraft. Jeder kann „performen“, wenn die Sonne scheint. Mut und Gelassenheit bedeuten nicht, angstfrei zu sein, sondern das man trotz der Angst ins Handeln kommt und immer bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen. Hier zeigt sich die wahre Führungsqualität - und ob man in der Lage ist, zum Vorbild für andere zu werden.

Wie erklärt Du den steigenden Umsatz der Bau- und Gartenmärkte sowie den auflagenstarken Medien wie „Landlust", „LandIdee", „Mein schönes Land" oder dem „Grow your own"?

Die Gartenmärkte sind seit vielen Jahren die Gewinner im Einzelhandel. Sie haben einfach verstanden, was Menschen/Kunden brauchen und mögen. Einige haben sich zu wahren Zentren der Inspiration und Innovation entwickelt. Mein Lieblingsbeispiel ist "Sunflower" in der Nähe von Frankfurt: Wer wissen möchte, wie Einzelhandel funktioniert, muss sich das unbedingt anschauen - sie bieten Erlebnisse für alle Sinne in einem perfekt abgestimmten Kontext, zudem wenden sie die Erfolgsformel für wirklich überragende POS-Arbeit in Perfektion an. Der Point of Sale (Raum) und der Point of People (die Menschen im Raum) machen einen Point of Success. Ich würde gerne anregen, dass wir im Gartencenter Leadership-Seminare veranstalten - die entsprechende Expertise für nachhaltiges Wachstum finden wir dort und in der Natur …

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Wer schreibt hier?

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Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

für Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".
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