Der schmale Pfad des Lebens: Warum wir Routinen brauchen
Gewohnheiten sind in tief in unserem Gedächtnis abgespeichert – in den Basalganglien, die für unsere Bewegungsabläufe relevant und ein wichtiger Teil unseres Handlungsgedächtnisses sind. Der Begriff „Routine“ ist eine Verkleinerungsform von Route, einem schmalen Pfad.
Beide entstehen durch Wiederholungen, die mit einem Sicherheitsgefühl einhergehen, das viele Menschen auch als Gegenmittel gegen Stress empfinden. Vor allem Putzen, Aufräumen und Ausmisten haben nachweislich positive Auswirkungen auf unsere Psyche – nicht nur, weil dann alles wieder ordentlich und sauber ist, sondern weil ein Ziel erreicht wurde.
Die Nachhaltigkeitsexpertin Claudia Silber, die hauptberuflich die Unternehmenskommunikation bei der memo AG leitet, genießt das Gefühl nach dem Putzen: „Selbstreinigung sozusagen. Beim Putzen lasse ich Gedanken kommen und gehen, denke über schwierige Entscheidungen nach und bringe auch innerlich alles in Ordnung. Danach ist dann oft alles glasklar – im wahrsten Sinne des Wortes.“
Beim Putzen geht es immer auch darum, selbst die Kontrolle über die eigenen Lebensbedingungen zu haben – und zu behalten. Auch der Gesundheitsaspekt ist nicht zu vernachlässigen: So verringert sich das Risiko, einmal im Leben kardiovaskulär zu erkranken, „bereits nach 30 Minuten wöchentlichem intensivem, durchgängigem Putzen um ein Fünftel. Schon 20 Minuten intensive Hausarbeit pro Woche verringern das Risiko für Stress und Ängste spürbar“, sagt Annegret Wolf, die am Institut für Psychologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg forscht und lehrt.
Im buddhistischen Lehr- und Weltbild ist sie ein wichtiger Aspekt, um eine Befreiung vom Leiden und eine Öffnung des Geistes zu erreichen, um im Hier und Jetzt zu leben. Wem Putzen sinnlos erscheint, dem empfiehlt Claudia Silber, einfach den Blickwinkel zu ändern und auch die Gegenwart zu genießen. Ordnung fühlt sich für sie erleichternd, geerdet und bodenständig an. Das hat für sie ebenso mit Minimalismus zu tun: „Wenn wir zu viele Dinge (und Menschen) ‚anhäufen‘, verlieren wir den Überblick, es wird unordentlich, und wir sind letztlich nicht glücklich. Dabei geht es dann auch wieder um das Thema Konzentration, die uns den Blick auf das Wesentliche richten lässt. Die Konzentration auf die wesentlichen Dinge (und Menschen) im Leben machen uns glücklich, und wir fühlen uns ‚sortiert‘, gut aufgehoben.“ Wenn sie von Selbstreinigung spricht, meint sie nicht nur die buchstäblich reine Innenwelt, sondern auch die äußere Umwelt. Deshalb verwendet sie ausschließlich ökologische Reinigungsmittel, die auf synthetische Konservierungsmittel, chlorchemische Zusätze und synthetische Duftstoffe verzichten. Wenn wir „routiniert“ und zugleich nachhaltig handeln, schüttet das limbische System körpereigene Endorphine aus, die signalisieren, dass es richtig ist, was wir gerade tun.
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„Putzen gibt uns ein Höchstmaß an Kontrolle“. Interview mit der Psychologin Annegret Wolf. In: Psychologie Heute 11 (2021), S. 69-71.
Alan Moore: Design. Warum das Schöne wichtig ist. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2018.