Deutschland muss aus dem Wohlstandsschlaf aufwachen
Raus aus dem Mittelmaß!
Wer auch immer den Kampf um den CDU-Parteivorsitz gewinnt, muss mit einer Agenda 2030 unser Land zukunftsfähig machen.
Deutschland im politischen Winter 2018: Rot und Grün wollen die Agenda 2010 von Gerhard Schröder rückabwickeln und für unsere Forschungsministerin - bislang auffällig unauffällig - ist das 5G-Netz „nicht an jeder Milchkanne notwendig“. Die SPD? Fast tot. Die Grünen? Im Aufwind, aber nicht so fortschrittlich, wie die lässige Art von Robert Habeck vermuten lässt. Die AfD? Ein Rückschritt in die Steinzeit von Klapphandys, Hundekrawatten und Intoleranz. Die Linke? Einmal DDR reicht.
Unser Land braucht - mehr denn je - eine Agenda 2030. Doch selbst mit Union und Liberalen ist derzeit nicht viel Staat zu machen. Christian Lindner hat einen innovativen Plan, doch seine FDP wurde seit dem Jamaika-Aus auf ihre Kern-Wählerschaft von nicht einmal zehn Prozent zurückgeworfen. Und CDU und CSU haben in den vergangenen Monaten alles dafür getan, Vertrauen zu verspielen. Erst die Soap mit Seehofer, dann wurde Kauder geopfert und zuletzt Merkel selber.
Wir brauchen einen Neustart. Die Wahl zum CDU-Parteivorsitz sollte der Impuls dafür sein. Denn der neue Parteichef oder die neue Chefin muss endlich das anpacken, was Angela Merkel ausgesessen hat und Digital-Staatsministerin Dorothee Bär niemals alleine schaffen kann. Doro ist zweifellos eine starke Markenbotschafterin für den digitalen Aufbruch. Doch wir sind bei der Digitalisierung nur auf Platz 17 unter den 35 größten Volkswirtschaften der Welt und unsere Startup-Branche ist winzig im Vergleich zu den USA und China. Nach SAP kam kein bedeutendes Technologie-Unternehmen mehr aus Deutschland.
Digitalisierung ist „Common Sense“ geworden. Alle finden „Digitales“ wichtig und richtig. Doch eine mutige Strategie gibt es trotz der geplanten Investitionen in „Künstliche Intelligenz“ immer noch nicht. Wir verhaken uns bei der Vergabe der 5G-Netze, liegen aber bereits beim Vergleich der alten Technik LTE im europäischen Vergleich noch nicht mal in den Top 30. Die Niederlande an der Spitze zeigen uns, wie es geht. Und wer die Milchkannen ernsthaft vom neuen 5G-Netz kappen will, hat keine Ahnung, dass Gründer an unserer Zukunft nicht immer mitten im hippen Berlin basteln, sondern manchmal auch in Bayern zwischen Kuhglocken.
Deshalb: Liebe neue CDU-Parteichefin, lieber Parteichef, damit wir keine Zeit verlieren, habe ich Dir die wichtigsten Punkte für ein Deutschland mit #StartupDNA aufgeschrieben. Denn jetzt heißt es: nicht lamentieren, diskutieren, aufschieben - sondern mutig handeln. Sonst werden alle wichtigen Innovationen weiterhin aus den USA und China kommen.
Ich wünsche mir ein Deutschland, das mit Pioniergeist Innovation als Chance begreift. Kein „irgendwie weiter so“, sondern eine mutige „Agenda 2030“:
Radikale Vereinfachung unseres Steuersystems: Unser Steuersystem ist mit mehr als 40 verschiedenen Steuern und noch mehr Abgaben weltweit führend - und ungerecht: Auf Trüffel werden 7 Prozent Mehrwertsteuer fällig, auf Babywindeln 19 Prozent. Wer versteht das? Friedrich Merz hat Recht, dass wir unsere Steuer auf einem Bierdeckel ausrechnen können müssen.
Konsequente Digitalisierung des Staatsapparates: Unsere Ämter und Politiker leben mit Akten, Zetteln und anderen Papieren. Wie soll man die Zukunft planen, wenn man in der Vergangenheit lebt?
DSGVO 2.0: Der hysterische und kontraproduktive Datenschutz (DSGVO) vertreibt Unternehmen aus Deutschland. Politiker beschützen unser Volk vor Cookies, die wir mühsam wegklicken müssen, während die USA und China Vollgas geben. Als Standard müssen Daten frei sein und jeder Service muss die Möglichkeit zum Löschen der eigenen Daten mit einem Klick erlauben (frank.io/DSGVO2.0/). Aktuell schadet die DSGVO kleinen und mittelständischen deutschen Unternehmen und stärkt die US-Riesen Facebook und Google weiter, da wir von ihren Diensten abhängig sind und gezwungen sind, ihnen unsere Daten zu überlassen.
Grundeinkommen statt Vollbeschäftigung: Viele Jobs werden Roboter und „Künstliche Intelligenz“ übernehmen. Sie werden vieles nicht nur günstiger, sondern sogar besser machen. Das betrifft Taxifahrer, aber auch Juristen und Radiologen. Helfen kann ein Grundeinkommen. Finanzieren können wir das unter anderem mit einer Pauschalsteuer auf alle Umsätze mit Robotern und Systemen „Künstlicher Intelligenz“. Die eigentliche Herausforderung ist, einen neuen Lebenssinn zu finden. Dies erfordert eine große, gesellschaftliche Debatte, mit der wir 2019 zwingend beginnen müssen. Es wird in Zukunft nicht mehr genug Arbeitsplätze für alle Menschen geben. Und es wird Zeit, dass wir dies akzeptieren und als fortschrittliches Land gemeinsam lernen, damit umzugehen.
Schulen, die neugierig machen: Für viele Lehrer gilt leider immer noch - Schiefertafel statt iPad. Frontalunterricht mit starrer Wissensabfrage, der schon mich früher aus der Schule getrieben hat. Schule muss interaktiv sein und das “Wozu” rüberbringen. Programmieren, Präsentieren und Wirtschaft anhand echter Projekte lernen, statt Schüler mit totem Latein zu demotivieren. Schule muss auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereiten und die Freude am Erschaffen wecken. Es gibt viele neue Möglichkeiten, die leider nicht genutzt werden.
Pioniergeist fördern: Wir brauchen mehr Pioniergeist und Macher. „Geht nicht!“ sollten wir aus unserem Sprachschatz streichen. Die Begeisterung, die ich im Silicon Valley spüre, fehlt mir in Deutschland. Menschen, die die Welt verändern wollen, sollten auch hierzulande unterstützt werden. Wir müssen aus den Fehlern lernen, die wir bei Search (Google), Social (Facebook) und E-Commerce (Amazon) gemacht haben, um die nächsten Technologie-Wellen nicht auch noch zu verpassen. Ein Shit-Storm, wenn jemand das Wort Flugtaxi ausspricht, erstickt Pioniergeist im Keim. Ebenso die sperrigen Regulierungen gegenüber innovativen Technologien wie Blockchain. Wenn wir nochmal einen Weltmarktführer aufbauen wollen, müssen Politik und Verwaltung progressiver handeln.
Fehlerkultur zulassen: Wer in Deutschland Fehler macht, gilt als Loser. Doch wer seine Komfortzone nicht verlässt, wird auch nichts Außergewöhnliches leisten. Ohne meine Niederlagen wäre ich niemals so erfolgreich geworden. Ich bin kein Fan von sogenannten Fuckup-Nights, bei denen Scheitern mit Champagner begossen wird, aber Fehltritte gehören zum Leben dazu und es muss möglich sein, sich davon gesellschaftlich wieder zu erholen.
10x DNA vs 1,5% Optimierung: Google, Apple, Tesla. Alles nicht von uns. Mit Blockchain, „Künstlicher Intelligenz“ und Quantum-Computing stehen neue Revolutionen vor uns. Die müssen wir jetzt nutzen und Weltmarktführer bauen. „Think 10x“ lautet der Leitspruch des Google-Vorstandschefs. Also, Deutschland: Denk‘ groß!
Startups fördern: Startups treiben Innovation an und sind bereit, Risiken einzugehen, um Großes zu schaffen. Wir sollten diesen Mut fördern, da hier das größte Potenzial für den nächsten Weltmarktführer liegt. Es muss einfacher sein, in Startups zu investieren. Wir brauchen mehr Wagniskapital in Deutschland. Sonst werden wir von den USA und China abgehängt.
Schneller Entscheidungen treffen: Unsere Welt befindet sich aktuell im Wandel und sie wird sich auch in den nächsten Jahren durch den Fortschritt der Technologie tiefgreifend verändern. Dieser Wandel erfordert eine agile Bundesregierung, die mit kürzeren Entscheidungswegen auf die Veränderungen reagieren kann. Wenn wir weiter an der Vergangenheit festhalten, werden wir in Zukunft auf globaler Ebene nicht mehr mitreden.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich liebe Deutschland! Ich hasse allerdings Mittelmaß. Wir nutzen unser Potenzial nicht, sondern ruhen uns auf vergangenen Erfolgen aus. Das macht mich wahnsinnig. Wer auch immer Angela Merkel nachfolgt, bitte habe den Mut, Deutschland aus dem Wohlstandsschlaf aufzuwecken!
Dieser Artikel erschien zuerst in der Welt am Sonntag am 2. Dezember 2018