© Anja Förster

Die Angst vor der zufallenden Tür

Du kennst das vielleicht: Eine wichtige Entscheidung steht an. Wochen vergehen damit, Pro- und Contra-Listen zu erstellen, die verschiedenen Optionen zu recherchieren und Meinungen einzuholen. Aber wer x Leute um Rat und Meinung fragt, hat am Ende x+1 Antworten. Was kein bisschen weiterhilft! Die eigene Bewertung, das eigene Bauchgefühl und die eigene Erfahrung sagen gar nichts mehr, die Stimme im Kopf, die Mut machte, ist verstummt.

Letztlich passiert dann … gar nichts. Weil es sich „sicherer“ anfühlt, nichts zu tun.

Früher war ich unentschlossen, heute bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Es gibt mehrere Ursachen dafür, die wir in unserem Buch Nein beschreiben – ich will mich hier auf eine konzentrieren: Die Annahme nämlich, dass die Entscheidung, die wir einmal getroffen haben, nie wieder umzukehren sei. Selbstverständlich kann diese Aussicht lähmen. Nur: Diese Prämisse ist fast immer falsch!

Wenn wir den Job kündigen und den Sprung in die Selbständigkeit wagen, wenn wir in eine neue Stadt ziehen oder ein Haus kaufen – und es dann nicht so läuft wie erhofft – dann glauben viele Menschen, dass das tiefgreifende Konsequenzen für ihr Leben haben würde. Aber die Sache ist die: Nicht alle Entscheidungen sind gleich.

Die wenigsten Entscheidungen im Leben sind irreversibel

Es gibt einen Unterschied zwischen irreversiblen Entscheidungen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind – z.B. die Entscheidung, ein Kind zu bekommen und großzuziehen – und reversiblen Entscheidungen, die also sehr wohl umkehrbar sind, wie beispielsweise ein Haus zu kaufen oder in eine neue Stadt zu ziehen oder den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen.

Die wenigsten Entscheidungen im Leben sind irreversibel. Klar, es hat immer seinen Preis, eine Entscheidung rückgängig zu machen – also sich nach erfolgloser Selbständigkeit wieder einen Job zu suchen, nach einem gescheiterten Umzug wieder an den alten Ort zurückzuziehen, sich nach einem mißglückten Zusammenleben wieder zu trennen, sich von einem nicht lukrativen Markt wieder zurückzuziehen und so weiter. Aber dieser Preis des Ausprobierens ist bezahlbar. Ja, er kann sogar von vornherein einkalkuliert werden.

Ein freier Mensch kann sich immer wieder neu entscheiden. Es geht lediglich darum, welchen Preis er bereit ist, für diese Wahl zu zahlen.

Jeff Bezos und Richard Branson, die beide als erfolgreiche Unternehmer in ihrem Alltag am laufenden Band Entscheidungen treffen, greifen deshalb auf eine Differenzierung zurück, die klug ist: Sie unterscheiden zwischen

  • zweiseitigen Türen, die auf beiden Seiten Klinken haben und

  • zufallenden Türen, die auf der anderen Seite nur einen Knauf, aber keine Klinke haben

Wobei Branson dieses Konzept von Bezos übernommen hat, wie er selbst sagt.

Türen mit zwei Klinken

Bezos und Branson sind sich auch dessen bewusst, dass es einige wenige Entscheidungen gibt, die tatsächlich irreversibel oder fast irreversibel sind – also zufallende Türen, durch die man nicht wieder zurückgehen kann. In diesem Fall sollten die Entscheidungen methodisch und mit großer Sorgfalt getroffen werden. Denn wenn man am Ende nicht mag, was man auf der anderen Seite vorfindet, ist der Geist aus der Flasche entwichen und kann nicht mehr wieder hineingedrückt werden.

Aber die meisten Entscheidungen sind nicht so! Sie sind umkehrbar – sie sind Türen mit zwei Klinken. Stellt sich die Entscheidung als Sackgasse, als Irrweg, als gescheiterter Versuch heraus, kann man auf dem gleichen Weg wieder zurückgehen.

Solche Entscheidungen sollten ebenfalls gut überlegt werden, insbesondere mit kalkuliertem Einsatz. Sie sollten aber dennoch ohne Zögern, schnell und mutig getroffen werden – entweder von mir selbst – oder aber ich hole mir eine kleine Gruppe von Leuten zusammen, die über ein hohes Urteilsvermögen verfügen.

Diesem Ansatz folgte Richard Branson, als er 1984 seine Fluggesellschaft Virgin Atlantic gründete. Er wollte definitiv nicht so enden wie die zahlreichen Beispiele gescheiterter Fluggesellschaften – das war ihm von Anfang an klar. Also schloss Branson einen Vertrag mit Boeing, der es ihm ermöglichte, das erste Flugzeug, das er gekauft hatte, wieder zurückzugeben, wenn seine neue Fluggesellschaft nicht ins Laufen kommen würde. Um bei unserem Türen-Bild zu bleiben: Branson verwandelte eine Tür, die aussah wie eine zufallende Tür, in eine Tür mit zwei Klinken. Durch die Rücktrittsklausel, die er in den Vertrag einbrachte, schraubte er der Tür eine zweite Klinke an, so dass er aus seinem Abenteuer sofort wieder aussteigen konnte, wenn ihm das Ergebnis nicht gefiel.

Schraub die Klinke einfach dran

Wenn du also das nächste Mal eine Entscheidung triffst, frage dich: Ist das eine zufallende Tür? Oder eine Tür mit zwei Klinken? Wenn es sich um eine Tür mit zwei Klinken handelt, entscheide dich und bewege dich schnell. Hier ist langes Zweifeln sinnlos! Probier es einfach aus!

Wenn es sich aber um eine zufallende Tür handelt, frage dich erst einmal, ob deine Interpretation überhaupt richtig ist.

Viele Entscheidungen, die zunächst unumkehrbar erscheinen, sind eigentlich Türen mit zwei Klinken, die nur wie zufallende Türen aussehen. Wenn du genau hinschaust, findest du vielleicht eine Türklinke, die sich auf der anderen Seite der Tür verbirgt. Oder du schraubst einfach eine Klinke dran!

Anja Förster schreibt über Wirtschaft & Management, Perspektiv-Wechsel, Innovation, Führung

Meine Mission ist es, Denkmauern einzureißen und den Horizont zu öffnen für eine neue Art zu leben und zu arbeiten. Meine Bücher sind Spiegel-, ManagerMagazin- und Handelsblatt-Bestseller und in über 10 Sprachen übersetzt worden.

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