Die DNA der Natur nutzen: Warum die Textilbranche zunehmend auf nachhaltige Materialien setzt
Die Modebranche gilt weltweit als einer der größten Umweltverschmutzer. Je nach Produktgruppe entstehen unterschiedliche ökologische Belastungen auf den vorgelagerten Wertschöpfungsstufen: In der Textilindustrie sind es beispielsweise vor allem chemische Hilfsmittel und Schwermetalle in den Veredelungsprozessen sowie der Wasserverbrauch und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Baumwollanbau. In einem einzigen Kilogramm Baumwolle stecken durchschnittlich 11.000 Liter Wasser. Dank neuer Technologien können heute nachhaltige Alternativen hergestellt werden, die nicht nur umweltschonend, sondern auch tragbar sind. Erfunden werden sie nicht von großen Konzernen, sondern vor allem von Startups. Besonders erfolgreich sind das italienische Start-up Orange Fiber, das aus Orangenschalen, ein seidiges Zellulose-Garn herstellt. Der Modedesigner Salvatore Ferragamo gehörte zu den ersten Käufern – er wob daraus unter anderem eine bedruckte Strickjacke.
Immer mehr Konsumenten entscheiden sich für vegane Kleidung. Sie greifen auf Lederalternativen, Wolle, Seide, Pelz und Accessoires aus Perlmutt oder Horn, Kunstpelz und andere tierfreie Stoffe und Materialien zurück. Diesen Trend haben Designerinnen wie Stella McCartney oder Vivienne Westwood bereits vor Jahren erkannt. 2013 stellte die Tierrechtsorganisation PETA das Label „PETA-Approved Vegan“ vor, mit dem Unternehmen seither Kleidung und Accessoires als tierleidfrei kenntlich machen können.
Ananas-Leder ist vegan, biologisch abbaubar und in der Herstellung günstiger als das tierische Pendant. Derzeit werden hauptsächlich Schuhe und Taschen aus Piñatex hergestellt. Das Unternehmen Vegea fertigt aus Abfällen der Weinindustrie Kunstleder. Sie entzieht den Häuten, Stielen und Kernen, die nach dem Pressen der Weintrauben übrigbleiben, Öle und Zellulose. Daraus wird ein ein Biopolymer gemacht. Der Designer Tiziano Guardini verarbeitete es unter anderem zu einer Handtasche. MycoWorks aus San Francisco stellt künstliches Wildleder aus Pilzen her. Pilz-Leder wird aus Myzel, dem unterirdisch wachsenden Wurzelgeflecht von Pilzen, hergestellt. Durch Zugabe von Abfallprodukten wie Maisschalen oder Sägespänen kann so ein lederartiges Material produziert werden. Das vegane Leder lässt sich bedrucken und mit verschiedenen Farben und Mustern versehen. Pilz-Leder ist reißfest, wasserabweisend und umweltfreundlich. Die H&M-Stiftung schrieb einen Preis für neue Materialien aus, um die Entwicklung nachhaltigerer Textilien zu fördern. 2018 wurden Erfinder ausgezeichnet, die mit Ernteabfällen, Algen oder Pilzwurzeln Materialien herstellen.
Auch das Unternehmen Modern Meadows, das auch mit dem Chemiekonzern Evonik kooperiert, züchtet Leder ohne Tiere. In der Anfangsphase ist das Material flüssig. Es kann sogar auf einen anderen Stoff aufgesprüht werden (kein Kleben oder Nähen). Das Material erinnert zwar an Leder, soll sich aber nicht wie Tierhaut anfühlen.
Econyl® ist eine zu 100 Prozent regenerierte Nylonfaser, bestehend aus Nylon-Abfällen aus den Weltmeeren, wo rund 10 Prozent des weltweiten Plastikmülls verlorengegangene Fischernetze sind. Diese aus Kunststoff bestehenden Netze wurden eingesammelt und anschließend zur ECONYL-Faser weiterverarbeitet. Das Material wurde bei H&M in einer exklusiven Kollektion verarbeitet.
Zu den Zellulosefasern zählt Lyocell (auch als Tencel bekannt), ein Stoff, der aus Eukalyptus- oder Buchenholz hergestellt wird. Eukalyptusbäume wachsen schnell, weshalb der Ertrag höher ist als bei Baumwolle. Die Faser ist außergewöhnlich glatt, seidig, wärmt und ist sehr langlebig. Die Cellulose-Regeneratfaser ist biologisch abbaubar und damit eine gute Alternative. Das haben auch die großen Modehäuser wie H&M (Conscious) erkannt und nutzen den Stoff für viele ihrer Produkte.
Gemeinsam mit dem italienischen Produzenten Pontetorto hat VAUDE als erster Outdoor-Ausrüster ein Fleece-Material entwickelt, bei dem TENCEL® auf der Innenseite verwendet wird. Die TENCEL® Faser wird zu 100 % aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz hergestellt und weist hervorragende Funktionseigenschaften auf. Mikropartikel, die beim Waschen in den globalen Wasserkreislauf gelangen, können sich im Meerwasser vollständig biologisch abbauen. Zum Einsatz brachte VAUDE dieses neu entwickelte Material erstmals in der Nachhaltigkeitskollektion „Green Shape Core Collection“, die aus 19 nachhaltigen Produkten (Bekleidung, Schuhe, Rucksäcke) besteht. Rund 90 % der vielfältigen textilen Materialien, die zur Herstellung verwendet werden, sind biobasiert, recycelt oder reine Naturmaterialien. Dabei kommen auch unkonventionelle Rohstoffe wie Kuhmilch, Holz oder Rizinusöl zum Einsatz. Den Nerv der Zeit treffen auch Öko-Knöpfe, die aus biologisch abbaubarem Material bestehen und unterschiedliche Oberflächen haben, z.B. Steinnuss-, Perlmutt- oder Lederoptik (Quelle: memolife).
Da natürliche Ressourcen immer knapper werden, wird zunehmend auch auf synthetische Stoffe gesetzt: So fertigt die kalifornische Firma Bolt Threads Kleidungsstücke, die aus synthetische Spinnenseide und aus Wolle von amerikanischen Rambouillet-Schafen bestehen. 2016 hat Adidas Schuhe aus Amsilks Alternativ-Seide in New York vorgestellt. Das Unternehmen bringt die Informationen aus dem Genmaterial von Spinnennetzen in Hefezellen ein, die dann das Spinnenseiden-Eiweiß wachsen lassen. Spinnenseide ist weich, flexibel und enorm reißfest. Bolt Threads arbeitet mit der Outdoor-Marke Patagonia zusammen und seit Mitte 2017 auch mit Stella McCartney.
Aber auch Kleidung und Accessoires aus dem recyclebaren Material Kork werden heute zunehmend gefertigt und gern getragen. Kork hat einen natürlichen Ursprung. Bei der Herstellung ist keine Abholzung nötig. Auch Chemie ist bei der Produktion kaum notwendig. Zu den positiven Eigenschaften gehören die wasserabweisende Oberfläche, antibakterielle Aspekte und die Langlebigkeit der besonderen Baumrinde.
Als Nebenprodukt der Tofu-Produktion entstehen Sojafasern, die zu Seide verarbeitet werden können. In den Eigenschaften unterscheidet sich dieses Material nicht von herkömmlicher Seide – sie ist weich, kühlend, widerstandfähig und luftig sowie biologisch abbaubar. Bei der neuen Faser aus Milch wird bei der Herstellung auf chemische Zusätze verzichtet.
Hanffasern werden aus den Stängeln der Pflanze gewonnen und daraus langlebige Stoffe hergestellt. Die Kulturpflanze wächst schnell, kommt ohne Pestizide aus und benötigt wenig Wasser. Stoffe aus Hanf und Leinen fühlen sich kühlend auf der Haut an. Besonders für Allergiker ist das atmungsaktive Material geeignet, weil keine Chemikalien verwendet werden. Die Leinenfaser wird aus den Stängeln der Flachspflanze gewonnen. Ähnlich wie Hanf benötigt Flachs weniger Wasser als Baumwolle und ist in Europa heimisch.
Das Internationale Naturtextil-Logo GOTS gilt für die Verarbeitung von Textilien aus biologisch erzeugten Naturfasern und definiert umwelttechnische Anforderungen entlang der gesamten textilen Produktionskette. Zusätzlich umfasst er Sozialkriterien. Nur Textilprodukte, die aus mindestens 70 Prozent biologisch erzeugten Naturfasern bestehen, können gemäß GOTS zertifiziert werden. Es eignet sich allerdings nur für wenige Funktionstextilien, da es im Gewebe keine Kunststofffasern zulässt, auch nicht aus Recycling-PET. Viele Materialien, die in konventionellen Produkten die Nässe abhalten oder Schweißgeruch verhindern, sind bei GOTS und auch bei dem noch strengeren Label IVN Best des Internationalen Verbandes der Naturtextilwirtschaft nicht erlaubt. Bei Funktionswäsche aus Merinowolle gewährleisten beide Logos, dass die Wolle aus Öko-Tierhaltung stammt und nicht mit Chlor gebleicht wurde.
Weiterführende Informationen:
Claudia Silber und Alexandra Hildebrandt: Gut in Mode: Wissenswertes über nachhaltige Bekleidung und Textilien. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Kathrin Werner: Weintrauben, die zu Leder werden. In: Süddeutsche Zeitung (5.4.2018), S. 20.