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Die Erde leidet unter Homo sapiens

„Ich komme von Sinnen, wenn die Wunder nicht bald aufhören“, schrieb der Forschungsreisende Alexander von Humboldt 1799 während seiner Südamerika-Expedition. Um die Schönheit Natur zu sehen, muss niemand weit reisen, denn Wunder begegnen auch vor der eigenen Haustür: Wildbienen, Schmetterlinge oder Goldwespen. „Wen der Zauber erst einmal in seinen Bann gezogen hat, braucht für den Umweltschutz nicht mehr gewonnen zu werden“, schreibt der Biologe und Wissenschaftsjournalist Kurt de Swaaf in seinem aktuellen Buch „Der Zustand der Welt“. Die Hinwendung zur Natur heißt für ihn nicht „zurück auf die Bäume“ – vielmehr versteht er sie als eine Rückbesinnung auf unsere „eigentliche Identität als fühlende Geschöpfe“. Ihn beschäftigt die Frage, wie sich die Zukunft entwickeln wird, wenn wir weiter mit unserer Umwelt umgehen wie bisher.

Der bisherige Kurs muss korrigiert werden – dafür ist es seiner Meinung nach nötig, dass die Wissenschaft die Koordinaten liefert, und die Liebe zum Leben die Motivation. Auch sensible Themen wie Mais, über die sonst kaum in den Medien berichtet wird, werden in seinem Buch berücksichtigt. Bereits vor einigen Jahren hat Caitlin Shetterly ihre Erkenntnisse über gentechnisch veränderte Nahrungsmittel hat in ihrem Buch „Genbombe“ dargestellt. Darin beschreibt sie, dass wir nicht nur dauerhaft das Klima verändert haben, sondern auch blind auf die Monokultur einiger weniger Nutzpflanzen, vor allem Mais, Soja und Baumwolle verlegt haben, „in der unersättlichen Gier, immer und immer mehr zu produzieren, dass wir dafür die wertvolle ökologische Vielfalt verlieren, die unser Planet braucht.“ Wie Kurt de Swaaf zeigt sie, dass die Verantwortung auch bei uns selbst liegt, und was sie und ihre Familie selbst verändert haben:

  • Ein Großteil der eigenen Einkünfte wird in die gesunde Ernährung gesteckt – dafür wird an Ski-Wochenenden, Unterhaltungselektronik und schönen Outdoorwesten gespart.

  • Das Essen wird selbst zubereitet und die Zutaten auf dem örtlichen Bauernmarkt gekauft, z.B. saisonale Gemüsesorten.

  • Es wird auf verborgenen Mais in Vitaminpräparaten geachtet.

  • Fisch aus Aquakultur wird nicht mehr gekauft, weil er häufig mit gentechnisch verändertem Soja und Mai gefüttert wird.

  • Selbstgemachte Marmeladen, Gurken und Saucen werden an den Feiertagen im Familien- und Freundeskreis verschenkt.

  • Unterwegs werden Wasserflaschen und Kaffeetassen aus Edelstahl Sinn genutzt, um Pappbecher zu vermeiden, die mit einer Maisbeschichtung versehen sind.

Hippokrates‘ Worte „Eure Lebensmittel sollen eure Heilmittel sein“ versteht die Familie als Lebensdevise und hält sich daran fest wie an einem Rettungsanker.

Um sich für den Erhalt der Natur einzusetzen, rief die UNO im Jahr 2011 die Dekade der biologischen Vielfalt aus und veranlasste eine internationale, wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Artenvielfalt und Ökosysteme. Kurt de Swaaf zieht nun - basierend auf dem Bericht des Weltbiodiversitätsrats der UNO - Bilanz: Was wurde durch internationale Übereinkommen erreicht? Was wurde nicht umgesetzt? Was ist unwiederbringlich verloren? Und was können wir noch retten? Im großen Biodiversitätsbericht des IPBES, einer Teilorganisation der Vereinten Nationen, berichten 500 Wissenschaftler auf Basis von weltweiten Studien über den Status quo der Ökosysteme, ihrer Lebewesen und der Umweltbedingungen. Der Biologe und Wissenschaftsjournalist hat sich dieses umfassenden Berichts angenommen und in seinem Buch aufbereitet und mögliche Wege in einer nachhaltigen Zukunft analysiert. Aus global-ökologischer Sicht ergeben sich sechs zentrale Herausforderungen des IPBES:

1. Die Menschheit muss ernährt werden, ohne die landbasierten Naturressourcen zu zerstören.

2. Die Klimaziele müssen ohne massive Veränderungen in der Landnutzung und Verluste an Biodiversität erreicht werden.

3. An Land müssen Naturschutz und Renaturierung positiv zum menschlichen Wohlbefinden beitragen.

4. Süßwasserressourcen müssen für Natur und Mensch erhalten bleiben.

5. Die Nahrungsmittelgewinnung aus dem Meer muss mit dem Schutz der Biodiversität in Einklang gebracht werden.

6. Wachsende Städte sind bei gleichzeitigem Erhalt der sie stützenden Ökosysteme und Artenvielfalt zu versorgen.

Im chinesischen Kunming unterzeichnete die internationale Staatengemeinschaft im Oktober 2021 eine entsprechende Erklärung, um entschlossener gegen das Artensterben vorzugehen. Bereits 2010 hatte sie sich im japanischen Aichi als Ziel gesetzt, den Schwund der Artenvielfalt bis 2020 zu stoppen. Die Vorgaben wurden allerdings verfehlt. Das neue Abkommen mit konkreten Schritten und Zielen zum Schutz der biologischen Vielfalt soll bei einem Präsenztreffen vom 25. April bis 8. Mai 2022 beschlossen werden - beim zweiten Teil der COP 15 in Kunming. Nach der "Erklärung von Kunming" sollen sich die Vertragsstaaten dazu verpflichten, bis 2050 "im Einklang mit der Natur zu leben" (leider ist dies nicht "rechtlich bindend"). Dafür werden 21 "Ziele für dringende Maßnahmen" formuliert: So sollen 30 Prozent der Fläche an Land und im Meer bis zum Jahr 2030 unter Schutz gestellt werden und die Ausgaben für den Artenschutz innerhalb eines Jahrzehnts auf umgerechnet 173 Milliarden Euro jährlich steigen. Es wurden allerdings keine konkreten Maßnahmen festgelegt, um bestimmte Ziele zu erreichen. Vorgesehen ist, schädliche Subventionen (z. B. in der Landwirtschaft) auslaufen zu lassen oder in andere Bereiche umzuleiten. Beim Artenschutz könnten indigene Völker mitwirken und in die Entscheidungen eingebunden werden. Es ist kein Zufall, dass das Buch zeitgleich zur Weltnaturschutzkonferenz COP 15 erschien, denn die gemeinsame Botschaft betrifft uns alle: „Das Anthropozän hat begonnen – unumkehrbar und unaufhaltsam. Was daraus wird, liegt in unseren Händen.“

UN-Biodiversitätskonferenz: Warum die neue Strategie auch für Unternehmen wichtig ist

Ideen für mehr Artenvielfalt auf Unternehmensflächen

Der Rahmen unserer Gesellschaft: Stabile Ökosysteme

Kurt De Swaaf: Der Zustand der Welt. Warum wir die Erde noch retten können und was wir dafür tun müssen. Terra Mater Books, Salzburg – München 2021.

Caitlin Shetterly: Genbombe. Wie sich genmanipulierte Lebensmittel unbemerkt in unser Essen schleichen. Wilhelm Heyne Verlag, München 2017.

Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Springer Gabler Verlag, Berlin, Heidelberg 2020.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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