Die Krise der Welt: Warum Anstand und Bildung auf der Verliererseite sind
Primitive Kräfte mit einem Schuss krimineller Energie und intellektueller Begrenzung gewinnen häufig die Oberhand.
Aber wo sind die Intellektuellen, die imstande wären, komplizierte Sachverhalte zu vereinfachen und zu erklären, die sich mit dem Jargon der Narzissten und Populisten beschäftigen und sich in der Öffentlichkeit bemerkbar machen? Die Krise der Welt ist auch eine Krise der Intellektuellen, die sich häufig nur um sich selbst drehen. Sie schotten sich ab und arbeiten mit einem Vokabular, das nur sie selbst verstehen (und sich darin gefallen). Wenn heute keine Übersetzungsarbeit geleistet wird und sich die Intellektuellen hinter ihren Wortkonstruktionen verschanzen, wird es nicht mehr lange dauern, bis ihnen andere ihre simplen Überzeugungen aufdrücken.
Viele Begriffe, die heute Konjunktur haben, erinnern an Entenhausen.
Dagobert Duck ist in Entenhausen Inhaber einer vollautomatischen Eindosungs- und Verpackungsanlage. Sein darwinistisches Motto lautet: „Das Leben ist Kampf.“ Das Fließband transportiert die Spinatkonserven bis zu den Frachtern. Mittelständische Betriebe sind in riskante Investitionen verwickelt. „Ohne Risiko kein Reichtum“ ist hier eine Redensart der Stadtbewohner. Denn ohne Risiko kein Reichtum, lautet eine Entenhausener Redensart. Schon der Blick aufs Meer lässt die Bewohner glauben, dass sich Unwägbarkeiten berechnen lassen, auch haben sie sich daran gewöhnt, dass Untergänge abgeschrieben werden können. Machbarkeit ist ein Schlüsselbegriff in Entenhausen.
Die neuen selbsternannten Macher rechtfertigen ihr Tun damit, dass sie schaffen, Kosten senken und Gewinne für Aktionäre erzielen wollen.
Begriffe wie Erwerbungen, Zinsen, Anteile und Profite prägten ihr Denken. Sie behaupten sich „brutalstmöglich“. Amerikanische Forscher bemerkten bereits 2014, dass in Chefetagen der Anteil psychisch kranker Menschen sechsmal höher ist als im Bevölkerungsdurchschnitt. Das Problem mit diesen Menschen ist, dass sie regelmäßig das Risiko ihrer unüberlegten und oft spontanen Handlungen falsch einschätzen und deshalb das Unternehmen, das sie führen, an die Wand fahren, weil sie sich als „Narzissten“ selbst überschätzen.
Der Begriff geht auf einen Mythos zurück, von dem es mehrere Versionen gibt. Hier eine positive Abwandlung davon: Der Jüngling Narzissus verliebt sich in sein Spiegelbild, das ihm aus einer Quelle entgegenblickt. Verzweifelt versucht er, sich mit diesem Bild zu vereinen, stürzt dabei ins Wasser und ertrinkt. An jener Stelle lassen die Götter eine Blume wachsen: die Narzisse, die für Friede, Neubeginn und Leben steht.
Die mächtigsten Narzissten 21.0 blühen leider nicht auf, denn sie sind ruhmsüchtig, egozentrisch, verblendet, gierig, ignorant und brauchen stets ein Feld, auf dem sie sich hervortun können. Sie schnüren Konflikte und provozieren andere. Sie kommen nicht nach oben, weil sie intelligenter, kompetenter oder sozialer als andere, sondern weil sie gemeiner, aggressiver und schamloser sind.
Warum die Sache schiefgeht
In ihrem Buch „Warum die Sache schiefgeht“ verweist Karen Duve auf die Ursache in ihrem Gehirn: „Es handelt sich um einen Defekt im paralymbischen System, das für Impulskontrolle sorgt und moralische Entscheidungen trifft. Dort werden unsere Erfahrungen an Gefühle gekoppelt. Bei Psychopathen ist dieser Hirnbereich weniger aktiv und strukturell schwächer.“ Deshalb sind sie nicht fähig, Reue, Scham oder Mitgefühl zu empfinden (ein Fehler an der Amygdala). Aufgrund der fehlenden Empathie können sie ihre Ziele gnadenlos verfolgen.
Menschen werden von ihnen danach „gescannt“, inwiefern sie als Selbstobjekt verwendbar sind oder verwendbar gemacht (manipuliert) werden können. Der Wert des anderen ergibt sich nicht aus dessen Sein an sich, sondern aus dessen Nutzen für die „narzisstische Regulation“. Aus allem möchten sie einen Vorteil ziehen. Ihr Leben ist ganz von außen gesteuert, weshalb es sich niemals selbst begegnen kann. Alles, was sie tun, folgt einem inneren Stressprogramm, was auch ihre Sprunghaftigkeit und Unruhe erklärt.
Rücksichtslose Ichlinge sind überempfindlich, schnell beleidigt, und verzeihen nie, sie entwerten andere und betrachten ihre Mitmenschen als Manipulationsmasse, um ihre Ziele zu erreichen. Ein Mensch, der mit sich im Reinen ist, handelt in nachhaltiger Weise auf der Basis stabiler Selbstsicherheit, die auch das Grundgerüst einer demokratischen Gesellschaft bildet. Doch wo es nur noch um die Kompensation seelischer Defizite geht, gedeiht die narzisstische Gesellschaft, aus der nichts Gutes hervorgehen kann.
Weiterführende Literatur:
Karen Duve: Warum die Sache schiefgeht. Wie Egoisten, Hohlköpfe und Psychopathen uns um die Zukunft bringen. Verlag Galiani, Berlin, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014.
Reinhard Haller: Die Narzissmusfalle: Anleitung zur Menschen- und Selbstkenntnis. Ecowin Verlag, Salzburg 2013.
Alexandra Hildebrandt: Manieren 21.0: Warum gutes Benehmen heute wieder salonfähig ist. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Hans-Joachim Maaz: Die narzisstische Gesellschaft: Ein Psychogramm. C. H. Beck, München 2013.
Tillmann Prüfer: Psychopathen ganz oben. In: Handelsblatt (9. Juni 2014) S. 35.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.