Silke Koppitz

Silke Koppitz

für Jobsuche, Berufliche (Neu-) Orientierung, Job & Karriere, Kommunikation

Die Macht der Kleidung: Dein versteckter Kompass fürs Vorstellungsgespräch

©GettyImages

Vor ein paar Jahren wäre ein Artikel über „Kleidung im Vorstellungsgespräch“ ziemlich kurz ausgefallen: „Mit einem weißen Hemd/Bluse und dunkelblauem Anzug kannst du nichts falsch machen. Hier sind ein paar Links, viel Spaß beim Shoppen und viel Erfolg.“

Als mein Mann vor 20 Jahren auf die ersten Vorstellungsgespräche für Traineestellen ging, hat er sich im Sale einen Anzug gekauft und den viel zu großen Wollmantel seines Vaters geliehen. Wenn ich mich daran erinnere, denke ich oft an das Bild von den drei Kids, die sich unter einem Trenchcoat stapeln und „Erwachsener“ spielen. Auch ich bin damals mit meiner Mutter losgezogen und habe mir ein Etuikleid mit passendem Blazer gekauft. Das hat sich nicht viel „verkleideter“ angefühlt als das Saloon-Kostüm, das ich während meines ersten Jobs im Disneyland getragen habe.

Ganz so einfach ist die Kleiderwahl heute (zum Glück!) nicht mehr. 😉

👑 Kleidung ist Statussymbol

Der König trägt eine Krone, die Ärztin einen weißen Kittel und die Bankerin einen Anzug. Mein Vater trug Hemd und Krawatte mit silberfarbener Nadel, mein Mann trägt heute meist Hoodie und T-Shirt. Auch ich berate heute häufiger in T-Shirt als in Bluse, das hängt jedoch von meiner Stimmung ab.

Heute sprechen wir nicht nur von Unternehmensmarken, sondern auch von persönlichen Marken. Deine Personal Brand ist das, was Menschen mit dir verbinden. Für einige Personen zählt hierzu auch bestimmte Kleidung, die sie einsetzen, um ihre Marke zu schärfen. Karl Lagerfeld z.B. hatte seine Signature-Frisur und Sonnenbrille. Die Brille schuf sofort einen gewissen Abstand und signalisierte, dass es Menschen in seiner Branche gab, die er als unter seinem Niveau betrachtete. Wir erinnern uns an „Die war nie in Paris“, seine Aussage über Heidi Klum. Seth Godin nennt das „people like us do things like this“. Es gibt eine spezielle Gruppe, und in dieser Gruppe gibt es Regeln und Normen. Und einen Dresscode. Selbst eine Heidi Klum gehörte nicht zu Karls Gruppe, denn sie war eben „nie in Paris, und Claudia kannte sie auch nicht“.

In Unternehmen sehen wir seltener Kolleg:innen mit Sonnenbrille, aber ich erinnere mich an meinen ehemaligen Finance-Professor, der selten ohne Panama-Hut und bunte Krawatte unterwegs war. Beim letzten Alumnitreffen waren es gelbe Quietscheenten. Kann man machen, muss man aber nicht. Ich finde es super. Und genau das ist das Geheimnis guter Marken: Sie polarisieren. Im besten Fall weißt du sofort: Dieses Produkt passt zu mir. Oder eben: Das passt auf gar keinen Fall. Wenn du das weißt, kannst du Kleidung ganz bewusst in deine persönliche Marke einfließen lassen und entscheiden, welche Botschaft du senden möchtest.

🚨 Kleidung hat Signalwirkung

Was du signalisiert, hängt nicht nur von der Kleidung selbst, sondern auch dem Unternehmenskontext ab. Denn: Mit welcher „Brille“ dich deine Gesprächspartner betrachten, ist genauso relevant wie deine Kleiderwahl selbst.

Im Vorstellungsgespräch sollte es um ganz andere Dinge gehen als das Aussehen der Bewerber:innen. Und doch bestätigen Studien immer wieder: Der erste Eindruck zählt. Eine Studie von Willis und Todorov (2006) zeigt, dass wir uns in nur einem Zehntel einer Sekunde einen ersten Eindruck von jemandem bilden. Bevor also die Bewerberin überhaupt „Hallo“ sagen konnte. Eine andere Studie von Gilovich, Medvec und Savitsky (2000) zeigt, dass wir dazu neigen, auf der Grundlage von Ersteindrücken zu urteilen, selbst wenn wir wissen, dass diese nicht immer zuverlässig sind. 

Fakt ist: Die falsche Kleidung kann deine Chancen auf das Jobangebot deutlich schmälern. Das ist – ganz rational betrachtet – totaler Mist. Wir wissen alle, dass Kleidung und Kompetenz nicht korrelieren. Die fachliche Kompetenz ist jedoch nur ein Teil der Gleichung. Die vollständige Formel lautet: 

Kompetenz + Cultural Fit (Übereinstimmung mit der Unternehmenskultur) = Eignung

Und für diesen zweiten Punkt der Gleichung ist die Kleiderwahl tatsächlich ein guter Kompass. Denn: Die Unternehmenskultur hat auch etwas damit zu tun, wie man sich im Unternehmen so kleidet.

  • Was ist akzeptiert?
  • Was gilt als Statussymbol?
  • Was ist ein No-go?

Wenn du den Job unbedingt haben willst, dann mach dir die Ingroup-Bias zunutze. Sie besagt, dass wir Menschen, die so sind wie wir, positiver beurteilen. Sende also Signale der Zugehörigkeit, indem du Vokabular (z.B. spezifische Abkürzungen) und auch die Kleidung übernimmst (siehe: Silke im Kostüm). Das erhöht zwar deine Chancen auf eine Jobzusage, aber nicht unbedingt deine Zufriedenheit im Job. Denn: Wenn du dich unangenehm verbiegen musst, dann wirst du das wahrscheinlich auch später im Job tun müssen.

🪞⛓️ Kleidung: Spiegelbild oder Fußfessel?

Meine Kollegin M. wünschte sich Büro-Uniformen: „Stell dir vor, du musst morgens nicht lang überlegen, kannst nicht danebenliegen und musst nicht shoppen gehen! Perfekt!“ 

S., meine Klientin aus der Sportwelt, lehnte mal ein Jobangebot ab, weil sie dort Businesskleidung gebraucht hätte: „Ich habe weder die Zeit fürs Einkaufen noch den Platz für einen zweiten Kleiderschrank. Wenn die mich nicht so nehmen, wie ich aussehe, dann wird das nichts.“

Meine Schwester wiederum arbeitet in Uniform und wünscht sich oft mehr Individualität. Kleidung ist für sie eine Form des Ausdrucks ihrer Persönlichkeit.

Unbewusste Voreingenommenheit und Diskriminierung

Bei all dem, was wir bisher besprochen haben, müssen wir uns bewusst sein, dass diese Diskussion durch meine Perspektive gefiltert ist – als weiße Frau, die bestimmte persönliche und berufliche Erfahrungen gemacht hat. Es ist wichtig, zu erkennen, dass Menschen, insbesondere diejenigen, die systemisch benachteiligt sind, ganz andere Erfahrungen mit Kleidung am Arbeitsplatz machen können.

Unbewusste Voreingenommenheit kann dazu führen, dass bestimmte Kleidungsstile oder Körperschmuck, die mit bestimmten Kulturen, Religionen oder sozialen Gruppen in Verbindung gebracht werden, negativ bewertet werden. Ein Bewerber mit Tätowierungen oder eine Bewerberin mit Hijab könnten zum Beispiel auf (unbewusste) Voreingenommenheiten stoßen, die ihre Chancen auf Erfolg bei einem Vorstellungsgespräch beeinträchtigen.

Diskriminierung, ob beabsichtigt oder nicht, kann sich auf die Erfahrungen von Menschen mit Kleidung am Arbeitsplatz auswirken. Beispielsweise könnten Transgender-Menschen oder Personen, die nicht-binär sind, Schwierigkeiten haben, passende Kleidung für formelle Arbeitsumgebungen zu finden, die ihren Geschlechtsidentitäten entspricht. Um solche Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, ist es entscheidend, dass Unternehmen bewusste Anstrengungen unternehmen, um inklusive Arbeitsumgebungen zu schaffen. Dies kann die Überprüfung und Anpassung von Kleiderordnungen, das Training von Personalverantwortlichen zur Erkennung und Minderung unbewusster Voreingenommenheiten und das Bekenntnis zur Gleichstellung aller Mitarbeitenden, unabhängig von ihrer Identität oder ihrem Hintergrund, beinhalten.

In einer idealen Welt sollte Kleidung eine Möglichkeit für Menschen sein, sich auszudrücken und wohlzufühlen, nicht eine Quelle von Stress oder Diskriminierung. Es ist an der Zeit, dass wir die Vielfalt unserer Gesellschaft in den Kleiderordnungen und -erwartungen am Arbeitsplatz widerspiegeln.

🫵 Du entscheidest!

Hast du ein Problem damit, Anzug und Hemd zu tragen? Dann bewirb dich lieber in Branchen und bei Unternehmen, in denen Jeans und T-Shirt vollkommen gängig sind. Wenn nicht, bzw. wenn es dir wichtig ist, zwischen „Arbeits-“ und „Freizeitmodus“ zu unterscheiden, dann wähle Unternehmen, in denen Hemd, Bluse und Anzug zum guten Ton gehören.

Den Dresscode des Unternehmens solltest du auf Bildern der Website, den Social-Media-Kanälen und den Medien gut erkennen können. Falls du dennoch unsicher bist, dann schau mal auf den XING Profilen deiner Gesprächspartner:innen nach oder frage nach einem Dresscode.

Die Frage nach der richtigen Kleiderwahl ist nicht pauschal zu beantworten, sondern verlangt Aufmerksamkeit und Introspektive. Und wenn du nach diesen Überlegungen entscheidest, die Spielregeln zu brechen und deine Kleidung bewusst nicht konform der Unternehmenskleidung wählst, dann ist das auch vollkommen okay. Schon Picasso sagte:

Lerne die Regeln wie ein Profi, damit du sie wie ein Künstler brechen kannst.
Pablo Picasso

Wie hältst du es mit der Kleidung im Jobleben? Wie wichtig ist dir der Dresscode in Unternehmen?

Wer schreibt hier?

Silke Koppitz
Silke Koppitz

Karriereberaterin, Speakerin, YouTuberin, Corporate Influencerin, Silke Koppitz Karriereberatung

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Als Karriereberaterin helfe ich meinen Klient:innen dabei, ihre Traumjobs zu bekommen. Hier findest du Artikel zur beruflichen (Neu-) Orientierung, zur Jobsuche sowie der überzeugenden Präsentation im Bewerbungsprozess. Bei Fragen und Themenwünschen sende mir einfach eine Nachricht!
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