Die Nachhaltigkeit der Sprache
Frau Höverkamp, was sehen Sie als Ihre wichtigste Aufgabe als Autorin?
Da möchte ich mich der Meinung der fränkischen Schriftstellerin Elisabeth Engelhardt, die von 1925 bis 1978 lebte, anschließen. Sie schrieb: "Ich möchte sie fassen, festhalten, meine, unsere Spur, mit ihrem Unsinn und Sinn, ihrer Schönheit und Qual, mit dem einzigen Mittel, der Sprache."
Über welche Themen schreiben Sie hauptsächlich?
Meine beiden Leidenschaften sind Literatur und Geschichte. Mit der Literatur habe ich mich intensiv in meiner Biografie über Elisabeth Engelhardt befasst, auch praktisch mit meinem Gedichtband "Mondstaub" und mit meinem leider vergriffenen Roman "Zähl nicht, was bitter war…", der den schicksalhaften Weg von der Kaiserzeit bis heute einer Familie thematisiert. In diesem Roman spielt die große Geschichte auch eine wichtige Rolle, die immer wieder in das Leben der Familie eingreift. Mit unserer jüngsten Geschichte haben wir uns in unseren beiden Anthologien "Nie wieder Krieg" und "Von der Trümmerzeit zur Frankenmetropole - Nürnberg 1945 bis heute" - befasst und mit meinem Buch "Ein Riemenschneider in Mittelfranken - Die Allerheiligenkirche in Kleinschwarzenlohe bei Nürnberg" habe ich mich auf das Terrain der Kunstgeschichte gewagt und konnte nachweisen, dass der Apostelabschiedsaltar ein Frühwerk Riemenschneiders ist. Das Buch war bei Erscheinen eine Sensation.
In meinem letzten Buch, einer Anthologie, mit dem Titel "Weihnachten - Vom Wintermärchen zum Stall von Bethelehem" haben wir uns mit dem Brauchtum und dem Wandel des Weihnachtsfestes befasst. Texte und Geschichten für meine Anthologien haben die Teilnehmer meiner Schreibwerkstatt und befreundete und bekannte Autoren geliefert.
Wie kamen Sie zum Schreiben?
Mir fiel auf, dass zu der Zeit, als man sich noch Briefe schrieb, meine Briefpartner und -partnerinnen mir mitteilten, dass sie meine Briefe aufhoben. Vor Jahren musste ich meine Arbeit als Lehrerin aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Ich habe sehr gern mit Kindern gearbeitet. Ich fragte mich, was ist noch möglich? Da fiel mir ein, dass ich schon in der Schule gern geschrieben habe und wollte es einfach mal ausprobieren, ohne Ambitionen auf eine Veröffentlichung. Ich begann, mich für Leben und Werk von Elisabeth Engelhardt zu interessieren und suchte zahlreiche Zeitzeugen auf. Einer dieser Zeitzeugen, Wolfgang Buhl, erkannte meine Begabung und ermutigte mich, meine Recherchen zu veröffentlichen. Buhl war damals gerade in Pension gegangen. In den letzten zwölf Jahren war er Studioleiter des BR-Franken gewesen, während der 15 Jahre davor Leiter der Abteilung Wort.
Heute sehe ich, dass sich ein Kreis schließt. Vor etlichen Jahren entschloss ich mich, eine Biografie über meinen Mentor zu schreiben - sein Leben ist ein typisches Jahrhundertzeugnis, und sein Werk ist es wert, lebendig gehalten zu werden. In seiner Eigenschaft als Honorarprofessor lehrte er an der Uni Erlangen Christliche Publizistik. Und von 1953 bis 1963 war er Feuilletonredakteur bei den Nürnberger Nachrichten. Mein erstes Buch war die Biografie "Elisabeth Engelhardt - eine fränkische Schriftstellerin" - und erfahrene Autoren warnten mich, dass ich mir das schwierigste Genre ausgesucht hatte. Professor Buhl empfahl mir, die Goethe-Biografie von Friedenthal zu lesen. Da konnte ich wie in einem Röntgenbild sehen, wie man eine Biografie schreibt und Leben und Werk verknüpft. Drei Jahre nach der Publikation meiner Biografie erhielt ich den Elisabeth-Engelhardt-Literaturpreis.
Was sollen Leser nach der Lektüre Ihrer Bücher in Erinnerung behalten? Gibt es einen roten Faden zwischen den Publikationen?
Es geht in allen meinen Büchern um den Menschen und sein Schicksal. Beispiele, wie andere Menschen ihr Schicksal gemeistert haben, wenn auch unter schwierigen Bedingungen, können den Lesern helfen, Mut zu fassen, auch ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen, nicht mehr Opfer zu sein, sondern aktiv Handelnde.
In der Vergangenheit suchten Politiker die Nähe zu Intellektuellen, deren Wort politisches und gesellschaftliches Gewicht hatte. Vermissen Sie diese Verbindung heute?
Das wichtigste Beispiel ist wohl Günter Grass, der den Wahlkampf der SPD unterstützt hat. Kein Autor von Bedeutung kann unpolitisch sein, er muss in seinem Werk und seinen Äußerungen klar zu erkennen geben, wo sein Standpunkt ist. Meiner Meinung nach ist es gar nicht notwendig, dass Politiker die Nähe zu Intellektuellen suchen.
Welche Autoren und Werke der deutschen Literatur sind für Sie am wichtigsten?
Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz.
Theodor Fontane: alle Romane.
Hilde Domin: alle Gedichtbände.
Thomas Mann: Der Zauberberg.
Heinrich Böll: Irisches Tagebuch.
Ingeborg Bachmann: Die Anrufung des Großen Bären.
Warum ist Goethe auch noch im 21. Jahrhundert hochaktuell?
Meiner Ansicht nach liegt es an seiner relativ modernen Sprache, wenn man sie z.B. mit der heute antiquiert anmutenden Sprache Schillers vergleicht. Aber es liegt natürlich nicht nur an der Sprache. Goethe hat in all seinen Werken exemplarische Situationen und Schicksale einfließen lassen, mit denen sich auch heute noch die Menschen identifizieren können.
Welche Bedeutung hat für Sie im Zeitalter der Digitalisierung die Handschrift und das Haptische?
Die Handschrift ist eine sehr wichtige Fertigkeit, die auf gar keinen Fall in der Schule abgeschafft werden sollte. Nicht nur, dass man sich fragt, was wäre, wenn ein tage- oder monatelanger Stromausfall die PCs lahmlegen würde, sondern die Handschrift ist ein individueller Ausdruck der Persönlichkeit. Ich habe etliche Jahre meine Manuskripte mit der Hand geschrieben, bis ich den Versuch wagte, es gleich am PC zu schreiben. Es war eine Umstellung, aber ich nutzte umso ausgiebiger die Möglichkeiten der nachträglichen Korrektur. Was sich absolut dem sofortigen Einsatz des PC sperrt, ist die Lyrik. Hier spielt ja das Herantasten an die stimmige Sprache eine große Rolle. Mein Gedichtband "Mondstaub" ist übrigens eine Sammlung meiner besten Gedichte aus zehn Jahren. Für meine Lyrik wurde ich vom Freien Deutschen Autorenverband ausgezeichnet. - Das Haptische, der Tastsinn wird durch die Anwendung der Handschrift geübt. Es gibt ja auch ein Tasten mit den Augen. Beim Computer ist die Tätigkeit des Schreibens rein technisch - man tastet automatisch die Tasten!
Wie hat Sie die Corona-Krise beeinflusst?
Seit einem Jahr können weder Vorträge noch Lesungen stattfinden. Der finanzielle Verlust ist erheblich. Mein autobiografischer Workshop "Die Heilkraft der Erinnerung" findet seitdem online statt. Ich gebe ein Thema vor, aber die Teilnehmer/innen können auch ein eigenes Thema wählen, gebe Anweisungen und kurze Beispiele vor und setze einen Abgabetermin fest. Jeder schickt jedem seinen Text, auch an mich. Dann verfasst jede/r zu jedem Text eine Beurteilung und schickt sie an alle und an mich. Danach erhalten die Teilnehmer meine Beurteilungen und Korrekturen. Wir freuen uns schon, wenn wir uns wieder persönlich treffen dürfen.
Sie sind sehr aktiv auf Twitter. Was ist für Sie das Faszinierende an diesem Medium?
Man lernt Menschen und Meinungen kennen, die man ohne Twitter nie kennengelernt hätte. Es ist eine erhebliche Horizonterweiterung. Ich habe auch festgestellt, dass ich mich seitdem viel stärker als vorher mit den Nachrichten aus aller Welt befasse. Toll finde ich auch, dass es Accounts gibt, die Gedenktage oder bekannte Persönlichkeiten, wie Schriftsteller/innen, Künstler/innen, historische Gestalten usw. posten und vieles mehr.
Ingeborg Höverkamp ist freie Autorin und Dozentin. Ihr Abitur machte sie an der Maria-Ward-Schule in Nürnberg, an der FAU Erlangen studierte sie Geschichte, Anglistik, Pädagogik und Psychologie für das Höhere Lehramt. Bis 1990 unterrichtete sie. Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher, u.a. eine Biografie über die fränkische Schriftstellerin Elisabeth Engelhardt, den Roman "Zähl nicht, was bitter war…", den Nürnberg-Krimi "Tödlicher Tee" und die Anthologie "Weihnachten - Vom Wintermärchen zum Stall von Bethlehem". Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Seit 18 Jahren leitet sie die autobiografische Schreibwerkstatt "Die Heilkraft der Erinnerung" an der Caritas-Pirchkeimer-Akademie in Nürnberg. Seit vielen Jahren arbeitet sie an der Erstellung der Biografie über den Journalisten, Autor, Studioleiter des BR-Franken und Professor für Publizistik, Wolfgang Buhl, die voraussichtlich 2025 erscheinen wird. Weiterführende Informationen zur Autorin: www.nuernbergwiki.de und Wikipedia.