Die negativen Auswirkungen des Zuckerkonsums
Zucker zeigt uns die süßen Seiten des Lebens, doch sein Nachgeschmack ist bitter: Denn Zucker ist nicht so rein, weiß und unschuldig, wie es die Werbung seit Jahrzehnten vermittelt. „Zucker zaubert Energie“, schwärmte eine Fernsehwerbung im Jahr 1954. Die Industrie versprach darin, dass man mit Zucker schlank „wie eine Pini“ bleibe – deshalb sollte mehr davon konsumiert werden. „Wir hatten alle eine Vorliebe für Süßes, und die Beschränkungen während und nach dem Krieg verstärkten unser Verlangen. Manchmal tauschten wir andere rationierte Lebensmittel gegen etwas Süßes ein“, schreibt der US-amerikanische Historiker James Walvin in seiner Kultur- und Sozialgeschichte des Zuckers. Er befeuerte einst die Sklaverei, löst Umweltschäden in den Anbaugebieten aus und ist Hauptursache der Zivilisationskrankheiten Adipositas und Karies.
Als 1953 die Rationierung von Süßem endlich aufgehoben wurde, waren die begehrten Süßwaren in den örtlichen Läden rasch ausverkauft. Die Vorliebe für das süße Naschwerk war für ihn nur ein Bespiel für die wichtige Rolle, die Zucker im Leben seiner Familie spielte. Aber auch das gesellschaftliche Leben wurde „durch die regelmäßige Einnahme von gesüßtem Tee in Gang gehalten.“ Beim Zahnarzt wurden dann regelmäßig die Schäden der zuckerreichen Ernährung behoben. Walvins Vater wurden im Alter von 21 Jahren sämtliche Zähne gezogen, seine Mutter verlor ihre letzten Zähne mit Mitte dreißig. Fast alle Familienmitglieder von ihm hatten ein künstliches Gebiss.
Zuviel Zucker hat dramatische Auswirkungen auf die Gesundheit.
Die wichtigsten Krankheiten, die daraus resultieren, sind Übergewicht, Adipositas, Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Karies und Krebs. Dazu kommt die aktuelle Gefahr durch Covid-19: Menschen mit Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen gehören zur Corona-Risikogruppe. In Deutschland sind mehr als die Hälfte der Erwachsenen und 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig – auch, weil sie zu viel Süßes essen. Studien belegen, dass der tägliche Pro-Kopf-Verbrauch an Zucker in Deutschland durchschnittlich bei 34 Würfelzuckern liegt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät zur Reduzierung auf acht Würfelzucker täglich. Das ist insofern schwierig, als Zucker, der auch Karies verursacht, in sehr vielen Produkten enthalten ist. Forscher der Universität Sydney untersuchten, wie sich Lebensmittel mit viel Zucker und Fett auswirkten: Nicht nur die Selbstkontrolle nahm ab – auch das Gehirn litt (Risiko für Demenz). Dennoch wird Zucker weiterhin in gewaltigen Mengen konsumiert.
Warum Zucker seit Jahrhunderten unseren Alltag prägt
Um zu verstehen, wie der Stoff unseren Alltag erobern konnte, blickt James Walvin in seinem Buch, das als zwölfter Band der oekom-Reihe Stoffgeschichten erschienen ist, auch in die Vergangenheit und fragt: Wie kam es zu diesem tief greifenden Wandel unserer Wahrnehmung eines Produkts, das seit Jahrzehnten Teil unserer Ernährung ist? Die Geschichte des Zuckerrohrs ist über 10.000 Jahre alt. Angebaut wurde es in der pazifischen Inselwelt Melanesiens. Als Proviant der Seefahrer gelangte es schließlich nach Indien und Persien. Den Zuckerhut kreierten die Perser durch ihre Art der Zuckergewinnung: Sie füllten den heißen Zuckerrohrsaft in ein umgedrehtes, kegelförmiges Gefäß mit einem Loch an der Spitze, durch welches der nichtzuckerhaltige Sirup lief. Der auskristallisierte Zucker verblieb im Kegel und wurde herausgestürzt.
Das antike Europa kam mit den Feldzügen Alexanders des Großen erstmals mit Zucker in Kontakt. Plinius der Ältere spricht vom „Indischen Salz“, das nur als Arznei verwendet wurde und sehr teuer war. Etwa 800 nach Christus brachten arabische Eroberer das Zuckerrohr nach Südeuropa (u.a. nach Sizilien, Malta, Spanien). Kreuzritter, die im 11. Jahrhundert aus dem Nahen Osten zurückkehrten, machten den Zucker in Mittel- und Nordeuropa bekannt.
Wertvoll wie Gold war Zucker zunächst nur für den gehobenen Adel.
Bei seiner zweiten Amerika-Reise begann Christoph Kolumbus Zuckerrohr in der Karibik anzusiedeln. 1503 wurden erste Sklaven in die Zuckerrohrplantagen gebracht, um für die europäische Nachfrage zu arbeiten. Es begann der transatlantische Dreieckshandel: Lateinamerika sandte Schiffe mit Zucker, Tabak und Gold nach Europa. Waffen, Branntwein und Baumwollstoffe waren abschließend die Fracht nach Westafrika. Von dort wurden Sklaven für die Plantagen Besitzer nach Amerika verschifft.
Vor 1600 war Zucker ein Luxusgut. Das änderte sich im Laufe des 17. Jahrhunderts, als Europäer auf dem amerikanischen Doppelkontinent Zuckerkolonien errichteten. Zucker wurde billig, war beliebt und überall zu haben. Verantwortlich dafür war der Rohrzucker, der in seiner Frühzeit in Indonesien, Indien und China in kleinen Mengen für lokale Märkte erzeugt wurde. Als er im Mittelmeerraum und auf Inseln im Atlantik auf Plantagen kultiviert und jenseits des Atlantiks in Amerika angebaut wurde, nahm seine Geschichte eine dramatische Wendung. Dort wurde er von versklavten Afrikanerinnen und Afrikanern, die über den Atlantik verschleppt worden waren, erzeugt. Der hier produzierte Zucker sorgte für drastische Veränderungen in der Landschaft der Zuckerkolonien sowie bei den Vorlieben der westlichen Welt.
1747 machte der deutsche Chemiker Andreas Sigismund Marggraf die Entdeckung, dass die Runkelrübe den gleichen Zucker enthält wie Zuckerrohr. Nur der Gehalt der Rübe war zu gering, um sie für die Zuckergewinnung einsetzen zu können. An der Preußischen Akademie der Wissenschaften züchtete sein Schüler Franz Carl Achard aus der Runkel- die Zuckerrübe. 1802 entstand die erste Rübenzuckerfabrik in Schlesien. Napoleon ließ vermehrt Rübenzuckerfabriken bauen und die Rübe großflächig anbauen. Das Zeitalter der europäischen Zuckerindustrie begann.
Als Europäer und US-Amerikaner im Lauf des 19. Jahrhunderts weite Teile der Welt besiedelten und globalen Handel trieben, kamen sie auch durch den kommerziellen Zuckeranbau an neue Standorte (Inseln im Indischen Ozean, Afrika, Indonesien, Pazifischen Inseln, Australien). Ansässige Plantagenbesitzer waren immer mit Arbeitskräftemangel konfrontiert. Deshalb holten sie Vertragsarbeiter aus fernen Ländern. Für die Besitzer und Investoren erwiesen sich die Plantagen hingegen als Goldgrube. Allerdings wurde die Umwelt durch die neu angelegten Plantagen schwer geschädigt. Der ökologische Schaden ist bis heute enorm.
Die Arbeit der Sklaven und Vertragsarbeiter sorgte dafür, dass aus dem Luxusartikel Zucker ein Alltagsprodukt wurde.
Zwischen 1700 und 1900 wurde Zucker zu einem zentralen Lebensmittel für Menschen aller Stände - weltweit. Der zunehmende Anbau von Zuckerrüben, zunächst in Europa, dann in den Weiten Nordamerikas, ergänzte die wachsende weltweite Zuckerproduktion. Heute achten nachhaltige Unternehmen auf ökologische und soziale Aspekte – auch bei den süßen Seiten des Lebens.
Heute wird am meisten in Zucker produzierenden Ländern verbraucht (Brasilien, Fidschi und Australien).
Australier haben einen jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 50 Kilogramm, wobei die Zahlen für Europa und Nordamerika nur unwesentlich niedriger sind. Doch im Lauf der letzten Generation hat sich die Lage dramatisch geändert, was vor allem modernem Fast Food und zuckerhaltigen Erfrischungsgetränken zu verdanken. Ihre Süße beruht heute größtenteils nicht mehr auf Rohrzucker, sondern auf Maissirup und chemischen Süßstoffen. Inzwischen wird Zucker regelmäßig als ein Suchtmittel bezeichnet, vergleichbar mit Tabak, das Schuld an der globalen Epidemie der Fettleibigkeit trägt.
Wie Zucker-Konsum reduziert werden kann:
Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel
Kennzeichnung gesunder Lebensmittel
Verzicht auf weißen Haushaltszucker
Alternativen (natürliche Süßungsmittel) nutzen: Honig, Yacon-Sirup, Reissirup, Agavensirup, Yacon-Sirup, Kokosblütenzucker, Arenga-Zucker, Xylit, Erythrit, Stevia
Gesundheitserziehung für Kinder
Präventionsmaßnahmen der Krankenkassen
Weiterführende Informationen:
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2020.
James Walvin: Zucker. Eine Geschichte über Macht und Versuchung. Übersetzt von Sonja Schuhmacher, Claus Varrelmann. oekom Verlag, München 2020.