Die Superhelden der Zukunft: Wie Pflanzen zur Reduzierung des Klimawandels beitragen
Die Wetterextreme werden in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Kurze Winter, lang anhaltende Regen- oder Trockenperioden, Spätfröste, heftige Niederschläge, Stürme, Hagel und sogar Tornados setzen der Natur schon heute zu. Die Ökosysteme können nicht mehr Schritt halten – eine genetische Anpassung der Pflanzen und Tiere benötigt viel mehr Zeit. Deshalb erfordert der Klimawandel sofortige Anpassungen in allen Lebensbereichen – auch beim Gärtnern. In den vergangenen fünf Jahrzehnten begannen Frühling, Sommer und Herbst bei uns immer früher – der Winter wurde immer kürzer.
Mit veränderten klimatischen Bedingungen müssen auch die Pflanzen mehr aushalten.
Vor allem in Städten können viele Arten selbst nicht mehr mit den Temperaturen, längeren Dürreperioden und extremem Starkregen umgehen. Seit dem Frühjahr 2022 widmen sich Forschende in Zusammenarbeit mit rund 200 engagierten Bürger:innen im Projekt "Pflanze KlimaKultur!" den Auswirkungen des Klimawandels auf Pflanzen in urbanen Gebieten. Das innovative Citizen Science-Projekt findet auf speziellen "Klimabeeten" statt, die in den Gärten der teilnehmenden Bürger:innen angelegt wurden. „Die Studie bestätigt den Einfluss des Mikroklimas auf die Verschiebung der Entwicklungsstadien von Pflanzen“, sagt Dr. Gerald Parolly, Co-Projektleiter und Abteilungsleiter am Botanischen Garten Berlin. „Hierbei zeigt sich, dass in Stadtteilen mit erhöhten Lufttemperaturen einige Pflanzenarten früher blühen als in kühleren Gegenden - eine bisher wenig erforschte Tatsache, da die meisten Beobachtungen zur Phänologie auf Gehölze beschränkt waren.“
Ohne Pflanzen haben wir keine lebenswerte Zukunft. Doch auch bei ihnen gibt es „Verlierer und Gewinner“.
Zu den Verlierern gehören Pflanzen wie Hortensien oder Astilben - Pflanzen, die eine relativ hohe Durchschnittsfeuchtigkeit übers Jahr benötigen. Durch die veränderte Niederschlagsverteilung werden diese künftig wegfallen. Die Gewächse müssen es allein schaffen zu überleben. Es gibt allerdings auch pflanzliche Allrounder, die bei jedem Wetter wachsen und mit den absehbaren klimatischen Veränderungen langfristig zurechtkommen werden. Dazu gehört beispielsweise die schwarze Königskerze, eine heimische Pflanze, die den ganzen Sommer über blüht. Weitere Allrounder sind die Akeleien, die im Schatten und in der Sonne sowie auf mageren und auch fetten Böden wachsen. „Sorten bzw. Züchtungen verlieren häufig an Vitalität. Die Ursprungsarten hingegen sind meist widerstandsfähiger“, sagt Simone Kern. Auch werden „kleine oder schmale Blätter oder solche, die entweder tendenziell aufrecht oder hängend wachsen“ eher verschont.
Entscheidend für die Allwetterpflanzen ist das Wurzelsystem.
Kleine Pflanzen wurzeln besser und passen sich neuen Standorten gut an. Die Wurzeln von kleinen Stauden gehen metertief in den Boden. Diese Tiefwurzler holen von unten noch verfügbares Wasser und Nähstoffe, speichern dies und verankern zugleich die Pflanze bei Wind und Starkregen. Dicke, fleischige Wurzeln sind nicht so gut, weil sie bei Nässe faulen. Eine große Standortamplitude bedeutet, dass diese Pflanzen sowohl Trockenheit vertragen, aber auch kurzzeitig sehr hohe Niederschläge. Mit ihnen können wir vor Ort, im Kleinen, Lösungen finden und grüne Oasen schaffen, die nachhaltig wachsen und ohne künstliche Bewässerungen und Kunstdünger auskommen. Das Buch "Überlebenskünstler" der Landschaftsarchitektin und Gartenexpertin Simone Kern ist ein Sachbuch über robuste Pflanzen, die Wetterextremen trotzen und sich besonders für die „neuen“ Bedingungen eignen.
Gartenarchitekten sollten keine "unmöblierten Räume“ schaffen und dann die Pflanzen hineinsetzen wie Möbel in ein Zimmer. Vielmehr sollte der Mensch die Pflanze „zu Wort bringen“, nach ihrem Willen fragen und dafür sorgen, dass sie ihr Temperament entfalten kann, sagte der Gärtner, Staudenzüchter und Garten-Schriftsteller Karl Foerster (1874 - 1970). Das wird heute in der durchgestylten Welt der Outdoormöbel, die zu ganzen „Landschaften“ inszeniert werden, oft vergessen. Wenn im künstlich geschaffenen Outdoor-Refugium zu allen Jahreszeiten alles gleich ist, geht der Blick kaum mehr in die Natur. Um sein Wohnhaus herum in Bornim bei Potsdam schuf Foerster einen Schau- und Versuchsgarten, mit dem er ein bedeutendes Kapitel moderner Gartengeschichte schrieb. Durch die Kombination von winterharten Stauden, Gräsern, Farnen und Zwerggehölzen kreierte er ein ganzjähriges, vielfältiges Gartenerlebnis als lebendige Inspiration und Paradies für alle. Von ihm und Simone Kern lässt sich lernen, was Arbeit an und mit der Natur bedeutet. Pflegereduzierte und ganzjährig attraktive Pflanzkonzepte leisten einen wesentlichen Beitrag zu einem atmosphärisch schönen Gelände. Immer wichtiger wird auch der Naturschatten.
Statt Markisen, unter denen sich die Hitze staut, sind Bäume als natürliche Schattenspender viel besser geeignet.
Durch Verdunstung sorgen sie für angenehme Kühle. Zudem verhindert ihr Schatten auch, dass sich Wände, Wege oder Betonflächen stark aufheizen. In Gärten sollte nur Regenwasser genutzt werden. Es füllt die Grundwasserspeicher regelmäßig auf. Doch dafür muss es erst einmal ankommen. Je weniger Flächen versiegelt werden, desto besser. Die allgemeine Zunahme der Temperaturen potenziert sich im Sommer vor allem in Ballungsgebieten, wo es oft unerträglich heiß wird. Gebäudefassaden, Dächer und Belagsflächen heizen sich auf. Bäume können in der Stadt die Temperaturen deutlich senken (mindestens fünf Grad). Genauso ist es im Garten. Doch wer einen hat, kann etwas gegen den Hitzestress tun und mit ökologischer Gartengestaltung zum Klimaretter:in werden. Ob in Gärten oder vor dem Haus, auf Dächern oder Balkonen - überall kann man mit einfachen Maßnahmen etwas gegen die Hitzestress tun. Statt eines Rasens nach englischem Vorbild sind Kräuterrasen und Blumenwiese, aber auch bodendeckende Bepflanzungen zu empfehlen. Wesentliche Säulen in einem Klimaschutz-Garten sind vorbeugende Pflanzenstärkung, die richtige Pflanze am richtigen Standort, Pflanzenvielfalt, Kompostwirtschaft und viele Bäume.
Der angenehmste Schatten ist nämlich der Naturschatten. Damit Bäume gut wachsen können, brauchen sie den geeigneten Untergrund. Das kann in stark verdichteten Böden allerdings kompliziert werden. In Städten und im öffentlichen Raum kommt hier in den letzten Jahren oft das Schwammstadt-Prinzip zum Einsatz: Jeder Baum erhält unter den versiegelten Flächen genug Raum, um tief und weit zu wurzeln. Spezielle Drainagesysteme leiten Oberflächenwasser in diese Wurzelbereiche statt in den Kanal. Das kann bei Starkregen auch lokale Überschwemmungen verhindern. Ähnliche Systeme lassen sich auch im eigenen Garten einplanen. Es sollte versucht werden, eine Zisterne oder zumindest eine Regentonne im Garten aufzustellen, um eine Speichermöglichkeit zu haben.
Aber auch der Boden selbst spielt eine wichtige Rolle, denn er ist die Basis für die Vegetation, die darauf wächst.
Ohne seinen Schutz ist es nicht möglich, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten sowie den Verlust der Biodiversität zu stoppen. Der Garten der Zukunft ist für Simone Kern deshalb sehr grün, mit vielen Pflanzen und wenig Versiegelung. Der klassische Rasen hat keine Zukunft, denn es müsste verstärkt mit Bewässerungsanlagen gearbeitet werden, die in vielen Regionen absehbar verboten werden. Gartenbereiche, die kaum betreten werden, können mit Stauden versehen werden, die kaum Arbeit machen. Statt des Rasens kann eine echte heimische Wiese mit Kräutern angelegt werden. Wiesenpflanzen haben überwiegend Pfahlwurzeln, die sich von weit unten ihre Nahrung holen können. Gräser sind überwiegend Flachwurzler. Eine Kräuterwiese anzulegen, ist eine gute Alternative. Bei der Pflanzenauswahl kommt es nicht nur darauf an, dass die Pflanzen klimaresilient sein sollten, sondern auch Tiere unterstützen.
Simone Kern hat ihr eigenes Planungsbüro mit dem Schwerpunkt naturnahe Gartenanlagen. Sie kennt die Auswirkungen des Klimawandels aus der Praxis und zeigt, wie wichtig Pflanzen zur Bekämpfung des Klimawandels sind: Sie absorbieren etwa 29 Prozent des CO2 aus der Atmosphäre und verringern damit den Treibhausgasgehalt unserer Luft. Auch der Schutz von Insekten liegt ihr am Herzen. Denn durch die milden Winter kann es passieren, dass Gehölze blühen, als wir es gewohnt sind - und vor allem die Insektenwelt es möchte (z. B. die Kätzchenweide, die im Frühjahr ein wichtiger Pollenlieferant für Wildbienen und für Honigbienen ist). Wenn diese zu früh blüht und die jeweilige Bienenpopulation noch nicht geschlüpft ist, dann ist „im Worst Case diese Weide schon verblüht“ und steht nicht mehr zur Verfügung. Durch die Frühjahrstrockenheit und Hitze blühen einige Pflanzen kürzer. Damit ist auch weniger Nahrungsangebot für die Insekten vorhanden. Artenreiche Blühwiesen sind heutzutage selten. Doch sie sind überlebenswichtige Biotope für eine Vielzahl von Insekten. Dort finden diese massenweise Nahrung und bei richtiger Pflege auch Brutmöglichkeiten.
Simone Kern möchte Gärten schaffen, in denen sich Menschen wohlfühlen und Pflanzen und Tiere neue Lebensräume finden.
Über ihre Erfahrungen schrieb sie viele Bücher. Begonnen hat es mit „Mein Garten summt“, weil sie Menschen dafür sensibilisieren wollte, in ihren Gärten etwas für Wildbienen & Co zu tun. Dann folgte „Wild& Bunt“, das sich mit der attraktiven Gestaltung mit heimischen Pflanzen für unsere Wildtiere beschäftigte. Es folgte eine Publikation zur Wetterproblematik, die sie in ihrer täglichen Praxis erlebt. Ihr persönlichstes Buch ist der „Antiautoritäre Garten“. Ihr aktuelles Buch widmet sich der Gartenpraxis im Klimawandel sowie Gartensituationen und Muster-Beeten im Allwettergarten. Es widmet sich den dringlichsten Fragen unserer Zeit und zeigt, dass uns Pflanzen Lösungen in allen Bereichen anbieten: in Landschaft und Landwirtschaft, Ernährung und Architektur, bei der Energiefrage, in der Klimakrise, beim Artensterben, für unsere Gesundheit und unsere Gesellschaft. Sie schaffen ein Ökosystem, das Hitze- und Kälteextreme abfedert, Wasser speichert und feuchte Luft erzeugt. Sie leben in Kreisläufen, sind ein nachhaltiger Bodenschatz und haben die Fähigkeit, sich unerwarteten Herausforderungen anzupassen und lange Zeiträume zu überdauern.
Dies schätzen auch immer mehr Unternehmen: Sie setzen auf ein Arbeitsumfeld, das gleichzeitig einen ökologischen Beitrag leistet.
Dem kommt auch Simone Kern mit ihrem Büro für Gartendesign nach, das attraktive Außenanlagen plant, die ökologisch durchdacht und ökonomisch in der Unterhaltung sind. In umfassenden Gestaltungskonzepten werden damit Kreativität, Ästhetik, Ökologie, Ökonomie und Technik zusammengebracht. Mit dem Wettbewerb „FirmenGärten“, den die Stadt Hannover 2002 ins Leben rief, setzt die Stiftung DIE GRÜNE STADT Impulse zur Steigerung der „Grünqualität“ auch im Unternehmensbereich. Inzwischen wurde er auch in andere Regionen exportiert. Wer an nachhaltig wirtschaftlichem Erfolg interessiert ist, muss also auch an Naturschutz Interesse haben. Es wird deshalb immer wichtiger, das Bewusstsein in Unternehmen für das eigene Abhängigkeits- und Verantwortlichkeitsverhältnis zur Natur fördern.
Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen, Vorstandsmitglieder von Cradle to Cradle NGO, die Klima- und Ressourcenkrise zusammendenken, verweisen darauf, dass sich im Industriegebiet „Zukunft“ bei Berlin sogar ein Iltis-Paar angesiedelt hat: „Die beiden leben in einem der Naturteiche mit angrenzender Feuchtwiese im Zentrum des Industriegebietes. Weil die Verkehrs- und Transportwege innerhalb des Gebietes zu einem großen Teil auf Brücken verlaufen, konnten die darunter freiliegenden Flächen renaturiert werden. In diesen kleinen Gärten verbringen die Beschäftigten der angesiedelten Unternehmen ihre Mittagspausen.“ Der Cradle to Cradle-Ansatz geht aber noch viel weiter: So bestehen Gebäude, die von C2C inspiriert sind, „aus materialgesunden und kreislauffähigen Baustoffen und Gegenständen, die mehr erneuerbare Energie erzeugen als sie benötigen und durch Begrünung Biodiversität aufbauen sowie Luft und Wasser filtern.“
Das Buch:
- Simone Kern: ÜBERLEBENSKÜNSTLER. Pflanzen, die bei jedem Wetter wachsen. Kosmos Verlag. Stuttgart 2023.
Weiterführende Informationen:
- Gärtnern für den Klimaschutz
- Grüne Grundlage: Netto-Null ist ohne die Natur nicht möglich
- Blühende Bürolandschaften: Die Einbindung der Natur in die Gestaltung der neuen Arbeitswelten
- Phytofuture: Warum wir eine pflanzliche Zukunft brauchen
- Ideen für mehr Artenvielfalt auf Unternehmensflächen
- Blühende Bürolandschaften: Die Einbindung der Natur in die Gestaltung der neuen Arbeitswelten
- Nora Sophie Griefahn und Tim Janßen: Klimaneutral – und dann? In: Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.