Jaadin Grillhouse & Chaadin Teahouse

Die Vielfalt kulinarischer Traditionen setzt den Erhalt von Biodiversität voraus: Zum Terra Madre Day

Der Verlust der biologischen Vielfalt wird der Staatengemeinschaft, nach aktuellen Ergebnissen des Weltbiodiversitätsrats IPBES, jährlich rund 145.000 Milliarden Dollar kosten, mehr als das Eineinhalbfache des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Diese Kosteneinschätzung verkündete Robert Watson, Klima- und Umweltforscher des IPBES, im Rahmen der Aurelio Peccei Lecture in Rom im November 2019. Zurückzuführen sei diese Summe auf den Rückgang der mit dem Biodiversitätsverlust einhergehenden und bislang unterschätzten Ökosystemleistungen. Zu diesen Leistungen der Artenvielfalt für die Ökosysteme zählt er beispielsweise die Bestäubung von Nutzpflanzen und die Wasseraufbereitung. Ein aktueller IPBES-Bericht über Biodiversität und Ökosystemleistungen geht davon aus, dass die biokulturelle Vielfalt in den nächsten Jahrzehnten um weitere 15% zurückgehen wird.

„Die genetische Vielfalt ist unsere Lebensgrundlage und notwendig für die Ernährungssicherung: Was muss noch geschehen, bevor die Entscheidungsträger*innen dieser Welt den Biodiversitätsschutz rechtlich verankern und so für alle Akteur*innen entlang von Produktions- und Lieferketten verbindlich machen? Wenn die unzähligen Studien über die Lage der Artenvielfalt bisher kein Weckruf waren, dann hoffen wir, dass es die Folgen des Biodiversitätsverlusts tun. Wir sind auf die Leistungen der Artenvielfalt für unsere Ökosysteme angewiesen und sollten deshalb vorbeugend auf Biodiversitätsschutz setzen“, kommentierte Dr. Ursula Hudson, Vorstandsvorsitzende von Slow Food Deutschland und Mitglied des Vorstands von Slow Food International, anlässlich des Terra Madre Tags am 10. Dezember. Slow Food ist eine weltweite Bewegung, die sich für ein zukunftsfähiges Lebensmittelsystem einsetzt. Der Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft, des traditionellen Lebensmittelhandwerks und der regionalen Arten- und Sortenvielfalt sind für Slow Food ebenso wichtig wie eine faire Entlohnung für zukunftsfähig arbeitende Erzeuger sowie die Wertschätzung und der Genuss von Lebensmitteln. In Zeiten von Einheitsgeschmäckern und des Verlusts regionaltypischer Sorten und Gerichte feiert das Slow-Food-Netzwerk den 10. Dezember jährlich mit lokalen Lebensmitteln. Weltweit finden diesen Dezember deshalb Hunderte von Events statt.

Thi Loan Strasser, die gemeinsam mit ihrem Mann seit 2011 das Energieunternehmen MEP Werke GmbH führt, hat zusammen mit ihren Brüdern Viet Dúc und Tan Loc 2018 erstes eigenes Restaurant eröffnet – das Jaadin Grillhouse & Chaadin Teahouse in München. Sie stammt aus einer Gastronomie-Familie. Ein eigenes Restaurant war immer ihr großer Traum, den sie allerdings bewusst hintenangestellt hat. „Firma, Kinder und Restaurant gleichzeitig wären einfach zu viel gewesen. Ich bin der Überzeugung, keine halben Sachen zu machen. Daher habe ich mich erst einmal auf meine Kinder und die Firma konzentriert. Umso mehr macht es mich glücklich, meinen Traum nun Wirklichkeit werden zu lassen.“ Im Familienrestaurant können die Gäste vietnamesische Esskultur erleben. Vietnamesische Spezialitäten werden hier nach südostasiatischer „Family Sharing“-Tradition in der Tischmitte angerichtet und in der Gruppe geteilt. Dass das Sharing-Konzept so umfangreich angeboten wird, ist in München neu. Der Schwerpunkt Tee ist ebenfalls selten zu finden, denn Tee ist in Vietnam seit über 800 Jahren fest im Alltag verankert. Das Team möchte seinen Teil dazu beitragen, dass er sich als eine gesunde und vor allem vielseitige Alternative zu Coffee-to-go, Latte Macchiato und Co. entwickelt. Der Tee wird direkt aus Vietnam bezogen, wo er unter fairen Bedingungen angebaut und von Hand geerntet wird. Die verschiedenen Sorten, die allesamt bio-zertifiziert sind, werden als loser Tee sowie als Teemischungen angeboten, die man sowohl heiß als auch kalt genießen kann. Zum Sortiment gehören aber auch vietnamesische Kaffeespezialitäten, Desserts und kleine Köstlichkeiten, wie in Bambuskörbchen zubereitete Dim Sums. Mit vietnamesisch interpretierten Bowls wird ein weiterer Trend aufgegriffen und verleihen diesem eine ganz eigene, individuelle Note.

Auch dass drei Geschwister gemeinsam ein Projekt leiten, ist recht ungewöhnlich. Ihnen war von Anfang allerdings klar, dass sich die Familie als roten Faden einbringen möchte – „nicht nur passiv mit Fotos und Rezepten, sondern auch aktiv im normalen Tagesbetrieb.“ Deshalb heißt das Restaurant auch „Jaadin“, was auf Vietnamesisch „Familie“ bedeutet. Die Speisekarte widmet jedem einen eigenen Bereich mit Gerichten, die er schon früher in Vietnam geliebt hat. Auch die Mutter Thi Nong hat viele Familienrezepte einfließen lassen. Ob vegetarische und vegane Empfehlungen von Thi Loan Strasser, die moderne Barbecue-Variante von ihrem Bruder Viet Dúc oder traditionell vietnamesische Grillkultur nach dem Geschmack von Tan Loc – dank dem Sharing-Konzept kann die gesamte Grillvielfalt probiert werden. Zubereitet werden die vietnamesischen Speisen von Chefkoch Hoang Dinh Thi, dem Lebensgefährten der Mutter, die gleichzeitig die Seele des Hauses ist.

Den Wunsch, ein gemeinsames Restaurant zu besitzen, hatte die Familie bereits, als sie 1979 von Vietnam nach München kam und das Familienlokal in Saigon aufgab. In München musste erst einmal eine neue Existenz aufgebaut werden. Die Eltern fanden Arbeit und die Kinder konnten zur Schule und später zur Universität gehen. Da stand ein Restaurant noch in weiter Ferne, weil jeder seinen eigenen Weg hatte. Erst heute konnten alle an ihrem Traum arbeiten. Da Thi Loans Brüder Tan Loc und Viet Dúc bereits erfolgreich in der Münchner Gastronomie arbeiteten, waren die Voraussetzungen geschaffen. Als dann Pläne entstanden für das neue Viertel Schwabinger Tor, war die gemeinsame Entscheidung für Jaadin und Chaadin schnell gefällt. Alle brachten sich gleichberechtigt ein. Thi Loans jüngste Tochter war bereits bei den Bauarbeiten immer dabei und begleitet ihre Mutter noch immer gerne ins Lokal. Damit ist neben ihrer Mutter und ihren Geschwistern auch schon die nächste Generation eingebunden.

In Vietnam wird anders als in Deutschland gegessen, wo jeder für sich eine volle Portion bestellt. In Vietnam ist es normal, viele kleine Portionen zuzubereiten, von denen jeder beliebig nehmen kann. Dazu gibt es mehrere würzige Dips, um Fleisch, Fisch und Gemüse darin einzutunken. Da ein Großteil der Vietnamesen dem Buddhismus angehört, ist Vegetarismus weit verbreitet. Fleisch wird meist angeboten, wenn man sich nicht sicher ist, ob die Gäste vegetarisch leben oder nicht. Durch das angenehm warme Klima gibt es Obst, Gemüse und Gewürze ganzjährig zu kaufen, weshalb hier gern frisch mit vielen Kräutern gekocht wird. Reis steht fast täglich auf dem Essensplan, sei es pur als Beilage oder verarbeitet wie zum Beispiel zu Brei.

„Durch das Teilen aller Gerichte ist das gemeinsame Essen auch sehr gesellig. Es wird viel über den Tag gesprochen und gelacht. Essen ist bei uns mehr als nur das Stillen von Hunger. Es ist ein richtiges Gemeinschaftsritual, das einen Ruhepunkt im hektischen Alltag schafft“, sagt Thi Loan Strasser, die das Thema Nachhaltigkeit sehr ernst nimmt. Deshalb wird so viel wie möglich auch von regionalen Anbietern bezogen. Eine Ausnahme sind die Tees aus Vietnam. Das bedeutet zwar eine lange Lieferzeit, dafür werden die vietnamesische Wirtschaft und kleinere Teebauern unterstützt, die ansonsten weniger Tee verkaufen könnten zu einem viel geringeren Preis. Für den Anbau der Teesorten wurden Regionen im Hochland gewählt, die als Teeregionen bereits wieder vergessen waren. Das hebt den Lebensstandard in diesen Regionen an und gibt den Mitarbeitern die Chance, von dieser Arbeit zu leben. Dank der geschaffenen Arbeitsplätze ist zum Beispiel die Infrastruktur im Ausbau, was vor allem den folgenden Generationen helfen wird, ihren Lebensstil spürbar zu verbessern.

Dass hier so sehr auf Nachhaltigkeit geachtet, liegt auch daran, dass in Vietnam viele Produkte frisch und ohne Chemie angebaut werden. „Die Felder werden oft noch per Hand bestückt, gepflegt und abgeerntet. Das, was man verkaufen kann, landet selten in einem Supermarkt. Kleine Verkaufsstände, die überall auf den Straßen Vietnams zu finden sind, bieten die Ernte direkt vom Feld an. So ist immer gesichert, dass das Angebotene frisch ist. Dasselbe gilt auch für Fleisch und Fisch. Alles, was gefangen oder geschlachtet wird, wird direkt verarbeitet und dann an den Ständen angeboten. Auch kann das Sortiment sehr günstig angeboten werden, da lange Lieferwege oder Lagerzeiten nicht im Preis mit einberechnet werden müssen. Durch diese schnellen Abläufe kann so zudem auf Konservierungsstoffe verzichtet werden“, so Strasser.

Das soll auch in München umgesetzt werden. Fast alle Zutaten stammen aus dem Umland. Einige Anbieter haben auch ein Bio-Siegel. Dafür ist das Unternehmen gern bereit, auch mehr zu zahlen. Die Verpackungen, die für das Catering genutzt werden, sind ebenfalls aus nachhaltigen Materialien hergestellt wie die Teeverpackungen und die aufgeklebten Label, die per Reisdruck und Sojaölfarben hergestellt sind.

Weiterführende Informationen:

Thi Loan Strasser: Klimawandel in der Wirtschaft. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. 183-194.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Verpackt oder unverpackt? Warum Stoffkreisläufe eine Frage der Nachhaltigkeit sind. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2018.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Küchen-Kultur und Lebensart: Warum Verantwortung nicht zwischen Herd und Kühlschrank aufhört. Amazon Media EU S.à r.l. 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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