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Die Welt am Wendepunkt: Nachhaltigkeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Was es ihrer Meinung nach braucht, ist sofortiges Handeln: gemeinsam und unbedingt. Das meint auch der Begriff Dringlichkeit, der etwas anderes ist als „wichtig“. Es braucht eine höhere Temperatur, damit die „Veränderungsenergie“ wirksam werden kann. In der letzten Zeit vor seinem Tod war der Publizist Roger Willemsen von einer inneren Zwanghaftigkeit getrieben, vor allem auf die blinden Flecken in der Beobachtung der Welt, ihres ökologischen und des gesamten Zustandes, aber auch des Bewusstseinszustandes zu verweisen. Er wollte sich nur Dingen widmen, die wirklich dringlich sind. Viele Freunde und Wegbegleiter, die er mit seinem Wissen und seinen Ideen unterstützt hat, bemerkten in ihren Nachrufen, dass er ihrer Arbeit „neben der ihnen eigenen Dringlichkeit (!) einen besonderen Glanz“ gegeben hat. Ihm blieb am Ende nicht mehr viel Zeit, die noch verbleibende Frist umfänglich zu nutzen. Aber er bezog schon im Leben aus dem Tod „die Dringlichkeit, die ihn vor blödsinnigem Fernsehkarrierismus und tausend anderen Eitelkeitsfallen der Egomanie schützte.“ (Iris Radisch) Die Publikationen dieses viel zu früh verstorbenen Dringlichkeitsarbeiters bringen uns „auf Temperatur“ und geben uns die Veränderungsenergie, jetzt und unbedingt ans Werk zu gehen.

Die Dringlichkeit, sich für mehr Klimaschutz zu engagieren, erkennen weltweit auch immer mehr Vorstände und Führungskräfte, wie auch der neue CxO Sustainability Survey 2022 zeigt. Dafür hat Deloitte mehr als 2.000 C-Level-Führungskräfte in 21 Ländern befragt, darunter 105 Teilnehmer aus Deutschland. Die Studie untersucht die Meinungen und Motivationen der CxOs in Bezug auf Nachhaltigkeit und analysiert die Maßnahmen, die ihre Unternehmen ergreifen, sowie deren Auswirkungen.

  • Bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen ist eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit festzustellen (Unternehmen tun sich beispielsweise schwer mit der Messbarkeit der Nachhaltigkeit).

  • Vorstände nehmen das Thema Klimawandel viel ernster als noch vor ein, zwei Jahren.

  • Der Optimismus, bei sofortigen Maßnahmen gegenlenken zu können, ist ungebrochen, allerdings verspüren deutsche Vorstände noch zu wenig Druck, um die Herausforderungen konsequent anzugehen.

  • Häufig werden Margen- und Kostenfragen angeführt sowie teilweise auch die mangelnde Nachweisbarkeit der Nachhaltigkeit. Folglich tun viele Unternehmen noch zu wenig für eine nachhaltige Transformation - diesbezüglich hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher.

  • Auf globaler Ebene geben rund zwei Drittel der Führungskräfte an, dass ihre Unternehmen den Klimawandel sehr ernst nehmen.

  • 79 Prozent sehen die Welt an einem Wendepunkt, an dem gehandelt werden muss (20 Prozent mehr als in einer ähnlichen Deloitte-Umfrage von Anfang 2021)

  • 97 Prozent der Befragten geben an, dass ihre Unternehmen bereits negativ vom Klimawandel betroffen sind. Etwa die Hälfte sagt, dass ihre Geschäftstätigkeit beeinträchtigt wurde (z. B. durch Störungen der Geschäftsmodelle und der Lieferkette).

  • Vier von fünf CxOs waren in den letzten 12 Monaten persönlich von einem Klimaereignis betroffen. Zudem erhöhen die Stakeholder den Handlungsdruck.

  • 88 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass sich die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels durch sofortiges Handeln begrenzen lassen.

  • 77 Prozent der deutschen Führungskräfte sehen die Welt heute an einem Wendepunkt, um auf den Klimawandel zu reagieren.

  • Zu den wichtigsten Nachhaltigkeitsmaßnahmen gehören die Entwicklung neuer, klimafreundlicher Produkte oder Dienstleistungen und die Modernisierung bzw. Verlagerung von Anlagen, um sie widerstandsfähiger gegen Klimaeinflüsse zu machen. Auch eine Kopplung der Vergütung von Führungskräften an die Nachhaltigkeitsleistung hat sich als zielführend erwiesen, ebenso wie die Anforderung an Lieferanten und Geschäftspartner, bestimmte Nachhaltigkeitskriterien zu erfüllen.

  • Weltweit und in Deutschland werden Maßnahmen zu selten wirksam umgesetzt, auch ist der Klimaschutz nicht in die Unternehmenskultur integriert.

  • Es braucht die nötige Akzeptanz und den Einfluss der Führungskräfte, um einen bedeutenden Wandel zu bewirken (im internationalen Vergleich ist in Deutschland die Vergütungskoppelung der Führungskräfte an gesetzte Nachhaltigkeitsziele unterdurchschnittlich).

  • Auch die Messbar- und Nachweisbarkeit der Nachhaltigkeitsmaßnahmen stellt insbesondere deutsche Unternehmen vor unerwartet große Probleme, was die Diskrepanz zwischen Ambitionen und Maßnahmen weiter verstärkt.

Vollständiger Deloitte CxO Sustainability Survey 2022

Auswertung der CxO Sustainability Studie mit den Resultaten für Deutschland

Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

Niels Pfläging und Silke Hermann: Komplexithoden. Clevere Wege zur (WiederBelebung) von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. Redline Verlag, München 2015.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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