Die Zukunft der Arbeit und der Aufstieg der Ich-AG
Derzeit erleben Millionen von Menschen einen starken Wandel ihrer Arbeitswelt. Der Ausbruch von COVID-19 zwingt viele Menschen dazu, von zu Hause aus zu arbeiten, isoliert und nur virtuell mit ihren Kollegen verbunden (HINWEIS: In diesem Artikel gibt es Tipps zur erfolgreichen virtuellen Zusammenarbeit).
Doch selbst wenn uns das Corona-Virus nicht mehr zum einsamen Arbeiten in der selbstauferlegten Quarantäne zwingt, wird sich unsere Arbeitsweise erheblich verändern und ein Aufstieg des Arbeitens als Einzelperson in einer «Ich-AG» ist absehbar.
Die Zukunft der Arbeit – laut einer Silicon Valley Professorin
Eine Person, die sich seit Jahrzehnten mit der Zukunft der Arbeit beschäftigt, ist Prof. Pamela Hinds, Co-Direktorin des Center on Work, Technology, and Organization (WTO) an der Stanford University im Silicon Valley. In jüngster Zeit hat sich Prof. Hinds mit dem sich wandelnden Charakter der Arbeit angesichts neu aufkommender Technologien befasst. Der Sparkr-Podcast präsentiert ein Gespräch mit Prof. Hinds in voller Länge, wo wir über die Zukunft der Arbeit gesprochen haben und dazu gehört auch der Aufstieg der «Ich-AG».
Der Aufstieg der «Ich-AG»
Bis vor Corona war das Verständnis von «Arbeit» sehr traditionell und wurde nur wenig hinterfragt: Arbeit wird laut Prof. Hinds mit einem Ort assoziiert, wo wir uns hinbegeben, um als Arbeitnehmer unseren Lebensunterhalt zu verdienen. An diesem Ort verbringen wir einen Block von acht oder mehr Stunden pro Tag.
Im heutigen Umfeld, wo viele (vorübergehend oder langfristig?) von zuhause arbeiten, den Kindern Privatunterricht geben und Hausarbeiten oder andere Ablenkungen immer präsent sind, wird offensichtlich, dass «Arbeit» auch anders verstanden werden kann und in Zukunft neu und fluider gedacht werden muss.
Die Veränderungen, die wir aufgrund von Corona aktuell erleben, sind lediglich Vorboten und beschleunigen die langfristigen, tektonischen Verschiebungen in der Arbeitswelt. Doch was sind einige der Veränderungen, die Prof. Hinds in ihrer Forschung feststellt?
Immer mehr Menschen gehen nicht mehr bei einem Arbeitgeber arbeiten, der sie (langfristig) anstellt und bezahlt.
Immer mehr Menschen verweilen, wo sie sind, und erledigen ihre Arbeit von dort aus. Stichwort: home office, remote working resp. Telearbeit usw.
Immer mehr Menschen arbeiten in Form von Wettbewerben: Sie investieren ihre Zeit und werden bezahlt oder auch nicht. Stichwort: Ausschreibungen von kreativen Arbeiten und nur das Gewinner-Team erhält den Auftrag und eine Entlohnung.
Immer mehr Menschen werden nicht mehr angestellt, sondern sind Teil eines Online-Arbeitsmarktes, wo sie für eine Vielzahl von Organisationen oder Einzelpersonen arbeiten. Stichwort: Uber Fahrer, Logo Designer und andere Freelancer.
Zusammengefasst: Wir bewegen uns auf eine Welt zu, in der immer mehr Menschen nicht mehr im traditionellen Sinne angestellt sind, sondern als Ich-AG auf Online-Arbeitsmärkten in einer Auftrags-Ökonomie (bekannt als «gig economy») konkurrieren. Dieser grundlegende Wandel birgt eine Menge an Herausforderungen und Chancen mit sich.
Die Technologien und Transformationen hinter der Ich-AG-Welt
Der Aufstieg der Ich-AG ist nur möglich aufgrund der digitalen Transformation. Doch gehen wir als erstes einen Schritt zurück: Jede Organisation braucht u.a. folgende Dinge, um ihre Ziele erreichen zu können:
Relevante Informationen
Fachwissen, Expertise und Fähigkeiten
Unterstützende Technologien
Effektive Entscheidungswege und Koordination
Wenn man in der Vergangenheit etwas erreichen wollte, musste man eine Organisation aufbauen, um Ressourcen zu bündeln und die Bemühungen zu koordinieren. Heute nicht mehr. Dank des Internets und anderer Innovationen können Einzelpersonen heute schnell und zu sehr geringen Kosten auf relevante Informationen, Fachwissen und Technologien zugreifen und autonom entscheiden. Folglich ist das, was vor nicht allzu langer Zeit nur für grössere Organisationen möglich gewesen wäre, heute auch für kleinere Gruppen von Menschen oder gar für Einzelpersonen machbar. Ein wichtiges Puzzle-Teil hierfür ist das Konzept der «offenen Innovation» oder «open innovation». Dafür können heute beispielsweise agile Innovations-Ökosysteme gebaut werden, wo die richtigen Partner zusammenarbeiten (HINWEIS: In diesem Artikel erfahren Sie mehr zu Innovation in Ökosystemen). Auf diese Art der Innovation werde ich in einem separaten Artikel eingehen – Sie können mir hier auf Xing folgen, um informiert zu werden, sobald dieser Artikel veröffentlicht wird.
Diese Entwicklungen schaffen die technischen und betriebswirtschaftlichen Voraussetzungen der Ich-AG-Welt, in der Menschen zunehmend als Einzelpersonen arbeiten und mit anderen konkurrieren – mit all den befreienden und beängstigenden Folgen für die Zukunft der Arbeit.
Wer stiftet Sinnhaftigkeit in der Ich-AG-Welt?
Solche Transformationen haben aber auch soziologische und psychologische Konsequenzen. Sie haben einen soziologischen Einfluss auf die Gesellschaft insgesamt (Stichwort: Atomisierung, kollektive Vereinsamung usw.) und einen psychologischen Einfluss auf das mentale Wohlbefinden der einzelnen Menschen. Die veränderten Arbeitsbedingungen in Zeiten von Corona-Lockdowns sind ein Vorgeschmack für einen langfristigen Trend der Individualisierung der Arbeitswelt.
Fokussieren wir uns einen Moment auf das Thema Sinnhaftigkeit: Laut Prof. Hinds deuten die meisten Untersuchungen darauf hin, dass die Sinnhaftigkeit der Arbeit immer mehr in den Mittelpunkt rückt und der Anspruch an Sinnhaftigkeit bei der Arbeit zunimmt. Damit Mitarbeiter sich stark engagieren, müssen sie ein Gefühl für den Sinn der Arbeit haben. Doch die Werte und Visionen von Arbeitgebern tragen nicht nur zur Leistungssteigerung von Mitarbeitenden bei, sondern dienen auch dazu, Talente anzuziehen und zu halten. Die Bedeutung von Werten und Storytelling sind Teil dieser Sparkr-Podcast-Episode mit einem Experten von Apple (ehemals, jetzt auch bei Stanford).
Kann Sinnhaftigkeit langfristig auch über virtuelle Kollaboration vermittelt werden? Was wenn die traditionelle, beständige Beschäftigung im Anstellungsverhältnis als Quelle von Identität und Sinnhaftigkeit verschwindet? Woher werden die Menschen in der Ich-AG-Welt ihre Sinnhaftigkeit erhalten und wessen Verantwortung wird es sein, diese zu stiften? Kann die atomisierte und individualisierte «gig economy» die gleiche Art von Sinnhaftigkeit stiften oder sogar mehr? Laut Prof. Hinds stehen wir am Anfang dieser Transformation und wir wissen noch nicht wirklich, was sie bedeuten wird.
Resilienz als Erfolgsfaktor
Die Vermutung liegt nahe, dass das Stiften von Sinnhaftigkeit zunehmend in der Eigenverantwortung jedes Einzelnen liegen wird. Dies kann für viele eine grosse Herausforderung darstellen. Dies ist unter anderem deshalb bedenklich, weil aus der Stress- und Resilienzforschung bekannt ist, dass Sinnhaftigkeit einen sehr grossen positiven Einfluss auf die mentale Gesundheit und Belastbarkeit von uns Menschen hat. Wer mehr zum Thema Resilienz im Privat- und Arbeitsleben erfahren möchte, kann hier einen ausführlichen Artikel lesen resp. ein Experten-Interview anhören:
Resilienz Artikel (und hier als kostenloser Download)
Buchempfehlung für die Ich-AG-Welt: Das Start-up bist du
Wer sich noch mehr damit beschäftigen will, wie man als Ich-AG in der vernetzten Welt vorankommt, kann sich das Buch «The Start-up of You» vom Linkedin Gründer Reid Hoffmann anschauen.
Serie zur Zukunft der Arbeit
Dieser Artikel ist der Auftakt zu einer 3-teiligen Serie zum Thema Zukunft der Arbeit. Sie können mir hier auf Xing folgen, um ein Update zu erhalten, sobald auch die anderen Artikel der Serie veröffentlicht werden. Oder Sie schauen sich die bereits veröffentlichten Artikel in meiner Artikelsammlung an. Die Serie umfasst:
Teil 1: Zukunft der Arbeit und Aufstieg der Ich-AG
Teil 2: Open Innovation als Erfolgsfaktor
Teil 3: Was wir von Start-ups lernen können
Die Artikel basieren auf dem ausführlichen Gespräch mit Prof. Hinds von Stanford (Silicon Valley), eigenen Erfahrungen und weiteren Quellen, die jeweils in den Artikeln verlinkt sind. Wer sich das Gespräch mit Prof. Hinds komplett anhören möchte (nur auf Englisch), kann dies hier tun:
Sparkr Podcast mit Prof. Hinds
Wer noch weitere spannende Gespräche anhören möchte mit führenden Persönlichkeiten aus Firmen wie Apple, Facebook oder Interviews mit unabhängigen Experten zu Themen wie Künstlicher Intelligenz oder Kreativität, findet alles auf www.sparkr.ch/podcast.
Coaching für die Ich-AG und Sparring für Führungskräfte
Wenn Sie sich mit Ihrer Zukunftsplanung und der Weiterentwicklung Ihrer «Ich-AG» auseinandersetzen möchten, stehe ich Ihnen gerne für ein Erstgespräch zur Verfügung. Als Inhaber der Agentur Sparkr begleite ich zahlreiche Unternehmer*innen und Entscheidungsträger*innen als Coach und Sparring Partner. Erfahren Sie mehr auf meiner Website.