Echte Kultur statt Obstkorb – wie wir die Kündigungswelle verhindern
Eine Zahl hat mich in der vergangenen Woche nachdenklich gemacht: 75 Prozent der Beschäftigten in Deutschland denken über einen Jobwechsel nach – zumindest gelegentlich …
Die Zahl ist so hoch wie nie zuvor in der Erhebung und hat sicherlich auch mit den vergangenen Monaten zu tun. Weniger denn je sind Menschen heute bereit, ihr Leben nur nach ihrem Job oder gar ihrem physischen Arbeitsplatz auszurichten – das wissen wir schon lange, wenn wir uns mit jungen Kolleginnen und Kollegen der Generation X und Y austauschen. In den USA ist bereits eine massive Kündigungswelle in Gange, die von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgeht. In Deutschland wäre eine ähnliche Entwicklung katastrophal, denn schon heute ist eine Rekordzahl qualifizierter Stellen unbesetzt. Wie steuern wir also dagegen? Was können wir als Unternehmen und Führungskräfte tun, damit sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauerhaft wohlfühlen? Was haben wir, von Obstkörben und iPads mal abgesehen, eigentlich zu bieten, um Talente für zu begeistern?
Der Beginn einer großen Umwälzung
Damit hier keine Missverständnisse entstehen: Ich bin ein großer Fan von Obstkörben und greife im Büro selbst gern mal zu einem Apfel. Ich glaube allerdings nicht, dass solche Maßnahmen in heutigen Zeiten noch ein adäquates Mittel sind, Talente zu gewinnen oder zu binden. Denn die Pandemie hat Arbeitsgeber zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt getroffen, wir erleben gerade nur den Beginn einer großen Umwälzung: Rund fünf Millionen Babyboomer werden in den nächsten zehn Jahren einen Arbeitsmarkt verlassen, in dem sowieso schon heute eine Rekordzahl von fast 800.000 Stellen unbesetzt sind und sich die Anzahl der Online-Stellenangebote verdoppelt hat. Zugleich sind mit den Millennials und den nachfolgenden Jahrgängen jetzt Generationen am Arbeitsmarkt präsent, die einen anderen Wertekompass und andere Bedürfnisse haben als ihre Vorgänger. Gehalt, Statussymbole, Karriere, Sicherheit – das, was für die Babyboomer wichtig war, weicht dem Wunsch nach Freiheit, Flexibilität und sinnstiftender Arbeit.
Diese Entwicklung hat durch die Pandemie enorm an Dynamik hinzugewonnen: Homeoffice ist nicht mehr die Ausnahme, sondern bei Wissensarbeitern Normalität. Es gibt eine nie da gewesene Freiheit bei der Wahl des Arbeitsplatzes – und damit auch des Arbeitgebers. Zugleich sinkt durch Homeoffice, mangelnden Kontakt und Fluktuation in vielen Organisationen der Zusammenhalt.
Ich kann das gut nachvollziehen: Ich habe mitten im Lockdown meinen Job bei der NEW WORK SE angetreten, aber selbst beim allerbesten Willen und einem super Team ist es ungleich schwieriger, mit einer Kachel auf dem Monitor eine Verbindung herzustellen als mit einer realen Person bei einem gemeinsamen Kaffeetrinken. Zudem ist in einer Zeit großer gesellschaftlicher und innerlicher Reflexion die Sinnfrage in den Vordergrund gerückt – was will ich mit meinem Leben machen? Bin ich überhaupt beim richtigen Unternehmen gelandet? Kurzum: Der „Cultural Fit“ wird zu einem immer wichtigeren Kriterium bei der Wahl des Arbeitsgebers.
Arbeitgeber sind in der Bringschuld
Unternehmen müssen sich darüber klar sein, dass sich damit auf dem Arbeitsmarkt gerade ein dramatischer Machtwechsel vollzieht: In vielen Bereichen haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Moment schlicht und einfach die besseren Karten – und damit die Wahl. Heute sind es vielmehr die Unternehmen, die sich um Talente bewerben müssen, nicht umgekehrt. Wir werden mittelfristig von Arbeiterlosigkeit statt von Arbeitslosigkeit sprechen müssen. Deswegen haben Menschen heute mehr Mut zu Brüchen in ihrem Lebenslauf. Eine mehrmonatige Auszeit muss heute niemand mehr verschämt erklären. Und die Tatsache, dass es leichter denn je ist, nach so einer Auszeit einen neuen Job zu finden, trägt dazu bei, dass der Cultural Fit immer öfter zur Entscheidung für oder gegen ein Unternehmen wird.
Wie aber schaffe ich es, eine Kultur aufzubauen, in der neue Leute gerne mein Team bereichern und alteingesessene bleiben möchten? Untersuchungen zeigen, dass es hierfür durchaus messbare Erfolgskriterien gibt. So steigt mit der Eigenverantwortung auch die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das gilt ebenso, wenn Organisationen transparent kommunizieren, ihre Führungskräfte auf Augenhöhe mit ihren Teams agieren und als inspirierende Coaches wahrgenommen werden, nicht als alleswissende Despoten. Kurzum: Viele Organisationen werden um eine grundlegende Modernisierung ihrer Kultur nicht umhinkommen, wollen sie nachhaltig erfolgreich bleiben.
Aber auch der Arbeitsplatz selbst wird zum entscheidenden Erfolgsfaktor, auch wenn das momentan paradox klingen mag. In Zukunft werden wir sicherlich weiter hybrid arbeiten, aber der Anteil an Arbeit, die remote gemacht werden wird, wird wieder sinken. Davon bin ich mit ganzer Seele überzeugt, denn wir Menschen sind soziale Wesen. Und damit wird auch das Büro eine andere Rolle als vorher übernehmen. Es wird sich verwandeln von einem Ort, an den man sein musste, um seine Arbeit zu erledigen, zu einem sozialen Zentrum, an dem wir uns austauschen, Meetings haben, Aufgaben im Team erledigen und Kontakte pflegen. Wir sind dafür mit unserem Büro, dem NEW WORK Harbour, zum Glück bestens aufgestellt. Auch wenn wir ihn nach dem Einzug im vergangenen September nur acht Wochen vollständig nutzen konnten, bevor wir pandemiebedingt wieder zurück an den heimischen Schreibtisch gezogen sind, hat er uns gezeigt, was alles möglich ist an so einem sozialen Ort. Nur ein Beispiel: Wir haben eine eigene Kiezkneipe auf der letzten Etage, sie war in den ersten Wochen für Events komplett ausgebucht. Und ich freue mich jetzt schon darauf, so schnell wie möglich wieder mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit Partnern und Gästen dort Begegnungen, mit Blick auf die schönen Weiten des Hamburger Hafens, zu zelebrieren.
In diesem Sinne: Einen guten Start ins neue Jahr, in dem wir hoffentlich Licht am Ende des Pandemietunnels sehen und wieder mehr und regelmäßige echte Begegnungen haben, die das Miteinander stärken.