Der Druckluftdemonstrator liefert permanent Daten zum Trainieren selbstlernender Algorithmen. - Fraunhofer IPA

Ein Grundstein für den Einsatz künstlicher Intelligenz zur Bekämpfung von Druckluftleckagen

Mit dem Druckluftdemonstrator will das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA den Grundstein für den Einsatz künstlicher Intelligenz zur Bekämpfung von Druckluftleckagen legen und die Auswirkungen von Druckluft-Leckagen live sichtbar machen.

Für den Bau des Demonstrators beauftragte das Forschungsinstitut den süddeutschen Druckluft- und Pneumatikspezialisten Mader. "Ganz bewusst" Druckluft-Leckagen in einer Anlage zu erzeugen, war für die Pneumatikexperten des Unternehmens eine ungewohnte Anforderung, denn es gilt sonst die oberste Prämisse, dass Leckagen im System vermieden werden, da sie für einen Großteil der Verluste in einem Druckluftsystem verantwortlich sind. Bis zu 30 Prozent der Energie werden durchschnittlich über Leckagen „verblasen“. „Bei 60.000 Druckluftanlagen in Deutschland und einem Stromverbrauch von 16,6 Terrawattstunden pro Jahr könnte allein durch die Beseitigung von Druckluft-Leckagen so viel Strom eingespart werden, wie Hamburg und München zusammen pro Jahr verbrauchen.“ (Quelle: Pressemitteilung Mader v. 10.1.2020).

Prof. Dr.-Ing. Alexander Sauer ist Erfinder des Energieeffizienz-Index der Industrie, Leiter der Ultraeffizienzfabrik und Sprecher des Kopernikus-Projekts SynErgie, einem der größten wissenschaftlichen Projekte im Rahmen der Energiewende. Am Fraunhofer IPA leitet er den Bereich „Ressourceneffiziente Produktion“, zudem ist er Leiter des Instituts für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart. Druckluft-Leckagen stehen hier im Fokus, deshalb ist es ihm ein wichtiges Anliegen, gemeinsam mit den Forschern des Fraunhofer IPA Künstliche Intelligenz (KI) dazu zu nutzen, Leckagen in Druckluftsystemen schnell und gezielt zu ermitteln. Der Druckluftdemonstrator, der hier in Zusammenarbeit mit Mader konstruiert wird, soll die Datengrundlage hierfür liefern. „Der Demonstrator schafft die Basis für unsere datengetriebene Produktionsforschung, etwa durch das Trainieren selbstlernender Algorithmen“, erläutern Christian Dierolf und Christian Schneider vom Fraunhofer IPA.

Zunächst muss aber verstanden werden, wie sich eine Undichtigkeit im System bemerkbar macht. Hierfür wurde ein Handlingsystem aufgebaut, das eine automatisierte Fertigung simuliert. An vier Stationen (pressen, schwenken, aufnehmen mittels Vakuums und transportieren) können jeweils maximal vier unterschiedliche Szenarien gewählt werden: alles dicht, Knick im Schlauch, Loch im Schlauch und mechanische Undichtigkeit. „Egal welche Szenarien gewählt werden, die Messwerte, das heißt der Volumenstrom und der Druck, sind jederzeit auf dem Display ablesbar“, sagt Vasileios Balachtsis, der das Projekt Mader intern koordinierte und hier auch verantwortlich für das Innovationsmanagement ist.

Alle Mess- und Sensordaten werden zusätzlich mittels OPC UA automatisiert auf die Industrie-4.0-Plattform „Virtual Fort Knox“ übertragen. Dort werden sie für weiterführende Analysen verarbeitet. „Allerdings hat man bei solchen IIoT-Projekten in den seltensten Fällen eine komplett unkomplizierte Ausgangslage – das heißt Sensoren und Messgeräte, die alle die gleichen Schnittstellen und Übertragungsprotokollen nutzen“, erklärt Balachtsis. „So war das auch in diesem Fall. Wir haben sowohl analoge als auch digitale Sensoren mit IO-Link-Anbindung eingesetzt. Die besondere Herausforderung lag in der Synchronisation der Übertragungsgeschwindigkeiten, um eine flüssige Datenübertragung sicherzustellen.“ Die Herausforderung hat er gemeinsam mit seinem Kollegen Thomas Lang, Projektmanager Pneumatik, und einem Steuerungstechniker gemeistert. „Das Ergebnis ist ein Demonstrator, der umfangreiche Daten für die automatisierte Erkennung von Druckluft-Leckagen erzeugt und bereitstellt. Darüber hinaus nutzt ihn das Fraunhofer IPA in Seminaren zu Demonstrationszwecken“, so Balachtsis.

Aus seiner täglichen Unternehmensarbeit weiß er, wie wichtig Transparenz ist, wenn es um Druckluft geht. „Wenn Seminarteilnehmer live sehen, welche direkte Folge ein geknickter Schlauch oder gar eine Leckage im System haben, werden sie eher bereit sein sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.“ Dann steige auch die Bereitschaft, Leckagen zu ermitteln und zu beseitigen.

Heute werden Leckagen im Druckluftsystem noch standardmäßig mit Hilfe von Ultraschalltechnologie geortet.

„Ultraschall macht das ‚Pfeifen‘ der kleinsten Leckage hörbar. Das ist bei laufendem Produktionsbetrieb möglich, erfordert aber entsprechenden Aufwand, weil man die Ortung direkt vor Ort durchführen muss“, bemerkt Marina Griesinger, Leiterin Energieeffizienzmanagement bei Mader. „Die Rentabilität einer solchen Ortung und anschließenden Beseitigung ist dennoch sehr hoch – sowohl wirtschaftlich als auch, was die Einsparung von CO2 betrifft.“ Das Fraunhofer IPA hat sich zum Ziel gesetzt, den Prozess weiter zu optimieren. Mit etwa 1 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist es eines der größten Institute der Fraunhofer-Gesellschaft. Das Jahresbudget beträgt 68 Millionen Euro, davon stammt mehr als ein Drittel aus Industrieprojekten. 15 Fachabteilungen arbeiten interdisziplinär, koordiniert durch sechs Geschäftsfelder, vor allem mit den Branchen Automotive, Maschinen- und Anlagenbau, Elektronik und Mikrosystemtechnik, Energie, Medizin- und Biotechnik sowie Prozessindustrie zusammen. Hier werden auch Recyclingverfahren und –anlagen zur Rohstoffrückgewinnung aus komplexen Produkten entwickelt. An der wirtschaftlichen Produktion nachhaltiger und personalisierter Produkte orientiert das Fraunhofer IPA seine Forschung.

Der Druckluftdemonstrator schafft die Basis für die datengetriebene Produktionsforschung etwa durch das Trainieren selbstlernender Algorithmen.

Künftig sollen mit deren Hilfe Leckagen nicht nur ermittelt und lokalisiert, auch die Bezeichnung und Bestellnummer des betroffenen Bauteils soll per App ausgespielt werden. So spart der Druckluftverantwortliche Zeit und minimiert insbesondere die Ausfallzeiten. Bis diese Ideen Realität sind, bleibt für alle noch viel zu tun. Dank der Leckage-App und der Druckluft-Software LOOXR konnte der Ortungs- und Beseitigungsprozess schon deutlich optimiert werden, sagt Marina Griesinger: „Unsere Mission ist, Druckluftprozesse maximal effizient zu gestalten – energetisch wie wirtschaftlich. Die Digitalisierung spielt uns da mit jedem Fortschritt und jeder neuen Erkenntnis in die Karten.“

Ich danke Ulrike Böhm für die zur Verfügung gestellten Informationen und Fotos.

Weiterführende Literatur:

CSR und Energiewirtschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. SpringerGabler Verlag. Heidelberg, Berlin 2020.

Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Wirtschaft im Zukunfts-Check. So gelingt die grüne Transformation. Oekom Verlag. München 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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