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Etwas verstanden haben heißt, es reparieren zu können

In immer kürzeren Abständen versagen Maschinen, Gerätschaften und Alltagsprodukte ihren Geist, weil sie ein eingebautes Verfallsdatum haben, das Konsumenten zwingt, sofort neue zu kaufen. Langlebigkeit erscheint vor diesem Hintergrund vielen Menschen als ein „anachronistisches” Qualitätskriterium. Die meisten haben den Konsum zu lange exzessiv gelebt und sich daran gewöhnt, nach Ablauf der Garantiezeit alte Produkte zu entsorgen. Diese Fragen sollten heute vor jedem Kauf stehen: Brauche ich das wirklich? Lässt sich das Produkt reparieren? Wie wird es entsorgt?

Wir begreifen von außen Dinge nur, die wir auch von innen verstehen

So sollten sich Produkte auseinanderbauen und selbst reparieren lassen können. Wolfgang M. Hecke, der zur Spitze der Do-it-Yourself-Bewegung gehört, schreibt in seinem Buch „Die Kultur der Reparatur“: "Die Kultur der Reparatur basiert auf Kenntnissen, auf Können, auf analytischem Denken, aber auch auf Lebensklugheit, auf Wertschätzung und, vor allem Achtsamkeit. Wie ich mich gegenüber materiellen Dingen aus meiner Umgebung verhalte, sagt etwas über mich als Mensch." Zugleich erbringt er den Nachweis, dass es 10.000 Jahre lang normal war, Dinge auseinanderzunehmen, defekte Gegenstände zu reparieren und zu verbessern. Daraus wuchs der technische Fortschritt. Dinge wegzuwerfen hat sich erst in den letzten Jahrzehnten etabliert.

Reparieren hat mit Ermächtigung zu tun, denn wer etwas reparieren möchte, muss zuvor verstanden haben und ein Könner sein. Auf die Wirkung der manuellen Praktiken von Reparatur auf die Mensch-Ding-Beziehung verwies bereits der US-amerikanische Soziologe Richard Sennett in einem Buch „Handwerk“ (2007).

Vorteile des Reparierens:

• Förderung der eigenen Urteilsfähigkeit

• Verminderung der Ausbeutung von Mensch und Natur

• Einsparung von Ressourcen und Transporten

• Einbeziehung aller Generationen

• Stärkung des lokalen Geistes von Gemeinden und Gemeinschaften

• Freude am Tun

• Stärkung der handwerklichen Intelligenz

Was uns im Innersten zusammenhält

Reparaturen ersparen nicht nur Neukäufe, „sondern strahlen auch positiv in unsere emotionalen Beziehungen aus“, schreibt Wolfgang Schmidbauer, der in den 1970er-Jahren einer der ersten Kritiker der Konsumgesellschaft aus ökologisch-psychologischer Sicht war, in seinem aktuellen Plädoyer für das Reparieren. Es ermöglicht uns, die Geschichte einer Störung zu lesen und daraus Schlüsse zu ziehen, wie wir sie beheben oder ihr vorbeugen können. Dumm sind für Schmidbauer Dinge, von dessen Funktionsstörungen wir nichts lernen können. Ergänzt werden die zahlreichen Anregungen zur Entwicklung einer Reparaturgesellschaft um den psychologischen Aspekt: Es geht um die Freude am Reparieren, aber auch um den Zusammenhang zwischen der Konsumgesellschaft und den Neurosen, unter denen Menschen leiden. „Das Modell von Ex-und-hopp lädiert nicht nur die Umwelt, sondern auch die Innenwelt. Es richtet sich gegen das Wesen der Humanität: die Verlässlichkeit von Bindungen.“ Aber auch unsere Arbeit hat weder Wert noch Würde, wenn sie nur „dem schnellen Nutzen dient und Menschen austauschbare Glieder einer Produktionskette werden.“

Kultur der Reparatur

Seit einigen Jahren gibt es eine neue kulturkritische Haltung: „Statt kaputt zu machen, was einen kaputt macht – repariert man’s.“ Anfang 2014 begann das Netzwerk REPARATUR-INITIATIVEN mit seiner Arbeit. Auf der Plattform www.reparatur-initiativen.de kann jeder seine Reparaturdaten selbst einpflegen. So entsteht und wächst eine gemeinsame Statistik des ehrenamtlichen Reparierens. Gemeinsam mit den Partnerinstitutionen Runder Tisch Reparatur und Open Repair Alliance werden die Reparaturergebnisse im Netzwerk erfasst, damit das zivilgesellschaftliche Reparieren auch zahlenmäßig sichtbar wird und eine stärkere Stimme erhält.

An hunderten Orten treffen sich Menschen, um in Repair-Cafés, Elektroniksprechstunden, Reparier-Bars oder Ganz-Mach-Läden kaputte Alltagsgegenstände wieder funktionstüchtig zu machen. Anleitungen zum Selberreparieren finden Interessierte auch auf der Online-Plattform des Berliner Unternehmens kaputt.de. Hier können Verbraucher, deren Handy beispielsweise nicht mehr funktioniert, ein Ersatzteil oder den Reparaturdienst bestellen.

Recht auf Reparatur

Am 11. März 2020 stellte die Europäischen Kommission ihren Aktionsplan zur Kreislaufwirtschaft vor. Er enthält wesentliche Elemente, um das “Recht auf Reparatur” in Europa zu verwirklichen. Der Fünfjahresplan skizziert die von der Europäischen Kommission geplanten Maßnahmen, um von dem verschwenderischen “take-make-use-dispose”-Wirtschaftsmodell zu einem System zu gelangen, in dem nachhaltigere Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle zur neuen Norm werden. Die Strategie erfüllt den dringenden Bedarf an einem politischen Rahmen, der den verschwenderischen Verbrauch und die eingebaute Obsoleszenz vieler Produkte verhindert. Sie müssen für biologische oder technische Kreisläufe designt werden, denn nur so ist gewährleistet, dass sie biologisch abgebaut oder in hoher Qualität wiederverwendet werden können. Versprochen wird auch, dass VerbraucherInnen bei Einkäufen besser informiert werden.

Der erste Prüfstein für die Kommission von Ursula von der Leyen wird die Veröffentlichung des nächsten Ökodesign-Arbeitsplans sein. Das Dokument soll in den nächsten Monaten angenommen werden und wird die Arbeit der Kommission in Bezug auf viele umweltschädliche Produkte bis zum Ende ihrer Amtszeit leiten. Das Europäische Parlament erarbeitet auch einen eigenen Initiativbericht über geplante veraltete und länger haltbare Produkte aus, der die weitere politische Richtung vorgeben wird.

Weiterführende Informationen:

Link zum Aktionsplan Kreislaufwirtschaft der EU

Umwelt-Tipps für Handys, Computer & Co.

Andrea Baier, Tom Hansing, Christa Müller, Karin Werner (Hg.): Die Welt reparieren. Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis. Transcript Verlag, Bielefeld 2016.

Wolfgang Schmidbauer: Die Kunst der Reparatur. Ein Essay. oekom Verlag, München 2020.

Stefan Schridde: Murks? Nein danke! Was wir tun können, damit die Dinge besser werden. Oekom Verlag München 2014.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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