Dr. Bernd Slaghuis

Dr. Bernd Slaghuis

für Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Experten-Hörigkeit: Diese Karriere-Tipps sind der Wahnsinn!

Bild: gratisography.com

Karriere- und Bewerbungstipps boomen. Warum es gefährlich sein kann, Tipps blind zu vertrauen. Über Experten-Hörigkeit und den Verlust von Selbstvertrauen und gesundem Menschenverstand.

Und hier ist mein ultimativer Tipp, wie Sie ganz leicht die Wahrscheinlichkeit auf ein Vorstellungsgespräch erhöhen und den Job fast schon sicher in der Tasche haben:

Setzen Sie sich beim nächsten Shooting für das Bewerbungsfoto eine rote Nase auf.

Ja, Sie haben richtig gelesen: Meine Erfahrungen mit über 1.000 Bewerbern beweisen eindeutig: Bewerber mit roter Clown-Nase werden von Arbeitgebern bevorzugt. Die Einladungsquote liegt bei über 75 Prozent! Herkömmliche Bewerbungen mit klassischem Foto schaffen es gerade einmal auf eine Quote von 10 Prozent.

Der Extra-Tipp:

Richten Sie Ihren Blick beim Shooting für das Bewerbungsfoto nach unten rechts.

Der geniale Effekt: Wenn Sie Ihr Foto oben rechts auf dem Lebenslauf positionieren, dann lenken Sie die Aufmerksamkeit durch Ihren Blick auf Ihre Daten und Berufserfahrung. Zudem sehen Sie dem Leser nicht direkt in die Augen, das empfinden Personaler als weniger aufdringlich und sympathischer. In Kombination mit der roten Nase konnten Bewerber so ihre Einladungsquote sogar auf 95 Prozent steigern.

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Diese Karriere- und Bewerbungstipps sind der Wahnsinn!

ACHTUNG! Bitte gehen Sie KEINE rote Nase kaufen und lesen Sie weiter.

Denn natürlich habe ich mir das alles ausgedacht. Obwohl - wahrscheinlich würden Sie mit roter Clown-Nase und schrägem Blick, verpackt mit einer guten Bewerbungs-Story, tatsächlich die Aufmerksamkeit so mancher Personaler erzeugen und neugierig eingeladen werden. Wer weiß?

So absurd mein „Experten-Tipp“ hoffentlich klingt, so viele solcher Karriere- und Bewerbungstipps geistern heute ernst gemeint als garantierte Erfolgsversprechen durch die Medien und manche Karriere-Portale:

Vielleicht kommt Ihnen hiervon ja auch etwas bekannt vor:

  • Setzen Sie sich als Bewerber aufrecht auf das vordere Drittel des Stuhls.
  • Ihre Füße müssen im Gespräch in Richtung des Gesprächspartners zeigen.
  • Verzichten Sie im Bewerbungsgespräch auf alle unnötigen Füllwörter.

  • Warten Sie im Gespräch mit Ihren Fragen, bis Sie dazu aufgefordert werden.

  • Ein gutes Bewerbungsschreiben hat drei Absätze.

  • Erwähnen Sie als Frau im Lebenslauf nicht Ihr Geburtsdatum.

  • Der Lebenslauf darf niemals länger als zwei Seiten sein.

  • Kaschieren Sie Lücken im Lebenslauf als Sabbatical oder Weiterbildung.

  • Streichen Sie persönliche Daten und das Foto aus dem Lebenslauf.

  • Beeilen Sie sich, denn mit 40 ist die Karriere vorbei.

Was macht es mit einem Bewerber, der aufgeregt bei der Vorbereitung des nahenden Gesprächs liest, worauf er bei Körperhaltung und Wortwahl zu achten hat? Was macht es mit Berufserfahrenen Mitte 40, die Lust haben, sich beruflich weiter zu entwickeln oder sogar neu zu orientieren?

Viele von ihnen sitzen mir im Coaching gegenüber: Angestellte, die mit 35 der Meinung sind, sie seien auf dem Arbeitsmarkt nichts mehr wert. Erwachsene Menschen, die mich fragen „Darf ich mich im Vorstellungsgespräch auch im Stuhl anlehnen?“ Bewerber, die sich für ihre Lebensläufe schämen, weil sie ihre Angehörigen gepflegt oder sich bewusst entschieden haben, einige Wochen zwischen zwei Jobs das Leben zu genießen.

Solche Tipps machen Jobwechsler und Bewerber schwach. Sie verunsichern, verwirren und verschwenden Energie. Wertvolle Energie, die in der Orienterungsphase für einen klaren Blick und spätestens in der Gesprächssituation als Bewerber für gute Antworten und ein gesundes Selbst-Bewusstsein nötig ist.

Experten-Tipps: Einfache Regeln für garantierten Erfolg?

Drüben bei mir im Blog habe ich kürzlich über die 10 überraschendsten Fragen von Bewerbern geschrieben, die sie mir im Coaching regelmäßig stellen. Auch solche Fragen sind Ausdruck von Unsicherheit und großer Verwirrung und sie haben ihren Ursprung in der Fülle der heute auf Knopfdruck schnell verfügbaren Massenware-Tipps - und dem eigenen Umgang damit.

Alle diese Ratschläge funktionieren wie mein Beispiel oben: Sie versprechen schnellen Erfolg durch vermeintliche Wenn-Dann-Wahrheiten: „Wenn Sie ab sofort X tun, dann werden Sie ganz sicher Y werden/können/sein“. Einfache Tipps als todsichere Rezepte. Für jedermann verständlich und sofort leicht umsetzbar. Echte Klick-Garanten vor allem für werbefinanzierte Online-Portale.

Es passt in unsere Zeit: Eine extrem schnelle Arbeitswelt, komplex und auf Effizienz getrimmt. Eine Zeit, in der Information und Wissen in Sekundenschnelle beschafft werden können. „Google weiß alles“, sagt mein Vater (81). Doch hat das „Internet“ auch immer Recht?

Mein Tipp am Rande :-)  Achten Sie darauf, aus welcher Quelle Karriere- und Bewerbungstipps stammen. Ich beobachte, dass zunehmend anglo-amerikanische Quellen 1:1 übersetzt und als News im deutschen Markt platziert werden. Doch dass (US-)Lebensläufe kein Foto enthalten, würde Bewerber auf dem deutschen Arbeitsmarkt bei den meisten Arbeitgebern disqualifizieren.

Bedingungslose Experten-Hörigkeit statt Selbstverantwortung

Haben wir verlernt, selbst Antworten auf solche Fragen zu finden, die unser individuelles Denken und Verhalten betreffen? Haben wir vergessen, darauf zu achten, was uns wirklich wichtig ist? Oder ist es zu anstrengend, regelmäßig die eigenen Bedürfnisse, Werte und Ziele zu reflektieren? 

Sich etwa selbst als Bewerber bewusst zu machen, was eine gute (Körper-)Haltung ist und darauf zu vertrauen, sich als erwachsener Mensch in einer bestimmten Situation angemessen verhalten zu können.

Haben wir gelernt, dass Expertenweisheit wertvoller oder im rasanten Alltag sicherer ist als das eigene Selbstvertrauen oder unser gesunder Menschenverstand? Geht es nur noch um Schnelligkeit und jederzeitig fehlerfreies Funktionieren? "Das macht man so!" scheint jedenfalls für viele Menschen heute die bessere Lösung zu sein als "ICH entscheide mich dafür, es so zu machen". 

Können wir im digitalen Informationsrausch nicht mehr unterscheiden, ob es um die Bedienungsanleitung als PDF-Datei für das neue Smartphone oder um die „Bedienungsanleitung“ für uns selbst geht?

Sind wir dem Irrglauben erlegen, wir könnten den Menschen mit seinem Denken und Handeln ebenso digitalisieren wie Technik, Systeme und Prozesse?

Warum vertrauen Bewerber blind und ohne Bedenken einem Karriereportal, auf dem sie lesen: „Ein Anschreiben muss aus drei Absätzen bestehen und darf nicht länger als eine Seite sein“? Gleichzeitig erkennen sie selbst, wie schrecklich das unleserliche Ergebnis aus falschen Absätzen und vollgequetschtem Text aussieht. „Aber wenn es doch da steht!“, höre ich sie sagen.

Bedingungslose Experten-Hörigkeit bedeutet, die eigene Selbstverantwortung abzugeben. „Wenn der Karriere-Experte das sagt, dann muss es ja stimmen!“ mit der Folge: „Wenn es nicht klappt, bin ich es auch nicht schuld“.

Immer mehr Klienten kommen zu mir ins Coaching, um genau solche schnellen Tipps und sicheren Ratschläge abzugreifen. Manchmal auch, um sich die Erlaubnis für den nächsten Karriereschritt von mir abzuholen. „Ja, machen Sie das. Damit werden Sie erfolgreich sein!“, das möchten sie am liebsten hören. Ein Auftrag, den ich nicht erfüllen kann und in meiner Rolle auch nicht erfüllen möchte. Denn auch das ist Flucht vor Selbstverantwortung, die aus meiner Sicht so wichtig ist, um Veränderungen auf dem eigenen Weg nachhaltig umzusetzten.

Sie sind der Experte für Ihr Leben und wissen selbst am besten, was gut für Sie ist!

Ich denke, es wird besonders mit fortschreitender Digitalisierung umso wichtiger werden, uns bewusst stärker wieder selbst zu vertrauen. Auf unser Wissen, die Vielfalt an Erfahrungen und auch auf unsere Intuition. Gesunder Menschenverstand, heißt es. Warum hören wir so selten auf unseren eigenen Verstand und machen uns so schnell und häufig abhängig von der Meinung anderer?

Es geht um das Bewusstsein, andere Meinungen zu hinterfragen, statt sie unreflektiert als echte Wahrheit anzunehmen. Sich selbst die nötige Zeit zu nehmen, um herauszufinden, was in einer bestimmten Situation persönlich wichtig und richtig für das eigene Leben und den Beruf ist.

Schnelle Tipps, gut gemeinte Ratschläge und Erfahrungswissen von Freunden oder Experten können in diesem Prozess hilfreich sein, doch am Ende sind wir alle der Chef unseres eigenen Lebens.

Wer schreibt hier?

Dr. Bernd Slaghuis
Dr. Bernd Slaghuis

Karriere- und Business-Coach, Dr. Bernd Slaghuis

für Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 1.800 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.
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