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Fehleranalyse statt Wahrnehmungsverzerrung: Ein Lehrstück nach der Pandemie

Eine Kultur, die Fehler zulässt, ist unentbehrlich in einer menschlichen Wirtschaft und Gesellschaft. Denn der Irrtum des Menschen, seine Fehlbarkeit, macht auch seinen Kern aus.

Wenn Irrtum und Fehler systematisch aus dem menschlichen Dasein herausprogrammiert werden, wird das eine „hyperoptimierte Leistungsgesellschaft zur Folge haben, die von einer rein maschinellen Welt nicht mehr unterscheidbar ist“ (Tim Leberecht). In unserer Risikogesellschaft gibt es keine 100-prozentige Sicherheit. Wo jegliche Wagnisse ausgeschlossen sind, macht das Leben keinen Sinn.

Damit verbunden sind gute Voraussetzungen für erfolgreiche und nachhaltige Entwicklung, zudem lassen sich intuitive Impulse in Entscheidungsprozesse einbinden. Dadurch werden Horizonte erweitert, Mitarbeitende begeistert und Innovation gefördert. Auch erkennen Organisationen mit ausgeprägten Fehlerkulturen Fehler oft früher, weil sie Fehler zulassen und sich dadurch permanent selbst optimieren können. Sind Fehler keine Entgleisungen, sondern Teile des Gestaltungsprozesses, lernen Unternehmen, Fehler frühzeitig zu erkennen und zu managen – und letztlich mit dramatischen Fehlern besser umzugehen.

Wie sehr sich aus Fehlern lernen lässt, zeigt sich auch beim Umgang mit der Pandemie, deren heutige Analyse nicht objektiv vorgenommen werden kann. Als uns im März 2020 Covid-19 traf, wusste niemand etwas – doch es musste sofort entscheiden werden. Mit heute vorhandenem Wissen waren viele Entscheidungen teilweise falsch. Berücksichtigt werden muss jedoch, dass sie in einem bestimmten Kontext getroffen wurden, weil die Situation eben war, wie sie war. Zum damaligen Zeitpunkt passte die Entscheidung – mit dem Wissen von heute würde jedoch anders entschieden werden.

Wer recht behält, hat die beste Entscheidung getroffen. Wer aber im Verlauf aufgrund neuer Einsichten seine Meinung ändert, ist nicht glaubwürdig. Dabei sollte der Unterschied zwischen jemandem, der immer recht hat, und jemandem, der oft irrt, berücksichtigt werden. Denn dieser liegt häufig lediglich darin, dass im Gegensatz zum Rechthaber der Irrende seinen Irrtum einsieht.

Zuspitzungen und blinder Aktionismus verhindert alles Lernen. Und wo heftig gestritten wurde, konnte keine Einsicht gewonnen werden. Bei vielen Menschen kam es zu verzerrten Wahrnehmungen. Sie waren gefangen in ihrer eigenen Geschichte, weil sie durch einen bestimmten Wahrnehmungskorridor, der ihre Welt vereinfachte, Schein-Sicherheiten erhielten. Damit verbunden waren innere Zwiespältigkeit, Voreingenommenheit und selektive Informationsauswahl. Ein solcher „naiver Realismus“ verhindert, das eigene Urteil zu hinterfragen.

Auch viele Expert:innen betrachteten in dieser Krisensituation ihre Weltsicht als gegeben und ihre Entscheidungen, Diagnosen oder Urteile als alternativlos. Doch Urteilsbildungen sind schwierig, weil die Welt komplex und von Ungewissheiten geprägt ist. Menschen verhalten sich weniger rational, als sie es selbst gern täten.

Vor allem Gruppen sind noch anfälliger für den „confirmation bias“ als Einzelpersonen. Auch die Tatsache, dass sich innerhalb der Gruppe niemand gern gegen die Gruppe stellt, spielt dabei eine wichtige Rolle. Dies führt dann dazu, dass sich die Gruppenmitglieder gegenseitig bestärken und dies auch demonstrativ nach außen zur Schau stellen. Der Ungewissheit können wir nicht entkommen, doch sollten wir die Krise dazu nutzen, „das Denken der Menschen in dieser Hinsicht klüger zu machen“, sagte Gerd Gigerenzer während der Corona-Pandemie.

  • die Bereitschaft zur Differenzierung,

  • vernetztes, flexibles, kritisches und mutiges Denken,

  • Freude an Komplexität, Details und Grautönen,

  • Empathie,

  • Intuition,

  • Lernen statt Rechthaben,

  • Offenheit für eigene Fehler und Veränderungen,

  • Selbsterkenntnis und Selbstreflexion,

  • Skepsis gegenüber zu einfachen Antworten,

  • Wandlungsfähigkeit,

  • die Bereitschaft zum Zuhören.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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