Ausschnitt des Buchcovers "Bauhausmädels" - TASCHEN Verlag

Frauen, Macht, Karriere: Was wir von den Bauhausmädels lernen können

Das Spiel der Macht

Wer Karriere machen will, muss wissen, dass sich das alte Handwerk der Macht in tausenden Jahren des Patriarchats entwickelt hat und auf Seilschaften und Allianzen beruht. Wer aufsteigt, betritt die Arena der Macht und des politischen Handelns, in der um Status und Einfluss gerungen wird. Für die meisten Männer ist dieses Spiel um die vorderen Rangplätze selbstverständlich. Sie gehen ihre Karriere entschlossen an und besetzen zuweilen auch Funktionen, bei denen eine ausgewiesene Fachkompetenz keine große Rolle spielt. Diese simplen Spielregeln gelten für Frauen „natürlich“ nicht. Denn noch immer müssen sie in den meisten Fällen die Qualität ihrer Arbeit stets neu beweisen, während Männer in gleicher Position einen Vertrauensvorschuss erhalten und besser beurteilt werden.

Bei Frauen schaut „man“ oft genauer hin, während bei Männern ein Auge zugedrückt wird, wenn sie einen Fehler machen oder weniger qualifiziert sind. Kluge Frauen beherrschen die Spiele der Macht und verlieren dabei nicht ihren inneren Kern. Erst in ihren unterschiedlichen Rollen offenbaren sie ihr eigenes Können und die Fähigkeit zur Veränderung. Wer nur vom Authentischen im Zusammenhang von Führung und Management spricht, hat seine Rolle und Aufgabe nicht verstanden. Rollen machen zudem auch resilienter gegenüber äußeren Störungen, die im „Kostüm“ hervorragend abgefedert werden können. Gute Spielerinnen geben sich nicht selbst die Schuld, wenn ein Stück nicht gut läuft und sie ihre Rolle nicht professionell zu Ende spielen konnten, denn sie sind sich bewusst, dass (Bühnen-)Systeme funktionieren müssen und professionelle Strukturen und Mitstreiter/innen für den Gesamterfolg entscheidend sind. Wenn sie aus Systemen aussteigen, verzichten sie zwar auf Funktionsmacht, gewinnen aber an Gestaltungsmacht, die mit eigenen Überzeugungen, Leidenschaften und Können einhergehen. All das ist klugen Frauen wichtiger als ein neuer Posten oder das nächste Aufsichtsratsmandat anzusteuern.

Warum inneres Wachstum wichtiger ist als beruflich hochzuklettern

In einer Zeit, in der sich traditionelle Organisationsformen auflösen und neue entstehen, wird das eigene innere Wachstum wichtiger als im Unternehmensdschungel immer höher zu klettern. So war es auch bei Gabriele Braun, die Individualität, Passgenauigkeit und Nachhaltigkeit mit der Rolle ihres (neuen) Lebens verbindet: Die ehemalige Top-Managerin, die aus Vernunftgründen Wirtschaft studierte, beim DAX-Konzern Continental arbeitete und sich immer auf ihr „Bauchgefühl“ verlassen konnte, traf 2013 eine grundlegende Entscheidung: Sie wollte das Große im Kleinen finden, das sie selbst gestalten konnte und begann eine Ausbildung zur Schuhmacherin bei der Maßschuhmacherei Hennemann in Berlin. „Ich habe einen Haufen Geld verdient“, sagte sie 2016 dem Magazin „Capital“. Und doch war sie wegen des geringen Gestaltungsspielraums nicht glücklich. „Immer mehr Meetings, Absprachen, zu viele Menschen, die mitreden, dazu die Bürokratie, die alles lähmt.“ Unverständnis für ihre Entscheidung gab es nur von einigen Männern, bei denen das alte Statusdenken besonders ausgeprägt war.

Die Keimzelle des revolutionären Denkens und Gestaltens

Dass die Gestaltung des eigenen Lebens bereits vor 100 Jahren für die „Bauhausmädels“ eine wichtige Rolle spielte, zeigt der Kommunikationswissenschaftler Patrick Rössler in seinem gleichnamigen Buch: Als 1919 das Staatliche Bauhaus in Weimar gegründet wurde, bewarben sich mehr junge Frauen als Männer um die Studienplätze. Allerdings wurden sie von Gropius und den meisten der lehrenden und mitstudierenden Männer kritisch betrachtet und bei der Entfaltung ihres Könnens und ihrer Talente behindert, indem sie beispielsweise in die „Frauenklasse“, die Weberei, abgedrängt wurden. Dennoch erkämpften sie sich rasch sämtliche Fachbereiche, die bislang von Männern besetzt wurden. Dazu gehörte neben der Bildhauerei, dem Industriedesign oder der Architektur auch die Fotografie als junges und experimentelles Medium. Es ermöglichte der „Neuen Frau“, die in der Weimarer Republik Prototyp eines neuen Frauenbildes wurde, einen emanzipatorischen Blick auf sich selbst und die Welt. „Wir haben für damalige Verhältnisse sündhaft gelebt, mit verschiedenen ‚boyfriends‘“, sagte die 92-Jährige Ellen Auerbach kürzlich der Süddeutschen Zeitung.

Der im TASCHEN-Verlag erschienene Band stellt mit etwa 400 Porträtfotos und 87 Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen vor, von denen einige lange Zeit vergessen waren und viele mit ihren Werken Kunst- und Designgeschichte schrieben, darunter Marianne Brandt, Grete Stern und Ellen Auerbach, Gertrud Arndt, Marianne Brandt, Margarete Heymann und Margaretha Reichardt, Friedl Dicker, Anni Albers und Otti Berger. Neue archivarische Funde komplettieren darüber hinaus das Bild der wenigen prominenten Bauhaus-Frauen wie Florence Henri und Lucia Moholy, die (nach der Machtübernahme der Nazis aus Deutschland geflohen) ihr Archiv mit 650 Glasnegativen ihrer berühmten Architektur-, Objekt- und Porträtaufnahmen Gropius anvertraut hatte und später nur auf juristischem Wege ihr Urheberinnen- und Eigentumsrecht geltend machen konnte, Gertrud Arndt, die ursprünglich Architektur studieren wollte, dann in der Weberei tätig war und sich dann ganz der Fotografie zuwandte. Zu den selbstbewussten „Neuen Frauen“, von denen die meisten androgyn und auf kühle Weise elegant waren, gehörte auch Marianne Brandt, die als erste Frau in der Metallwerkstatt des Bauhauses arbeiten durfte und deren Entwürfe für Leuchten, Aschenbecher und andere Haushaltsgegenstände bis heute von Alessi verwendet werden.

Ein besonderes Verdienst von Rössler ist es aufzuzeigen, dass der Begriff Mädel erst in der NS-Zeit völkisch vereinnahmt und missbraucht wurde. „Bauhausmädel“ war damals als Kompliment gemeint und drückte die Bewunderung für jene jungen Frauen aus, die mutig ihre vorgegebenen Bestimmungen zwischen Hausfrau, Verkäuferin und Stenotypistin verließen, um selbstbestimmt zu Gestalterinnen ihres Lebens zu werden.

Weiterführende Informationen:

Das Maß aller Dinge: Warum die Ideen und Maximen des Bauhauses noch immer aktuell sind

Patrick Rössler: Bauhausmädels. (Deutsch, Englisch, Französisch) TASCHEN Verlag 2019.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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