Für mehr Familienfreundlichkeit in deutschen Unternehmen

Vor zwei Wochen rief mich eine Freundin an, CEO in einem schwedischen Unternehmen, und sagte zu mir: „Anabel, ihr in Deutschland tut mir echt leid. Ihr seid so rückständig, was das Miteinander von aus Business und Familie angeht.“

Sie erzählte mir, dass ihr das wieder vor ein paar Tagen aufgefallen wäre, als der Vorstand in einem Strategiemeeting tagte. Mitten im Meeting war ihre Assistentin in den Raum geplatzt, unterbrach die Runde. Die Kita hatte gerade angerufen, ihr Sohn sei krank und müsse abgeholt werden. Ihre Vorstandskollegen wünschten ihrem Sohn eine gute Besserung, man besprach sich kurz über die nächsten Schritte. Nur wenige Minuten nach dem Eintreten der Assistentin war das Meeting zu Ende und meine Freundin war auf dem Weg zur Kita. Eine solche Reaktion wäre in den meisten Unternehmen in Deutschland undenkbar, egal ob es sich um das Kind einer männlichen oder einer weiblichen Führungskraft handelt. Sie mögen jetzt vielleicht denken, das sei in Schweden auf Frauen in Vorstandspositionen begrenzt. Aber Ähnliches habe ich auch von befreundeten männlichen Vorstandsmitgliedern in Schweden gehört, die sich dann mit oberster Priorität um ihr Kind kümmerten, respektiert von allen anderen Anwesenden.

Work versus Life

Wie sieht es in deutschen Unternehmen aus? Kinder gelten hier meist ebenso wie zu pflegende Angehörige als Privatsache, die man irgendwie so geregelt bekommen sollte, dass es die Arbeit nicht beeinträchtigt und nicht auffällt.

Ich glaube, dass wir in Deutschland ein natürlicheres Verhältnis dazu bekommen dürfen – und sollten –, dass Kinder ein Teil unserer Lebenswelt und unter den Mitarbeitern auch Väter und Mütter zu finden sind.

Das passende Modell

Ebenfalls finde ich, dass man in Deutschland untereinander toleranter und wertschätzender sein sollte, wenn es darum geht, andere Lebensmodelle zu respektieren.

In meinem Umfeld finden sich ganz unterschiedliche Familien- und Berufskonstellationen mit den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen. Für die einen funktioniert nur ein Weg aufgrund der Rahmenbedingungen, für die anderen ist ihr Weg eine ganz bewusste Entscheidung.

Während ein befreundetes junges Paar sich überlegt hat, die Elternzeit aufzuteilen, damit beide die erste Zeit mit dem gemeinsamen Kind genießen können, kenne ich auch alleinerziehende Mütter, die ihr Kind mit unter einem Jahr in die Kita geben, weil sie Vollzeit arbeiten. Während ein anderes berufstätiges Paar keinen Kita-Platz bekommen hat und sich durch Nannys oder Babysitter Unterstützung holt, übernimmt bei den anderen die Großmutter die Kinder regelmäßig. Nicht jedes Modell funktioniert für jede Berufskonstellation. Und Bewertung eines Lebensmodells von außen kann eigentlich nur getroffen werden, wenn man die genauen Umstände kennt. Im Übrigen hat sich der Begriff der Rabenmutter oder des Rabenvaters überholt – denn Rabenvögel sind sehr fürsorgliche Eltern.

Moralisch vertretbar?

Statt sich darüber zu echauffieren, dass berufstätige Eltern, vor allem Frauen, ihre Kinder in die Kita geben, ist für mich viel entscheidender, wie berufstätige Eltern die Zeit nutzen, die sie mit ihren Kindern verbringen. Bewusst sollten sie dies tun und mit voller Konzentration auf das Kind. Nebenbei Anrufe entgegennehmen oder Mails beantworten – ein No-Go. Knapp bemessene Zeit, in der sich Eltern aber voll ihren Kindern widmen, ist besser, als Kinder nur nebenbei mitlaufen zu lassen, ohne ihnen Aufmerksamkeit zu schenken.

Denn eines ist klar – Multi-Tasking sollte man soweit möglich vermeiden, wenn man Zeit mit den eigenen Kindern verbringt (was natürlich nicht immer möglich ist).

Gute Beispiele

Wir haben auch hier in Deutschland schon großartige Unternehmen, die auf Väter und Mütter Rücksicht nehmen, wie beispielsweise Unternehmen mit Betriebskindergarten, Office-Sharing-Angeboten und Veranstaltungen, bei denen Kinderbetreuung mit angeboten wird. Das zeigt mir, dass sich in Deutschland auch schon einiges zu diesem Thema bewegt.

Es bedarf aber des Einsatzes von uns allen: Machen wir Personalabteilungen, Vorstände, Mitarbeitervertreter und andere Interessenvertretungen sowie natürlich auch Freunde und Familie darauf aufmerksam, dass Work-Life-Balance auch heißt, dass jeder, auch während der Arbeit, als Mensch und mit seinen familiären Verpflichtungen gesehen und respektiert werden sollte.

Prof. Dr. Anabel Ternès schreibt über Leadership & Zukunftskompetenz, Digitalisierung & Arbeit 4.0, Nachhaltigkeit, Gesundheitsmanagement

Zukunftsfähige Unternehmen brauchen Nachhaltigkeit, gesunde Digitalisierung und Zukunftskompetenzen. Eine zukunftsfähige Welt braucht ein gesamtsystemisches Zusammenwirken aller Kräfte. Als eine der führenden Köpfe für Digitalisierung stehe ich für Nachhaltigkeit und verantwortungsvolle Handeln.

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