Generalisten verzweifelt auf Jobsuche
Sie sind breit aufgestellt, flexibel und lieben das ständig Neue. Doch bei der Jobsuche und Bewerbung tun sich viele Generalisten heute schwer. Woran Alleskönner scheitern und worauf es stattdessen ankommt.
Mir sitzt Stefan (45) gegenüber. BWL-Studium mit gutem Abschluss, Praktika nebenher, Berufseinstieg als Trainee in einem Konzern, danach Stationen im Vertrieb und Marketing bei zwei Arbeitgebern, aktuell ist er Leiter Produktmanagement. Nach vier erfolgreichen Jahren in dieser Position ist ihm langweilig geworden, und er sehnt sich nach Neuem.
Innerhalb des Unternehmens sieht er keine Entwicklung mehr, zudem habe er Lust auf eine neue Branche, erklärt er mir. 50 Bewerbungen seien verschickt, doch bis auf drei Telefon-Interviews scheine sich niemand so richtig für ihn zu interessieren.
Auf Klienten wie Stefan treffe ich auffallend häufig im Coaching. Sie sind Generalisten, gut ausgebildet und breit aufgestellt, vielseitig interessiert, wissbegierig und veränderungsbereit. Sie wissen um ihre vielfältigen Stärken und ihre bisherigen Erfolge im Beruf, doch in der Rolle als Bewerber haben sie das Gefühl, im Wettbewerb um ausgeschriebene Stellen zunehmend gegen Fachspezialisten und Branchenexperten zu verlieren.
Es frustriert sie, schließlich geht ihnen sonst alles so leicht von der Hand und waren sie sich doch bisher sicher, durch ihre Fähigkeit, sich flexibel in neue Themen hineindenken zu können, als Arbeitnehmer besonders attraktiv zu sein.
Alleskönner, bitte draußen bleiben?
Es klingt verrückt, denn trotz der nach wie vor beliebten Suche von Arbeitgebern nach der Eier legenden Wollmilchsau scheinen sie verstärkt Generalisten mit ihren Unterlagen im Bewerbungsprozess schon in der ersten Runde aus dem Rennen zu kicken.
Sind solche Alleskönner etwa unerwünscht, da sie als Schwachstellenfinder mit Blick für das große Ganze ihren Finger in die Wunde legen, als guter Organisator Strukturen und Prozesse auf links krempeln oder als engagierter Teamgestalter Einfluss auf die Stimmung unter Kollegen nehmen?
Viel zu riskant, denkt sich womöglich mancher heute ohnehin überforderte Chef. Dann lieber den exakt zur Stelle passenden, fachkompetenten und detailverliebten, jedoch in der Breite ungefährlichen Spezialisten einstellen. Da weiß man schließlich, was man hat.
Und so scrollen sich Generalisten wie Stefan jeden Tag im Netz durch Hunderte neuer und immer wiederkehrender Jobangebote, von denen so viele irgendwie passen, doch keines so richtig. In dieser Frustspirale aus Ablehnung und orientierungsloser Suche beginnen sie, an der Fülle ihrer Stärken sowie dem echten Wert ihrer Berufserfahrung zu zweifeln.
Schließlich kennen sie das dumpfe Gefühl, sich immer irgendwie erfolgreich durchgewurschtelt zu haben, ohne etwas so richtig gut zu können. Viele fragen sich, ob sie sich hätten längst spezialisieren müssen.
Auch Arbeitgeber tragen dazu bei, wenn sie Stellen etwa als Projektleiter oder General Manager, in denen stärker generalistische Kompetenzen gefragt sind, in Ausschreibungen künstlich spezialisieren, um vorhandene Skills im ersten Bewerber-Screening leichter checken zu können. Wer durch automatisierte Recruiting-Prozesse systematisch seine Türen für Generalisten versperrt, dem werden in der Arbeitswelt von morgen wichtige Mitarbeiterkompetenzen fehlen.
Generalisten punkten als Bewerber mit klarem Profil
Bemerken Generalisten, dass sie als Bewerber auf Ablehnung stoßen, schrauben sie entweder ihre Stärken und Erfolge in den Unterlagen herab und stapeln tief oder sie belegen schnell einige Weiterbildungen, um zumindest den Anschein eines roten Fadens im Lebenslauf zu erwecken. Doch jeder Generalist, verkleidet als Spezialist, erzeugt noch mehr Fragezeichen in den Köpfen von Recruitern und verfolgt eine Vermeidungsstrategie, mit der er sich selbst schwächt.
Ich empfehle Generalisten stattdessen, ihre vielseitigen Stärken zu erkennen und selbst zu wertschätzen sowie noch gezielter nach solchen Arbeitgebern zu suchen, die ein echtes Interesse an ihrer Vielfalt und den oftmals hiermit verbundenen Macher-Qualitäten besitzen. Konsequent nach Positionen Ausschau zu halten, die vor allem breites statt tiefes Wissen und Denken erfordern und damit stärker konzeptionell/strategisch und weniger verwaltend/operativ ausgerichtet sind.
Erst wenn Generalisten über diese eigene Klarheit verfügen, können sie wie mit dem Fokus eines Spezialisten im Dschungel der Jobbörsen die passenden Stellen finden.
Generalisten sind als Bewerber dann erfolgreich, wenn sie sich selbstbewusst als solche zu erkennen geben, jedoch einem Arbeitgeber nicht den bunten Blumenstrauß aller ihrer Stärken vor die Füße werfen, sondern es ihnen gelingt, jenen Bruchteil zu identifizieren und klar mit ihrer Bewerbung zu präsentieren, der für die Zielposition relevant ist. Besonders Generalisten müssen Kante zeigen, um sich als Kandidat für einen neuen Arbeitgeber richtig greifbar zu machen.
Unsere Arbeitswelt wird auch zukünftig sowohl Spezialisten mit Sinn für Details als auch Generalisten mit Weitblick benötigen. Damit sich beide Seiten besser finden, sollten auch Arbeitgeber ihre Recruiting-Prozesse so gestalten, dass sich Jobwechsler mit ihren jeweiligen Stärken-Richtungen eindeutiger in Stellenausschreibungen wiederfinden sowie Generalisten-Bewerber für Generalisten-Positionen nicht mangels Spezialisierung automatisch aussortiert, sondern ihre vielseitigen Fähigkeiten und echten Potenziale frühzeitig erkannt werden.
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Dieser Text ist zuerst in meiner Bilanz-Kolumne erschienen.
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