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Generationen für Nachhaltigkeit: Aus allem das Beste

Veränderungen geschehen immer an den Rändern, nie in der Mitte – doch aus ihr kommt oft jene Bewegung und Energie, die nach außen drängt, Grenzen erweitert, verschiebt oder sprengt. Dass sich die „mittlere“ Generation XY hier eingerichtet hat, macht sie besonders interessant. Sie ist dem Zeitgeist sehr nahe, aber zugleich auch distanziert. Für Statistiker ist sie nur schwer zu fassen, weil sie weder das eine noch das andere „ganz“ ist. Aber genau das ist vielleicht auch ihre Stärke, die aus dem Gefühl von Kontinuität, Planbarkeit, Stabilität und Sicherheit der Generation X (Jahrgänge 1965 bis 1979) resultiert und der Sinnsuche der Generation Y (Jahrgänge 1980 und 1997). Beide sollten einzeln durchdrungen und verstanden werden, um das Gesamtbild besser zu verstehen, in dem alles miteinander verbunden ist und die Grenzen der Generationen aufgelöst sind.

„Die Kunst besteht für mich darin, eine Balance zu finden und Gutes oder zumindest nichts Schlechtes zu tun. Wahrscheinlich bin ich gar nicht so alleine damit und zähle mich ab sofort zur Generation XY – aus allem das Beste“, sagt Claudia Silber, Jahrgang 1972. Seit 2009 arbeitet sie als Pressesprecherin bei der memo AG in Greußenheim und leitet hier seit 2013 den Bereich Unternehmenskommunikation. Nach dem Studium der Germanistik und Journalistik war sie einige Jahre in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Textilunternehmen tätig. Früher machte sie sich keine Gedanken darüber, welches Papier in ihrem Drucker oder in dem ihres Arbeitgebers lag, wo und wie ihre Kleidung produziert wurde – Hauptsache modisch.

Heute unterscheiden sich die Generationen X und Y kaum in ihrem Konsumentenverhalten, obwohl die Voraussetzungen unterschiedlicher nicht sein können.

Die einen sind mit klassischer, vordergründiger und kalkulierter Werbung und Dauerbefeuerung aufgewachsen, die anderen mit coolen Botschaften und hintergründigen Informationen wie Herstellung, Qualität und Nutzen eines Produkts. X ist die klassische „Zielgruppe“, Y sind „Fans“. Beide sind hybride Käufer, die sich in keine Schublade pressen lassen. Sie wählen aus, was für sie Sinn macht. Mittlerweile ersetzen Car Sharing-Systeme Privatautos, die einst ein Symbol für Freiheit waren. Es ist für die jüngere Generation Y nicht mehr so erstrebenswert, Eigentümer eines Fahrzeugs zu sein. Der Begriff der Share Economy wurde allerdings zu einer Zeit geprägt, als die Generation Y gerade geboren wurde: Der Ausdruck stammt aus den 80er Jahren und geht auf den Wirtschaftswissenschaftler und Harvard-Professor Martin Weitzmann zurück.

Der Paradigmenwechsel vom Besitzen zum Nutzen ist also keine Erfindung der Generation Y, sondern wurde schon von der Vorgängergeneration geprägt.

Nach wie vor schätzen allerdings viele Vertreter der Generation X wie Claudia Silber das eigene Auto, „was im eher ländlichen Raum mit schlechtem öffentlichen Personennahverkehr oft auch gar nicht anders geht. Und letztlich habe ich auch eher eine Abneigung gegen Facebook & Co., gegen Onlinebestellungen und digitale Zeitungen. Also: Generation X. Vor einigen Jahren kam es aber anders: Durch ein berufliches Projekt habe ich mich erstmals mit dem Thema Nachhaltigkeit und speziell der Lieferkette von Textilien beschäftigt. In den folgenden Wochen fragte ich mich immer wieder, ob es tatsächlich Unternehmen gibt, die ihre Mitarbeiter als wertvolles Gut schätzen, Verantwortung gegenüber Umwelt und Mensch – auch in anderen Teilen dieser Welt – übernehmen und denen nicht einfach alles ‚scheißegal‘ ist, Hauptsache der Umsatz und der Gewinn stimmen. Nun arbeite ich in einem solchen Unternehmen und das hat mich und mein Umfeld vor allem auch privat beeinflusst.“

Heute überlegt sie vorher, ob manche Anschaffungen oder „die berühmten ‚Lustkäufe‘ sein müssen, ob ein Produkt seinen Preis wirklich wert ist und welche Auswirkungen es im Gebrauch auf Mensch, Tier und Umwelt hat. Frischfaserpapier, Plastiktüten, Meister Proper und Wegwerfartikel kommen mir nicht mehr in den Einkaufswagen. Manchmal verzichte ich auch und bin darauf dann schon ein bisschen stolz.“

Neben einer neuen Art des Haushaltens und der neuen Sinnsuche gibt es im digitalen Zeitalter allerdings eine Ressource im Überfluss: ständig verfügbare Information. Das Internet wird von vielen ergänzend zu Print genutzt. Dazu gehört auch Claudia Silber, die sich lediglich einen Überblick verschaffen möchte: „Trotz allem und trotz des damit verbundenen Ressourceneinsatzes halte ich trotzdem immer noch lieber ein gedrucktes Medium in der Hand - sehr viel länger als Smartphone und Tablet!“

Ihre Generation wuchs in der Blütezeit der Republik heran, deren Vertreter in aktuellen Studien als „kämpferisch und konsumorientiert, repräsentabel und busy“, beschrieben werden. “wir war’n die achtziger Fraktion / … / bitte nur Markenkollektionen - / Tina was kostet ‚n Kondom - / die VW-Golf-Generation“, heißt es auch im Song „Golf-Generation“ von Frank Ramond.

In den achtziger Jahren wurden aus Mannequis plötzlich Models und aus Bankangestellten Banker. In der Mode ging es um den New-Power-Look. Körper und Kleidung sollten wie eine Rüstung sein, um gegen „neue Bedrohungen“ (Wolfgang Joop) zu bestehen. Berühmte Modelabel galten damals als Statussymbol und große Modehäuser definierten sich über wenige kreative Persönlichkeiten, deren Stil für einen Millionenmarkt das Maß aller Dinge war.

Viele Studien belegen, dass es der Sandwich-Generation allerdings auch schwerer fällt, nein zu sagen, weil ihnen häufig „Wohlerzogenheit“ vor Eigensinn geht.

Da ein Großteil dieser Generation in Konzernen oder Großorganisationen tätig war oder noch arbeitet, gab es kaum Möglichkeiten, in den auf Hierarchien und Herrschaftswissen basierenden Kulturen anders zu überleben. Für ein freiwilliges Ausscheiden aus einem System, an dem alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind, oft bis zu zehn Stunden oder länger, fehlte es vielen an Mut, oder die Bedingungen waren für einige nicht so, dass der Sprung ins Unbekannte ohne weiteres möglich gewesen wäre.

Damit hängt auch zusammen, dass sie häufig schwerer als die Generation Y Nähe aufbauen konnten. Sie zeichnen sich eher durch Vorsicht und Distanz aus. Allerdings ist Nähe in einer Transparenzgesellschaft, in der die Wahrheit schneller ans Tageslicht kommt, wichtiger denn je.

Auch fängt die Generation Y einfach an und kommt dadurch eher ins Handeln.

Der Perfektionismus („immer noch mehr“) ihrer Vorgänger sowie feste Orte und Organisationsformen sind für sie weniger wichtig. Philipp Riederle bringt es in seinem Buch „Wer wir sind und was wir wollen“ auf den Punkt: „Während Ihr von einem sinnlosen Montagsmeeting ins nächste trottet, jeden Tag um 08:00 Uhr auf der Matte stehen müsst und auf die nächste Gehaltserhöhung oder vielleicht eine Beförderung hinarbeitet, sind wir bereits mitten im Flow: Wir beteiligen uns mit unseren Interessen und Fähigkeiten an den unterschiedlichsten Projekten. Wir arbeiten weltweit vernetzt partnerschaftlich mit den unterschiedlichsten Personen zusammen, helfen uns gegenseitig uneingeschränkt, um ‚unsere‘ gemeinsame Sache voranzubringen. Wir teilen unser Wissen, anstatt es als Machtkapital anzusehen, und liefern uns gegenseitig Feedback für unsere Beiträge. Wir kommunizieren mit jedem und vollkommen transparent, ohne Geheimnistuerei oder konspirativen Flurfunk.“

Sie sind sich bewusst, dass nur, wer sich auch emotional bewegt, etwas bewegen und bewirken kann. Sie versuchen gar nicht erst, sich anders als „echt“ darzustellen, weil Verstellung viel zu viel Energie kosten würde, die sie lieber in Projekte und Prozesse investieren. Sie lassen sich in kein „Job-Korsett“ zwingen und empfinden die Trennung zwischen Beruf und Privatleben als Konstrukt. Die Vertreter dieser Generation besitzen zumeist (Fach-)Hochschulreife. Prozentual gesehen hat noch keine Altersgruppe häufiger das Abitur erreicht, häufiger studiert und häufiger im Ausland gelebt als sie. Das ist auch ein Grund dafür, dass sich die Ypsiloner hinterfragen (Generation Why) und besonders hohe Ansprüche an das Berufsleben stellen.

Schon in den nächsten Jahren wird die Generation Y den Grundstock der Mitarbeiter in allen Unternehmen legen.

Sie wünscht sich ein Mitspracherecht bei dringlichen Themen wie Nachhaltigkeit und fordert dies auch aktiv ein. Der Großteil der Generation erwartet von ihrem künftigen Arbeitgeber eine transparente Nachhaltigkeitsstrategie und entsprechendes Handeln in diesem Bereich. Dabei geht ihnen vorwiegend darum, in Eigeninitiative nach Problemlösungen suchen zu können. So heißt es in einer Pressemitteilung der Mader GmbH & Co. KG (3/2015): „Energiespar-Detektive decken Energieschwachstellen auf“. Gemeint ist hier die Generation Y. (Auszubildende des Druckluft- und Pneumatikspezialisten in Leinfelden-Echterdingen), die Energieschwachstellen im Unternehmen aufdeckt und die Belegschaft mit einem Augenzwinkern zum Energiesparen motiviert. „Ein echter Wandel ist nur von ‚innen heraus‘ möglich. Mitarbeitermotivation und –beteiligung ist der Schlüssel, auch im Bereich Energieeffizienz“, sagt Stefanie Kästle aus der Geschäftsführung. Durch verschiedene Maßnahmen werden hier die Auszubildenden an das Thema Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Umweltschutz herangeführt. Wo die Detektive der Generation Y auch immer unterwegs sind – ihr Weg führt nicht in eine Sackgasse, weil sie niemals im Gefühl steckenbleiben, nichts tun zu können. Sie wollen die Welt zum Besseren verändern. Denn die Chance, dass etwas gut ausgeht, besteht immer.

Dessen ist sich auch Aileen Rückwarth, Jahrgang 1993, bewusst. Seit Mai 2017 ist sie Assistentin der Geschäftsführung bei der Häcker Küchen GmbH & Co. KG). Sie unterstützt diese in operativen, organisatorischen und konzeptionellen Aufgabenstellungen, erstellt Entscheidungsvorlagen, Statusberichte und Präsentationen, plant und organisiert Mitarbeitergespräche und ist bei Ausschreibungen sowie der Koordination und Mitarbeit bei abteilungsübergreifenden Projekten beteiligt. Außerdem ist sie bei der Organisation der Hausmesse eingebunden, betreut eine externe Gebäudereinigungsfirma und organisiert die Personalführung des unternehmenseigenen Reinigungspersonals. Sie hat einen Überblick über Hygienekonzepte, Budgetplanung und –kontrolle. Ein solcher Gesamtüberblick ist unabdingbar, um ein Thema wie Nachhaltigkeit in all seinen Dimensionen zu verstehen und entsprechende Vorschläge einzubringen.

Bevor sie ihre Arbeit für die Geschäftsführung aufnahm, arbeitete sie bei Häcker im Bereich Marketing und war unter anderem maßgeblich bei der Einführung und Betreuung des Social Media Auftritts (Facebook, Instagram, Pinterest) beteiligt. Von 2013 bis 2017 absolvierte sie ein duales Studium (Studiengang Betriebswirtschaftslehre, Häcker Küchen GmbH & Co. KG), davor Ausbildung zur Industriekauffrau (IHK) und Bachelor of Arts (B.A.).

Aileen Rückwarth über Nachhaltigkeit:

„Seit mehr als sieben Jahren arbeite ich inzwischen für das Familienunternehmen Häcker Küchen und ich bin stolz darauf, wie positiv sich das Unternehmen in den letzten Jahren entwickelt hat, und dass insbesondere Themen wie Nachhaltigkeit und Organisationsentwicklung immer stärker in den Fokus rücken. Gerade in meiner Generation nimmt das Thema Nachhaltigkeit eine bedeutende Rolle ein. Wenn man auf die Erderwärmung blickt und sich vor Augen führt, dass man selbst noch ca. 50 bis 60 Jahre miterlebt und die eigenen Kinder auch noch einen schönen und vor allem lebenswerten Planeten kennenlernen sollen, wird der dringende Handlungsbedarf klar – man sollte nicht nur reden, sondern handeln. Auch in kleinen Schritten, denn jede noch so kleine Veränderung der eigenen Lebensweise kann als Summe einen positiven Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Mein Vorschlag: Öfter einmal das Fahrrad nutzen, um in die Stadt oder zum Essen zu fahren. Weniger Lebensmittel in Plastikverpackungen kaufen. Mindestens einen vegetarischen Tag pro Woche einführen. Auch nach Corona vermehrt auf Videokonferenzen statt Geschäftsreisen setzen …

Wir sind immer offen und auf der Suche nach Verbesserungspotenzialen, natürlich auch im Bereich der Nachhaltigkeit. So haben wir beispielsweise den jährlichen Verbrauch an Plastikmüllbeuteln in der Verwaltung analysiert. Jede/r Mitarbeiter/in hat derzeit einen eigenen kleinen Mülleimer unter dem Schreibtisch stehen. Hier sind allein in diesem Jahr mehr als 22.300 Müllbeutel verbraucht worden. Aus diesem Grund testen wir aktuell in Großraumbüros einen Sammelmülleimer, anstelle vieler einzelner Mülleimer. So können wir etwa 80% einsparen. Man muss sich nur einmal diesen Plastikmüllberg vorstellen. Die Kolleginnen und Kollegen finden die Idee klasse und unterstützen das neue Konzept. Es soll nächstes Jahr auf alle Großraumbüros im neuen Verwaltungsgebäude ausgerollt werden.

Wir alle sollten die Wirtschaft so gestalten, dass sie dem Schutz der Umwelt dient. Im Einklang mit der Natur zu agieren ist meines Erachtens die Basis für eine erfolgreiche Zukunft. Da sind wir hier genau auf dem richtigen Weg!“

Die Beispiele zeigen, wie sehr Grenzgänger der Generationen in der Gesellschaft gebraucht werden, weil sie den Realisten (X) und Visionär (Y) gleichermaßen in sich vereinen. Sie gestalten die Zukunft nachhaltig, indem sie Träume entwickeln und sie dann mit Begeisterung, Tatkraft und kritischem Blick in Realität umwandeln.

Weiterführende Informationen:

Nachhaltigkeit in Familienunternehmen: Kostenfaktor oder unternehmerische Verantwortung?

Ulrike Böhm: Die Macht der kleinen Schritte. Wie man als mittelständisches Unternehmen zum Klimaretter wird. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

Gisela Rehm: Nachhaltigkeit braucht Markenkraft. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020, S. 223-235.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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