Grüne Leidenschaft: Warum immer mehr Menschen gärtnern
Konkret kann ich Ihnen das nicht sagen, da ich sehr naturverbunden u. a. im Hochschwarzwald aufgewachsen bin. Ich wurde also bereits früh für die Schönheiten der Natur sowie das nachhaltige Leben mit und in der Natur sozialisiert. Viele unserer Nachbarn bauten in ihren Blühgärten zusätzlich mehr oder weniger Gemüse und Kräuter, also Nutzpflanzen an. Regelmäßig half ich ihnen gerne bei der Gartenarbeit. Jeweils in den Herbstmonaten durfte ich eine Nachbarin auf der Pilzsuche begleiten. Aber Gärtnern bedeutet noch viel mehr: Eine überaus tierliebe Nachbarin, die nur über eine sehr kleine Rente verfügte, gab ihren letzten Pfennig für die Fütterung oder medizinische Versorgung von Tieren wie Igel, Vögel oder Füchse sowie für streunende Katzen, die sie in ihrem Garten besuchten, aus. Diese vielfältigen Erlebnisse prägten mich in meiner Kindheit sehr. Man kann dies mit dem Begriff der Biophilie umschreiben, den der Biologe Edward O. Wilson mit der dazugehörigen Hypothese Anfang der 1980er Jahre entwickelte.
Meine Garteneuphorie teile ich weltweit mit vielen Menschen. In Deutschland besitzt jeder zweite Privathaushalt einen Garten. Insgesamt gibt es in Deutschland über 17 Millionen Gärten. Davon sind eine Million Schrebergärten. Damit sind wir in Europa führend. Darüber hinaus werden über 700 Urban-Gardening-Standorte und nochmals über 100 Mietgärten von sogenannten Ackerheldinnen und Ackerhelden, bewirtschaftet.
Ich verrichte alle Tätigkeiten im Garten gleichermaßen gern, zumal sie für mich einen optimalen Ausgleich darstellen, bei dem ich den Kopf frei bekommen und vollkommen abschalten kann. Dem Garten entspricht ein entspannter und ruhiger Habitus; Ruhe wird ein- und Hektik ausgeladen. Für mich ist die Gartenarbeit eine alle Sinne umfassende Aktivität, die sich im kreativen Zusammenspiel von Natur und Mensch widerspiegelt. Immer wieder aufs Neue fasziniert mich, wie aus einer Handvoll Samen eine ertragreiche Ernte hervorgeht. Ich selbst besitze keinen Garten im klassischen Sinne, eher einen, wie ich es nenne „Hofgarten“. Es ist auf ca. 60 qm² mein kleines grünes Gartenparadies. Wo ich in Hochbeeten und Pflanzkübeln Kräuter und Gemüse anbaue, insektenfreundliche Blühpflanzen und kleine Bäume sind ebenfalls vertreten. An Futter-, Wasser- und Sandstellen versorge ich u. a. Meisen, Hausrotschwänze und Amseln. Die aufgehängten Insektenhotels nehmen die Wildbienen wunderbar an, indem sie diese fleißig zum Nisten nutzen.
In meinem Miniteich tummeln sich neben Wasserschnecken auch kleine Libellenlarven, die ich jedes Jahr beim Schlüpfen beobachten kann. Besonders freut mich, dass ich schon seit über zehn Jahren spätabends und nachts Besuch von Gartenschläfern bekomme. Die kleinen Verwandten des Siebenschläfers sind stark vom Aussterben bedroht. Allabendlich stelle ich Futter und Wasser für die Gartenschläfer bereit. Im Sommer, wenn ich im Freien sitze, kann ich sie nachts beobachten. Beim BUND habe ich mich im vergangenen Jahr am Citizen Sience Projekt beteiligt und die Anwesenheit „meiner“ Gartenschläfer inklusive Fotos gemeldet. Auf diese Art und Weise kann die Population nachverfolgt werden. Als nächstes Vorhaben beabsichtige ich, an meinem Haus künstliche Schwalbennester vom NABU anbringen zu lassen. Für mich ist mein Hofgarten quasi mein Wohnzimmer im Grünen. Ich genieße es, im Sommer die Zeit überwiegend im Garten zu verbringen. Für mich ist er zugleich ein Erholungs-, Wohlfühl-, Entspannungs- und Genussort. Man muss nicht gleich in großen Dimensionen denken, es reichen Klein-Garten, Terrasse, Balkon oder eine Fensterbank, wo der Beginn von Regrowing liegt.
Seit diesem Jahr habe ich zusätzlich mit Regrowing begonnen. Regrowing bedeutet, aus Gemüseresten, die normalerweise im Biomüll landen, einfach neues Gemüse nachwachsen zu lassen. Es ist unkompliziert, und für viele Gemüsesorten sind weder ein Garten noch ein Balkon notwendig. Es genügt einfach eine Fensterbank. Ich habe ganz einfach mit Lauch, Frühlingszwiebeln und Karotten begonnen. Der untere Teil, d. h. der Strunk, wird in einem mit Wasser gefüllten Glas auf die Fensterbank gestellt. Es fasziniert mich, wie schnell der Lauch oder die Frühlingszwiebel nachzuwachsen beginnen und aus der Mitte des Strunks der neue regrowte Lauch geerntet werden kann.
Aus einem Mangokern habe ich mir aktuell einen kleinen Mangobaum gezogen, der mich als Zimmerpflanze auf meiner Fensterbank erfreut. Wie Sie sich vermutlich denken können, habe ich in meiner Wohnung einen kleinen „Indoorjungle“ mit vielen Zimmerpflanzen. Was ist grundsätzlich sagen möchte, ist: ein Garten ist keine Voraussetzung für ein „grünes Hobby“. Auch auf einem kleinen Balkon, einer Terrasse und sogar dem Fensterbrett können Blüh- und Nutzpflanzen sowie Kräuter sehr erfolgreich angebaut werden. Auch Pilze lassen sich hervorragend züchten. Hierfür wird z. B. nur eine Pilzzuchtkultur benötigt, und schon kann es losgehen. Im Augenblick ziehe ich mir Kräuterseitlinge, Champions und mit Hilfe von Kaffeesatz eine Pilzmischung. Gerade habe ich fast 2 kg selbst gezogene Kräuterseitlinge ernten können.
Im TECHNOSEUM ist der Schrebergarten auf 500 qm Dachterrasse als Bestandteil der Dauerausstellung angelegt und zeigt einen Nutzgarten zur Zeit der Industrialisierung um 1900. Die von Mangel geprägten Lebensverhältnisse der meisten Arbeiter waren damals höchst bescheiden. Mit dem Fabriklohn allein konnten viele ihre Familien nicht ernähren, so dass ihnen die Ernteerträge aus ihrem Schrebergarten das Überleben sicherten. Oft hießen diese daher auch „Armengärten“. Der erste Schrebergarten wurde 1864 gegründet und ist nach dem Arzt Daniel Gottlob Moritz Schreber benannt.
Der Schrebergarten des TECHNOSEUM wird seit Anfang 2021 in eigener Regie von einigen ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen bewirtschaftet. Aktuell engagieren sich dort 15 Ehrenamtliche. Das Team besteht aus Schülern, Berufstätigen und Rentnern. Es zeigt sich: gärtnern verbindet Generationen. Mitunter fehlende Vorkenntnisse stellen kein Problem dar, denn im Team kann jeder von jedem lernen. Erfahrene Hobbygärtner leiten an und geben gern ihr Wissen weiter. Da der Schrebergarten die Zeit um 1900 widerspiegeln soll, wird darauf geachtet, ausschließlich natürliche Materialien zu verwenden. Außerdem wird auf den Einsatz von Pestiziden verzichtet. Schädlinge lassen sich durch naturnahes Gärtnern mit einer gezielten Mischkultur nach Prinzipien der Permakultur vermeiden. In die Gartensaison 2021 wurde im April mit den ersten Aussaaten und dem Setzen von Gemüsepflanzen gestartet. Die Freude war allgemein groß, als einige Zeit später erste Radieschen ihr zartes Grün durch die Erde schoben. Danach folgten z. B. Kartoffeln, Kohlrabi, Möhren, Gurken, rote Beete, Spinat, Stangenbohnen und vieles mehr. Das Kümmern und Pflegen bis zur Ernte macht allen großen Spaß. Durch den Gemeinschaftsgarten zu schlendern und zu registrieren, wie sich die Pflanzen verändern, wachsen und gedeihen, begeistert die Ehrenamtlichen jedes Mal aufs Neue.
Einerseits bereitet dem ehrenamtlichen Schrebergarten-Team das gemeinsame Gärtnern großes Vergnügen, andererseits wird es dadurch motiviert, für die Museumsbesucher einen sich jahreszeitlich verändernden lebendigen Ausstellungsbereich gestalten zu können. Die Besucher des TECHNOSEUM können direkt sehen, was im Schrebergarten wächst und gedeiht. Wer sich ebenfalls ehrenamtlich engagieren möchte, ist im Team jederzeit herzlich willkommen. Letztlich zeigt der Schrebergarten des TECHNOSEUM in Zeiten von Urban Gardening nicht nur wie Lebensmittel ökologisch und nachhaltig angebaut werden können, sondern er stellt auch einen wichtigen Beitrag zur Begrünung von Dachflächen innerhalb der Stadt Mannheim und des Stadtklimas dar.
Wie allgemein beim urbanen Gärtnern, so zeigt sich auch bei unserem ehrenamtlich bewirtschafteten Schrebergarten, dass die Kulturvierung der städtischen Natur mit Formen von Sozialität und Kollektivität in Zusammenhang steht. Es ist partizipativ und gemeinschaftsorientiert, dementsprechend bedeutet urbanes Gärtnern auch soziales Gärtnern. Wie bereits der britische Arzt und Schriftsteller Thomas Fuller schon sagte: „Es wachsen viele Dinge im Garten, die dort nie gesät wurden.“ Beim gemeinsamen Gärtnern kommt es auf viele verschiedene Talente an, z. B. auf diejenigen, die handwerklich begabt sind und einen neuen Komposter bauen können, und auf diejenigen, die sich mit Kräuter- und Gemüsesorten auskennen. In unserem Schrebergarten kommen, wie überall, ganz unterschiedliche Menschen zusammen, aber sie alle haben dennoch ein gemeinsames Ziel: die Bewirtschaftung des historischen Schrebergartens, die Schaffung eines attraktiven lebendigen Ausstellungsbereichs und der gesellige Austausch untereinander.
Geerntet wird ebenfalls gemeinsam, so freuen sich alle an dem Ergebnis, was sie aus Samen gezogen, wie sie die Pflanzen gehegt und gepflegt haben. Gleichzeitig bildet der Kleingarten ein Raum des Paradigmenwechsel. Um dies zu erklären: Durch den Anbau verschiedener Sorten einer Kulturart, werden die Gärtner für die große Sortenvielfalt sensibilisiert, sie erkunden mitunter neue Geschmacksrichtungen, kreieren neue Zubereitungs- und Verwendungsmöglichkeiten. Dies alles führt zu einer Entdeckung der „Lebendigkeit“ von Gemüse und Kräutern. Der gemeinschaftlich bewirtschaftete Schrebergarten erweitert für alle den Blickwinkel und bietet direkte Möglichkeiten – entsprechend des DIY – des Selbermachens und Selbstgestaltens.
Für den Anfänger eignen sich robuste und pflegeleichte Sorten, die auch den einen oder anderen Pflegefehler verzeihen, ohne gleich einzugehen. Radieschen sind eine sehr pflegeleichte Kultur und daher absolut anfängerfreundlich. Sie sind unkompliziert in der Aussaat und garantieren schnell sichtbare Ergebnisse. Dazu gehören fast alle Salate (z. B. Pflücksalate), Bohnen, Erbsen und Zwiebeln. Aber auch Zucchini oder Karotten lassen sich relativ einfach kultivieren. Der Anbau dieser Gemüse gelingt ohne Vorkenntnisse auf Anhieb und verspricht schnellen Erfolg – sogar im Kübel. Hier gibt es quasi eine Gelinggarantie. So kann jeder entdecken, dass er einen sogenannten grünen Daumen besitzt.
Man sollte sich nicht entmutigen lassen, wenn sich nicht sofort das Pflanzglück einstellt. Wie im Leben, so ist es auch beim Gärtnern: sich immer an dem erfreuen, was man aktuell hat. Ich kenne dies aus eigener Erfahrung: In einer Saison gedieh mein Portulak prächtig, in der darauffolgenden Saison war er kümmerlich. Darüber unterhielt ich mich mit einer unserer ehrenamtlichen Schrebergärtnerinnen. Ihr war dieses Phänomen bekannt und sie meinte, das sei ganz normal und mit ein Grund, sich bewusst am Moment zu erfreuen. In einer Gartensaison gelingt eine Aussaat bestens, in der nächsten Gartensaison schlägt sie fehl. Pflanzen haben ihre eigene Zeit und ihre eigene Lebendigkeit und fordern deshalb von ihren Gärtnern viel Zeit und Aufmerksamkeit.
Gartenspezifisch ist es, dass der Garten die grundlegenden Zusammenhänge des Lebens erfahrbar macht. Das Säen, Ernten, Kochen und Weiterverarbeiten sensibilisiert nicht nur für die Natur, sondern auch für einen Reality Check der vorhandenen Bedingungen. Wer Wert auf regionale und saisonale Qualität legt, muss sich auch einmal in Geduld üben und abwarten können, denn Gemüse reift zu unterschiedlichen Zeiten, ist witterungsabhängig und lässt bisweilen mit der Ernte auf sich warten.
Genau, der Ausgangspunkt der Schrebergartenbewegung war, dass dem Bewegungsmangel und der ungesunden Lebensweise armer Stadtkinder entgegengewirkt werden sollte. Hierzu legte Schreber eine Turnwiese an. Es folgten später „Kinder-Gärten“, die die Erwachsenen rasch für den Gemüseanbau nutzten. Besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts stärkte die Vereinsform die Schrebergartenbewegung. In Frankfurt kann ein wissenschaftlich betreutes Musterbeispiel eines Selbstversorgergartens und einer Gartenlaube um 1928 besichtigt werden. Es ist ein Projekt von der Ernst-May-gesellschaft in Kooperation mit dem Kleingärtnerverein Heddernheim. Die Parzelle wurde von der Ernst-May-Gesellschaft gepachtet und die Laube (Typenentwurf von der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky) denkmalgerecht wiederhergerichtet. Der Selbstversorgergarten zeigt die ursprüngliche Gartenstruktur und ist nach historischen Quellen mit alten Kulturpflanzen angelegt und ermöglicht anschauliche Einblicke in die Geschichte des Kleingartenwesen.
Gerade in verdichteten und stetig wachsenden Großstädten hat das Kleingartenwesen einen festen Platz im dortigen Grün- und Freiraumsystem. Die Schrebergärten genießen einen besonderen Stellenwert und genau hier sind auch seine historischen Wurzeln verortet. Wie Sie gesehen haben, kann das Kleingartenwesen auf eine lange Tradition zurückblicken. Dabei verharrt es nicht an dem Festhalten der Traditionen, sondern es lässt sich beobachten, dass eine Öffnung zu Innovationen stattfindet. Schrebergärten stellen quasi einen Ort dar, an dem sich Tradition und Moderne verbinden. Sie sind als individuelle Lebensräume, als Orte der modernen Entschleunigung anzusehen. Diese grünen Paradiese mit ihren abwechslungsreichen Facetten als unverzichtbarer Teil der Freizeitkultur, die dem körperlichen, geistigen und seelischen Wohlbefinden dienen, werden von jungen und alten Mitgliedern zunehmend natürlicher belebt und erlebt.
Das Kleingartenwesen erfüllt mehrere Funktionen, die dazu beitragen, dass ihm in vielerlei Hinsicht Wertschätzung zukommt, die ich in einigen Stichworten kurz umreisen kann. Zunächst ist die ökologische Funktion der Schrebergärten zu nennen. Angesichts von Klimaveränderungen tragen sie zum Natur- und Artenschutz, zur Biodiversität und zu einem verbesserten Stadtklima bei. Darüber hinaus zeichnet das Kleingartenwesen eine städtebauliche Funktion aus, und es spielt eine wichtige Rolle für die urbane grüne Infrastruktur, wodurch es zu einem positiven Standortfaktor wird. Schließlich ist aufgrund der großen Nutzungsvielfalt in den Schrebergärten die soziale Funktion zu betonen. In Großstädten bieten sie als grüne Inseln Möglichkeiten für gärtnerische Freizeitgestaltung, Ruhe und Erholung sowie bewusstes Naturerleben im urbanen Raum. Gärtnerische Nachbarschaften, Vereinsaktivitäten und -angebote stärken den sozialen Zusammenhalt, ebenso wie bürgerschaftliches Engagement bei der Pflege von öffentlichen Grünflächen.
Bei den Schrebergärten lässt sich ein Imagewandel registrieren: Galten sie früher als spießig und ihre Besitzer wurden als Laubenpieper bezeichnet, so kommen heute Anfragen aus ganz unterschiedlichen sozialen Milieus, Altersgruppen und Kulturen, die Nachfrage steigt auch bei Familien mit Kindern. Urbanes Gärtnern ist attraktiv. Ich möchte es aber nicht nur auf den Schrebergarten beschränkt lassen, sondern noch breiter mit dem komplexen Themenfeld des Urban Gardening verbinden.
Zwischen dem Kleingartenwesen und dem Urban Gardening gibt es eine große Schnittmenge. Zentrale Charakteristika sind der Wunsch nach Ruhe, gesunder Ernährung, Ernährungssouveränität, der Gestaltung eines Naturraumes im städtischen Milieu, Re-Grounding, Autonomie, die „richtigen Dinge zu tun“, Partizipation und nach Begegnung mit Gleichgesinnten, also Gemeinschaftsorientierung. Insgesamt sind die Motivationen für das Gärtnern vielschichtig und vielfältig, ebenso wie das urbane Gärtnern überaus facettenreich ist. Dies zeigt sich an der Fülle von Gemeinschaftsgärten, Nachbarschaftsgärten, Kiezgärten, Initiativen für produktive Stadtlandschaften, wie die „Essbare Stadt“, Selbsternteprojekte, Baumscheibenbegrünungen, Guerilla Gardening, Permakulturprojekte, Studieren- und Schulgarten und Interkulturellen Gärten, um nur einige Beispiele zu nennen.
Beim Urban Gardening werden aus scheinbaren „Nicht-Orten“ – wie sie nach dem französischen Anthropologen Marc Augé bezeichnet werden – gemeinsam bewirtschaftete Begegnungs- und Austauschorte. Hierbei wird bewusst eine Interaktion mit der Urbanität eingegangen und diese nicht als Kontrast angesehen. Es begegnen sich Natur und Kultur. Die städtische Kultur wird durch die Vielfalt der Gartenformen enorm bereichert, da diese die unterschiedlichen Alltagswelten der Menschen nicht nur abbildet, sondern auch miteinander verbindet. Die grünen Oasen geraten heute aber auch verstärkt unter Druck. In einigen Städten wie Berlin häuft sich die Kritik, dass Schrebergärten wertvolles Bauland okkupieren, weil Wohnraum fehlt …
In der Tat sieht sich das Kleingartenwesen seit geraumer Zeit besonders in Großstädten vor große Herausforderungen gestellt. Auf der einen Seite ist die Sehnsucht nach natürlichen und gesunden Versorgungsmöglichkeiten, die die Nachfrage nach Kleingärten bereits vor Corona stark steigen ließ und zu Engpässen führte. Auf der anderen Seite gibt es in den Großstädten einen enormen Bedarf an Flächen z. B. für Wohnungsbau, Gewerbe und Infrastruktur. Wie ich bereits erläuterte, stellt sich das Kleingartenwesen diesen stadtentwicklungspolitischen Herausforderungen und zeigt sich kreativen Innovations-Lösungen gegenüber aufgeschlossen. Kleingartenanlagen in innenstadtnahen Wohnquartieren bleiben, wie in Frankfurt, erhalten, werden nachverdichtet bzw. im Zuge von Freiraumkonzepten extra angelegt. Inzwischen gibt es Entwicklungen hin zu Kleingartenparks, die mit Lehrpfaden, Spielplätzen und einer Öffnung für jedermann partizipativ angelegt sind. Weitere Projekte bieten ausgewiesene Gemeinschaftsbereiche an, die von allen Interessierten genutzt werden können. Die Bestrebungen gehen in die Richtung, die grünen Inseln zu erhalten und die Schrebergärten für breitere Nutzungsmöglichkeiten zu öffnen.
Grundsätzlich spielen viele Einflussfaktoren eine Rolle, die miteinander in Wechselwirkungen stehen. Es gilt, die Artenvielfalt zu fördern und zu erhalten. Dies ist mit Projekten möglich, die die Bepflanzung des Stadtraumes im Fokus haben. Grünflächen bilden wichtige Rückzugsmöglichkeiten für mitunter gefährdete und seltene Pflanzen und Tiere. Neben den ökologischen Gesichtspunkten sind zusätzlich die sozialen Gesichtspunkte und die Erholungseffekte zu betrachten, die sich für die Bewohner einer grünen Stadt ergeben.
Des Weiteren hat die Stadtvegetation erheblichen positiven Einfluss auf das Stadtklima. Neben Haus- und Kleingärten, Grünflächen und Parks sowie ausreichendem Baumbestand, tragen Fassaden- und Dachbegrünungen wesentlich dazu bei, dass die Aufheizung im Stadtraum, wo die Häuser dicht stehen, reduziert wird, weil Effekte der Beschattung, Kühlung, Luftbefeuchtung und Staubbindung registrierbar sind. Wesentlich ist, dass jeder Privathaushalt zu einer gesunden Stadtökologie und zur Biodiversität im Stadtraum beitragen kann.
Ich beschäftige mich u. a. mit moderner Alltagsforschung, da bietet der Gartenzwerg eine weitere reizvolle Schnittstelle. Hier eröffnen sich neue Perspektiven, die sich mit Bildvorstellungen oder Stimmungen befassen: es geht um populäre Gefühlskultur. Gartenzwerge gelten als Klischee des typisch deutschen. Die ursprüngliche „Gnomen-Figur“ konnte ab 1872 käuflich erworben werden. In Gräfenroda lag das Zentrum der Gartenzwergherstellung, so dass um 1900 16 Betriebe Kunden in ganz Europa belieferten. Der aus Ton hergestellte Gartenzwerg erfreute sich zunächst beim Bürgertum großer Beliebtheit. Dieses stellte ihn beispielsweise ins Alpinum, d. h. in einen Steingarten, der als repräsentatives Element fungierte. Aber auch hier geriet er als Kitsch verschrien schnell in die Kritik. In den 1960er Jahren lösten ihn Kunststoff-Gartenzwerge ab, die durch ihren günstigen Preis rasch in die Vor- und Schrebergärten einzogen und zum Dekoartikel Nummer 1 avancierten.
Auch sein äußeres Erscheinungsbild wandelte sich, sah er vorher wie ein Gnom aus, orientierten sich die Darstellungen nun an Walt Disneys „Schneewittchen und die 7 Zwerge“. Damit einher ging ihre Vermenschlichung, Gartenzwerge widerspiegelten jetzt alltägliche Tätigkeiten. Sie verkörpern ein Stimmungsbild. Im Zusammenspiel mit dem Kleingarten symbolisieren sie eine von Gemütlichkeit geprägte heile Welt. Schnell kam das Klischee vom konservativ spießigen Kleingärtner auf. Einen Popularitätsschub verschafften dem Gartenzwerg z. B. Politiker-Persiflagen oder Figuren, wie dem „erdolchten Nachbar-Zwerg“. Die große Beliebtheit der trendigen Gartenzwerge trägt dazu beiträgt, dass sie mittlerweile auch Eingang ins Wohninterieur gefunden haben. Am Gartenzwerg scheiden sich die Geister, von den einen wird er geliebt, von den anderen verachtet. Als Volkskundlerin stehe ich dem Phänomen Gartenzwerg in der Massenkultur und Alltagswelt aufgeschlossen gegenüber, selbst besitze ich aber keinen.
Dr. Constanze N. Pomp studierte an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz im Magisterstudiengang das Hauptfach Kulturanthropologie/Volkskunde sowie die Nebenfächer Buchwissenschaft und Christliche Archäologie & Byzantinische Kunstgeschichte. 2014 wurde sie dort promoviert und hatte Lehraufträge am Institut für Film-, Theater- und empirische Kulturwissenschaft. Von 2017 bis 2019 absolvierte sie am TECHNOSEUM Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim ihr wissenschaftliches Volontariat. In dieser Zeit arbeitete sie unter anderem bei der Konzeption der Großen Landesausstellung Baden-Württemberg „Fertig? Los! Die Geschichte von Sport und Technik“ mit. Von 2018 bis 2019 war sie im Arbeitskreis Volontariat des Deutschen Museumsbundes (DMB) aktiv. Seit März 2019 ist sie am TECHNOSEUM in der Stabsstelle Freundeskreise und Ehrenamt für die Koordinierung der Ehrenamtlichen zuständig.
Weiterführende Informationen:
Gelassenheit, Nachhaltigkeit, Respekt: Was wir von guten Gärtnern lernen können
Was uns blühen kann in einer geordneten Welt: Tipps und Trends zum Gärtnern
Der grüne Daumen: Warum er Unsensiblen und Ungeübten ein Rätsel bleibt
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.