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Gut beraten: Wie wir bessere Entscheidungen treffen

Die Welt ist nicht, wie sie scheint. Um richtige Entscheidungen zu treffen, braucht es vor allem Risikokompetenz – „die Fähigkeit, Kopf und Bauch gleichermaßen zu nutzen“, sagt Gerd Gigerenzer, der bis zu seiner Emeritierung Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin war. Denn in unserer Komplexitätsgesellschaft mit ihren nichtlinearen Systemen ist nicht alles prognostizier- und steuerbar. Für den Psychologen Gigerenzer ist ein Leben ohne Intuition nicht denkbar.

Anders argumentiert der Ökonomienobelpreisträger und Mitbegründer der Verhaltensökonomie Daniel Kahneman, der in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ seine häufig gemeinsam mit Amos Tversky durchgeführten Forschungen zusammengefasst hat. Nach ihren Einschätzungen werden 95 Prozent aller Entscheidungen überwiegend vom intuitiven System gefällt und laufen unbewusst ab. Die zentrale These seines aktuellen Buches „Noise“, das er gemeinsam mit dem Unternehmensberater Olivier Sibony und dem Juristen Cass R. Sunstein geschrieben hat, lautet: Unsere Intuition leitet uns viel häufiger fehl, als uns bewusst ist. Intuition ist für sie das Resultat von Erfahrung – eine wichtige Voraussetzung für das richtige Bauchgefühl, das nach Meinung der Forscher ebenso ein vorhersehbares und regelmäßiges Umfeld sowie ein Bewusstsein der Konsequenzen bisheriger Entscheidungen braucht. Auf unsere Intuition können wir uns nur dann verlassen, wenn uns das Ergebnis einer Entscheidung nicht besonders wichtig ist, so die Autoren, die dafür plädieren, bei Schwierigkeiten möglichst rational zu entscheiden.

  • Persönliche Launen,

  • schnelle, oft unüberlegte Entscheidungen,

  • Außenfaktoren,

  • Selbstüberschätzung,

  • innere Zwiespältigkeit,

  • Voreingenommenheit,

  • selektive Informationsauswahl.

Als „Noise“ (Rauschen) bezeichnen sie die zufällige und unerwünschte Streuung bei Entscheidungen. Das Ergebnis ist „verrauscht“ oder „noisy“. Dies verursacht ein statistisches Geräusch, das es unmöglich macht, Entscheidungen vorherzusehen. „Noise“ beeinflusst unsere Entscheidungsfindung (beispielsweise die Auswahl von Informationen, die die eigenen Einstellungen bestätigen: „confirmation bias“). Leider wird der „Noise“-Effekt von Entscheidern häufig unterschätzt. Kahneman kritisiert, dass andere Menschen die Welt genauso wahrnehmen wie man selbst. Dieser „naive Realismus“ verhindert, das eigene Urteil zu hinterfragen. Auch viele Experten betrachten ihre Weltsicht als gegeben und ihre Entscheidungen, Diagnosen oder Urteile als alternativlos.

Menschen verhalten sich nach Ansicht der Autoren weitaus weniger rational, als sie es selbst gerne täten. Kahneman nennt dies „Bias“ (konsistente Abweichung von einem Ziel). Im Buch wird beschrieben, wie sich die westlichen Gesellschaften auf die Probleme des Bias fokussieren, auf die Entscheidungsfehler aufgrund systematischer Abweichungen wie Vorurteilen. Vor allem Gruppen seien noch anfälliger für den „confirmation bias“ als Einzelpersonen. Auch die Tatsache, dass sich innerhalb der Gruppe niemand gern gegen die Gruppe stellt, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Dies führt dann dazu, dass sich die Gruppenmitglieder gegenseitig bestärken und dies auch demonstrativ nach außen zur Schau stellen.

Das Autorenteam hat eine Vielzahl von Beispielen zusammengetragen, die belegen, dass wichtige Entscheidungen schon durch winzige Veränderungen völlig anders ausfallen können. Auch unter gleichen Bedingungen treffen verschiedene Menschen oft sehr unterschiedliche Entscheidungen, die auf ein und derselben Faktengrundlage beruhen. So schätzen Personalverantwortliche, die Vorstellungsgespräche führen, dieselben Bewerberinnen und Bewerber sehr unterschiedlich sein (intuitive Urteile). Auch hängen Urteile stärker von der Person des Beurteilenden ab als von der zu beurteilenden Leistung.

„Gute Urteile hängen davon ab, was man weiß, wie gut man denken kann und wie man denkt“, so die Autoren. Einstellungsgespräche sind für sie ein Minenfeld psychologischer Verzerrungen (Begünstigung von Bewerbern, die der eigenen Person kulturell nahestehen etc.). Allerdings wird es keine rein rationalen Einstellungsverfahren, die komplett „rauschfrei“ sind, geben, sagt der Personalexperte und Autor Werner Neumüller, der wie die Autoren auf eine strukturierte Personalauswahl setzt, aber auch darauf verweist, dass Führungskräfte und Manager niemals ganz auf ihre Intuition verzichten können.

Algorithmen werden keine Einstellungsgespräche ersetzen können, auch sind Standardinterviews nicht besonders aufschlussreich, wenn es darum geht, die passenden Kandidaten zu finden. Wo nur auf Algorithmen gesetzt wird, trägt am Ende keiner die Entscheidung, wer den Job erhält. Es braucht nach Meinung von Werner Neumüller auch Intuition, um sicherzustellen, dass die Bewerber möglichst unabhängig beurteilt werden. Sein Verständnis von Intuition deckt sich mit dem von Kahnemann: Eingebungen nach einem Prozess, in dem sorgfältig alle Informationen und Urteile gesammelt wurden. Der Bauch ist klug, wenn wir vorher langsam nachgedacht haben.

  • Daniel Kahneman, Olivier Sibony, Cass R. Sustein: Noise. Was unsere Entscheidungen verzerrt. Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt. Siedler Verlag, München 2021.

  • Werner Neumüller: Die Grenzen der Rationalität. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.

  • Daniel Kahneman: Schnelles Denken, Langsames Denken. Aus dem amerikanischen Englisch von Thorsten Schmidt. Siedler Verlag, München 2012.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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