Gute Arbeit: Die Basis für gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine gelingende Transformation
Motivation und Eigenverantwortung werden immer wichtiger, wenn die Arbeitsaufgaben komplexer werden. Unternehmen müssen deshalb dafür sorgen, dass ihre Systeme eine Architektur aufweisen, die dafür sorgt, sich selbst zu stabilisieren und zu reparieren, wie es auch die Evolution vormacht. Agile Arbeitsweisen einzuführen bedeutet, ein Umfeld zu schaffen, in dem in Zukunft den Herausforderungen von Mitarbeitenden und Führungskräften optimal begegnet werden kann. Das erfordert die passende Dialogkultur und eine entsprechende Unternehmensstruktur. Wer Menschen nachhaltig bewegen will, muss ihnen die Möglichkeit geben, mit anderen zu kooperieren und Beziehungen zu gestalten. Das hat weit reichende Konsequenzen für die Arbeitswelt und für das Führungsverhalten von Vorgesetzten und Managern, die angesichts der wachsenden Komplexität der Systeme, in denen sie „navigieren“ müssen, unter massivem Druck stehen. Der Ausstieg aus fossilen Energieträgern (Dekarbonisierung unserer Wirtschaft), die voranschreitende Digitalisierung sowie enorme Fortschritte beim Einsatz der Künstlichen Intelligenz (KI) sind in den Dimensionen vergleichbar mit der ersten industriellen Revolution. Unternehmen sind „soziale Orte“, in denen die Folgen und Herausforderungen der Transformation für die Beschäftigten unmittelbar erfahrbar werden.
Viele Beschäftigte sehen die Entwicklung mit Sorge, haben Angst vor dem Wegfall ihrer Jobs oder davor, den Anforderungen nicht mehr gewachsen zu sein. Auch wenn heute niemand das Ausmaß und die Geschwindigkeit genau einschätzen kann, ist die Verunsicherung doch groß. Die Beschäftigungseffekte unterscheiden sich allerdings in den einzelnen Branchen. Negative Effekte sind nach Angaben des RNE u. a. im Fahrzeugbau und bei Zuliefererbetrieben, bei Stahl, Zement oder auch nichtgrünen Bereichen der Chemie zu erwarten. Dabei droht oft der Verlust von gut bezahlten Industriearbeitsplätzen sowie ein Lohnverlust bei unfreiwilligem Berufswechsel. Demgegenüber sind in anderen Branchen positive Beschäftigungseffekte zu erwarten, wenn im Rahmen einer ambitionierten Klimapolitik umfassende private und öffentliche Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur u. a. in den Bereichen Energie, Gebäudesanierung und ökologische Infrastruktur (Verkehr, digitale Netze) sowie in den Bereichen Bildung und Versorgung (care) getätigt werden. Gute Arbeit wird durch gute Arbeitsbedingungen, faire Entlohnung und Mitbestimmungsrechte geprägt. Für den Neurobiologen Joachim Bauer gibt es drei zentrale Bezüge, in denen sich Arbeit immer vollzieht:
Bezug zur Natur
Bezug zu den Mitmenschen
Bezug zur eigenen Person.
Sie macht die natürliche Umwelt zu einem wohnlichen Ort, verschafft uns soziale Teilhabe und Anerkennung und ermöglich uns, unsere eigenen Fähigkeiten zu erleben und zu genießen. Gute Arbeit ist vor allem durch drei Begriffe geprägt: Selbstbestimmung, Demokratisierung und Potentialentfaltung. „Wo uns das, was wir durch Arbeit zuwege gebracht haben, gefällt und Freude macht, wo wir uns in dem, was wir tun, unserer Identität wiedererkennen und wo wir für das von uns Geleistete die Anerkennung und Wertschätzung anderer gewinnen, dort wird Arbeit zu einer Resonanzerfahrung“ (Reheis 2029, S. 207), bemerkt auch der Sozialwissenschaftler Fritz Reheis. In seiner aktuellen Stellungnahme gibt der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) Empfehlungen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Arbeitswelt, um den Fachkräftemangel zu beheben und gleichzeitig gute Arbeitsbedingungen als zentrales Element für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten. Von den für die Klimaneutralität erforderlichen Arbeitskräften des Jahres 2035 entfallen rund 40 Prozent auf Berufsgruppen, in denen die Bundesagentur für Arbeit einen erheblichen Arbeitskräftemangel (Fachkräftemangel) identifiziert hat. Bereits heute zeichnet sich ein genereller Arbeitskräftemangel ab, der ein Hemmnis für die deutsche Wirtschaft und ihre nachhaltigen Wachstumspotenziale darstellt, wodurch eine Blockade der Transformation droht. Auch wenn die sozial-ökologischen Transformationsprozess je nach Branche, Unternehmen und Region unterschiedlich sind, sind die entscheidenden Faktoren für die Gestaltung guter Arbeit und eine gelingende sozial-ökologische Transformation für alle gleich. Dazu gehören:
gute Arbeitsbedingungen sowie Reform der Arbeitszeitgestaltung zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie
sichere Arbeitsverhältnisse und Aufbau neuer Arbeitsplätze
familienfreundliche Arbeitszeiten
Fokussierung auf lebensbegleitende Aus- und Weiterbildung sowie auf die gesamte Bildungskette und Entkoppelung der Bildungschancen von der sozialen Herkunft
faire Entlohnung
Förderung und Sicherung der Fachkräfte
Förderung der Fachkräfteeinwanderung
Abbau von steuerlichen Fehlanreizen
Flexibilität und Mobilität der Beschäftigten
Anreize und Ausbau des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes
Investitionen in die Transformation, Infrastruktur und Bildung sowie eine starke Tarifbindung
verbriefte Mitbestimmungsrechte und Partizipationsmöglichkeiten der Beschäftigten
tarifvertragliche Regelungen der Sozialpartner
persönliche, positive Perspektive auf die Entwicklung der Arbeitswelt der Zukunft
Etablierung einer langfristigen und inklusiven Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik
Entwicklung einer Strategie für Weiterbildung und Fördermöglichkeiten für Geringqualifizierte sowie eine Förderung der raschen Integration von internationalen Fachkräften in den deutschen Arbeitsmarkt
Zukunftsinvestitionen
positive Zukunftsperspektiven der Arbeitswelt.
Es mangelt nicht an Erkenntnissen, sondern vor allem an ambitionierteren Umsetzungsschritten im Sinne einer gelingenden Transformation. Die Politik als Gestalter der Nachhaltigkeitstransformation ist verantwortlich für die Schaffung und Umsetzung der regulatorischen Rahmenbedingungen, die die Anreize und Vorgaben für die Realwirtschaft und die Finanzwirtschaft setzen. Erst dann ist gewährleistet, dass gute Arbeit als Schlüssel zur Transformation den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch die Berufswelt stärken kann.
Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Heyne Verlag, München 2008.
Fritz Reheis: Die Resonanz-Strategie. Warum wir Nachhaltigkeit neu denken müssen. Oekom Verlag, München 2019.
Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.