Haben wir es mit Videocalls übertrieben?
Wie anders war doch die Zeit, als wir noch in der Fleischwelt von Termin zu Termin gezogen sind und kurz die Ergebnisse auf der Weiterreise im Auto oder Zug mental verarbeiten konnten. Seit zwei Jahren fehlt diese Zeit dazwischen. Ein Videocall jagt den anderen. Auf der anderen Seite wird so viel Zeit und dadurch natürlich auch Geld gespart.
Die totale Erschöpfung nach Onlinemeetings
Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin nach einem Tag mit vielen unterschiedlichen Videogesprächspartnern energetisch total am Ende. Ausgelaugt. Platt. Hinzu kommt, dass ich mittlerweile an Videocallamnesie leide. Ich weiß nach einem Gespräch schon gar nicht mehr, was wir eigentlich besprochen hatten. Geht das nur mir so? Schreiben Sie mir gern in die Kommentare, ob ich da allein bin oder ob Sie vielleicht sogar Tipps für uns alle haben, wie man das vermeiden kann. Am Ende des Artikels finden Sie meinen aktuell hilfreichsten Tipp, wenn es um die Vermeidung von Zoom-Fatigue geht.
Mentale Erschöpfung
Die mentale Erschöpfung durch Videocalls ist wissenschaftlich bereits seit dem April 2021 in einer umfassenden Studie von 10.000 Befragten nachgewiesen. Der Professor für Kommunikation Jeremy Bailenson zusammen mit Jeff Hancock, dem Gründungsdirektor des Stanford Social Media Lab, Géraldine Fauville, einer ehemaligen Postdoc-Forscherin am VHIL, Mufan Luo, Doktorandin in Stanford, und Anna Queiroz, Postdoc am VHIL, haben die Zoom Exhaustion & Fatigue Scale (ZEF-Skala) entwickelt. Sie können sich gern noch beteiligen. Ich habe auch teilgenommen.
Das für mich spannendste Ergebnis dieser Studie war, dass Frauen stärker unter dieser sogenannten Zoom-Fatigue leiden als Männer. Eine von sieben Frauen und einer von zwanzig Männern fühlen sich nach Videocalls extrem müde und sehr erschöpft.
Aber nicht nur das Geschlecht gab Ausschlag, sondern auch ob die Persönlichkeitsstruktur eher extravertiert oder introvertiert war. Menschen mit einer eher extravertierten Veranlagung meldeten nach einem Zoom-Anruf ein geringeres Maß an Erschöpfung als Introvertierte.
Und noch eine interessante Erkenntnis: Jüngere Menschen berichteten auch über ein höheres Maß an Erschöpfung im Vergleich zu älteren Studienteilnehmern. Ich könnte mir vorstellen, dass das daran liegt, dass jünger Menschen evolutionär programmiert noch mehr Signale verarbeiten, um ihr Überleben zu sichern. Auf gut deutsch: Ältere Menschen sind in einigen Dingen einfach gelassener. Ist so.
Die Gründe für die Erschöpfung und Lösungen
Dieses ständige Sich-angestarrt-Fühlen macht mürbe
Bei Meetings in der analogen Welt wandert der Blick, mal in die Notizen, mal zum Fenster, mal zum Notausgang. Im Videocall dagegen schauen alle in die gleiche Richtung, nämlich gefühlt zu Ihnen. Auch wenn Sie nur zuhören. Das ist nicht jedermanfraus Sache. Nicht ohne Grund ist die Angst, vor Gruppen zu sprechen und von allen angestarrt zu werden, die größte Angst des Menschen, noch vor der Angst vor dem Tod. Ich persönlich kann das Angestarrtwerden nicht nachempfinden, weil die meisten ja tatsächlich gefühlt an einem vorbeiblicken und eben NICHT in die Augen. Dazu müssten diese in die Kameralinse schauen, und das macht kaum jemand. Der Blick geht immer auf den Monitor und nicht in die Kameralinse also konsequent am Gesprächspartner vorbei. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es daran liegt, dass einem die Gesichter und Oberkörper ständig zu gewandt sind und das das Gefühl des Angestarrtwerdens vermittelt.
Besser: Meine Kameralösung für Sie wird bald kommen. Es wird für Sie die Kamera im Monitor geben. Um auf dem Laufenden zu bleiben, abonnieren Sie mich gern irgendwo oder auf anderen virtuellen sozialen Kanälen. Gern auch meinen Youtubekanal. Was ich Ihnen aber jetzt schon mitgeben kann: Lächeln Sie im Videocall mal ab und zu in die Kamera und nicken empathisch. Es ist so ein wundervolles Gefühl für Ihr Gegenüber, positiv wahrgenommen zu werden. Schenken Sie Ihrem Gesprächspartner ein gutes Gefühl.
Um sich daran zu erinnern, kleben Sie sich ein Post-it an den Monitor mit einem Smiley. Mehr Tipps auf meinem Youtubekanal.
Ein riesiges Gesicht auf dem Bildschirm erschreckt
Ein Gesicht, das weniger als eine Armeslänge von uns entfernt und riesig groß erscheint, kennen wir aus der Natur nur aus Situationen, wenn es entweder gleich gefährlich oder sehr wundervoll für uns wird. Das heißt in Situationen, in denen wir gleich angegriffen werden oder eine Reproduktion bevorsteht. Starren wir stundenlang auf ein zu nahes Gesicht, sind wir unbewusst dauerhaft angespannt.
Besser: Zum einen können Sie das Videokonferenzfenster verkleinern, wenn das Gesicht des Sprechers zu groß auf dem Bildschirm ist. Testen Sie, ob es Ihnen so angenehmer ist.
Zum anderen gibt es eine Faustregel für den richtigen und für andere angenehmen Abstand von der Kameralinse. In meinem Onlinekurs ist die Vorgehensweise so genau beschrieben, dass Sie überall in der Lage sind, sich richtig zu positionieren. Oder Sie buchen mich für ein Gruppentraining von fünf Personen für zwei Stunden. Hier erfahren Sie alles über Ihre persönliche Wirkung vor der Webcam.
Um selber nicht mit einem übergroßen Gesicht aufdringlich zu wirken, müssten Sie eventuell mit einer externen Tastatur arbeiten. Das kommt aber stark auf die Kamera an, mit der Sie arbeiten.
Die Spiegelangst
Wir sehen unser eigenes Bild die ganze Zeit in Videokonferenzen. Das klingt erst mal normal, aber rückblickend auf die vergangenen Hunderttausende von Jahren kennt unser Gehirn das nicht. Es gibt eine Studie, die besagt, dass Frauen eher dazu neigen, sich kritischer im Spiegel zu betrachten. Wenn das schon der Fall ist, wie unangenehm und ermüdend ist es dann, sich in Echtzeit in Videokonferenzen zu sehen? Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen. Ich bin zwar situationsadaptiv extravertiert, aber wenn ich in einem Studio Videos aufzeichne und das Team mir einen Monitor neben die Kamera gestellt hat, damit ich mich selber sehe, frage ich als Erstes: „Kann man die Frau da mal wegschicken?“
Lösungsvorschläge
Besser: Checken Sie Ihr Videobild auf die richtige Position Ihres Körpers im Bild, das richtige Licht, die richtige Positionierung der Kamera (hier gibt es den Kurs dazu) und schalten dann die Selbstansicht aus. Das tut so gut.
Bei Zoom können Sie Ihre Selbstansicht ausblenden. Dafür fahren Sie mit dem Cursor über Ihr eigenes Bild. Bewegen Sie den Mauszeiger über Ihr Video und klicken Sie auf das Symbol mit den drei Punkten. Wählen Sie dann die Option Selbstansicht ausblenden.
Bei Teams ist es stand heute – 30. Januar 2022 – nicht möglich, es wird aber wohl daran gearbeitet. Ich persönlich finde es bei Teams auch relativ entspannt, weil man sich ja nur als Miniausgabe im kleinen Fenster sieht.
Eingeschränkte Bewegungsfreiheit
Der begrenzte Bildausschnitt verleitet viele dazu, sich nicht oder kaum zu bewegen. Man möchte ja für den anderen zu sehen sein und nicht „aus dem Rahmen fallen“. Aber den ganzen Tag brav vor dem Monitor zu sitzen, macht nicht nur körperlich steif, sondern auch gedanklich unbeweglich.
Besser: Eine externe Tastatur und die Kamera mittels eines Laptopständers oder höhenverstellbaren Schreibtischs auf die Höhe zu bringen, in der man im Stehen teilnehmen oder sogar präsentieren kann, bringt Leben in Sie, in Ihre Gedanken und Ihre Ausstrahlung. Es gibt spezielle Laptopständer, die sich hierfür prima eignen. Hier ein Beispiel.
Audio-only-Phasen
Ein Tipp, den ich als hervorragend erachte, wenn alle vernünftig damit umgehen, ist die Verabredung zu „Audio-only-Phasen“.
Das geht so: Alle begrüßen sich mit Kamera, und je nach Thema und Präsentation werden Audio-only-Phasen verabredet. Sie werden merken, dass die Bereitschaft, die Kamera einzuschalten, größer wird, und es fühlt sich weniger gezwungen an. Natürlich verleitet es dazu, in den Audio-only-Phasen bei Amazon shoppen zu gehen oder schnell ein paar E-Mails zu beantworten, aber mal ehrlich: Die Entspannung, die durch das Auslassen der Kamera entsteht, könnte produktiveres und konzentriertes Arbeiten hervorrufen.
Bleiben Sie digital schick.
Ihre Yvonne de Bark