Halt durch Behalten? Wie die Dinge unser Leben beeinflussen
Menschen hingen schon immer von den greifbaren Dingen ab, weil sie identitäts- und sinnstiftend sind.
Was heute nottut, ist eine „allgemeine Wertschätzung des Vergnügens an einer tieferen und länger bestehenden Beziehung zu den Dingen“, schreibt Frank Trentmann, britischer Professor für Geschichte in seiner umfassenden „Warenbiografie“ der letzten 500 Jahre. Darin beschäftigt er sich nicht nur mit dem Ausmaß und den Folgen der globalen Arbeitsteilung, sondern auch mit Brillen, Uhren, Messern, Gabeln und zahlreichen Haushaltsgegenständen. Der Titel seiner Konsumgeschichte lautet „Herrschaft der Dinge“, im englischen Original: „Empire of Things“. Trentmann fragt, wie es dazu kam, dass wir uns mit immer mehr Dingen umgeben. Er plädiert für mehr Bewusstheit der Menschen, die sich nicht nur als Konsumenten betrachten sollten, sondern auch als weitsichtige engagierte Bürger mit „historischer Vorstellungskraft“. Denn Dinge geben uns unsere Geschichte(n) zurück. Ein Verzicht darauf würde bedeuten, die eigenen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten zu schwächen. Wer nachhaltig handelt, hat die Dinge und die Geschichten dahinter buchstäblich begriffen.
Geschichte und Geschichten helfen uns, klar in die Zukunft zu sehen und Geisteskraft für die Gegenwart zu sammeln, die immer komplexer wird.
Umso wichtiger ist es, denkend und sinnstiftend zu sein. Friedrich Schumacher, Autor des Buches „Small is beautiful: Die Rückkehr zum menschlichen Maß“, verband dies bereits 1973 mit den schönen Dingen des Lebens. Sie beschäftigen uns heute deshalb so intensiv, weil durch den Einfluss der digitalen Informationstechnik viele Aspekte unseres Lebens nicht mehr überblickt werden können. Wir haben das Gefühl, dass wir buchstäblich vieles nicht mehr im Griff haben und uns fremdbestimmt fühlen. Das Berühren und Behalten der Dinge trägt dazu bei, die Welt im Kleinen zu be-greifen und neu zu ordnen. Der chilenische Dichter Pablo Neruda widmete den Dingen sogar eine eigene Ode, weil sie ihn nicht nur (an)rührten, sondern dicht neben seinem Dasein herliefen, „daß sie mit mir da waren / und so sehr da für mich waren / daß sie ein halbes Leben mit mir lebten / und dereinst auch einen halben Tod / mit mir sterben.“
Warum wir auf die Dinge des Lebens nicht verzichten können
• Dinge beherbergen unsere Geschichten, Träume, Wünsche und Hoffnungen.
• Dinge erzählen etwas über ihre Besitzer und ihre Erinnerungen, bieten Trost in schwierigen Zeiten und bilden eine Brücke zur Vergangenheit.
• Dinge vermitteln uns ein Gefühl von Heimat und Aufgehobensein.
• Die Geschichten der Dinge helfen uns, unsere eigene Lebensgeschichte besser zu konstruieren.
• Dinge können Verweisfunktionen übernehmen oder zu Symbolen werden.
• Dinge sind das, was wir am Ende unseres Lebens hinterlassen.
• Dinge sind in Form gebrachte Nachhaltigkeit.
Weiterführende Informationen:
Frank Trentmann: Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute. Aus dem englischen von Klaus-Dieter Schmidt und Stephan Gebauer-Lippert. DVA, München 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.