Herausforderungen bei einer ethischen Bewertung im Umgang mit Technologie
Interview mit dem Digitalisierungsexperten Tobias Loitsch
Herr Loitsch, eine „Digitale Ethik“ kann helfen, Lösungen für gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen der Gegenwart zu finden und diese mit Sicht auf Technologie anzuwenden. Doch was ist eigentlich Digitale Ethik?
Grundsätzlich wird meiner Meinung nach digitale Ethik durch Vernunft und Verantwortung im Einsatz um Umgang mit Technologie definiert. Doch die Frage einer digitalen Ethik ist vielfältiger. Geprägt durch starke technologische Entwicklungen entstehen Herausforderungen bei einer ethischen Bewertung im Umgang mit Technologie. Das wesentliche Prinzip der digitalen Welt besteht darin, immer mehr Daten zu erfassen. Kaum ein Bereich ist noch frei von Technologie, ob im Internet, bei Zahlungsvorgängen oder über Smartphone mit den Kommunikationskanälen. Es stellt sich allerdings hier die Frage nach den Grenzen des Digitalisierbaren und die Auswirkungen auf unseren Alltag.
Kann es in Zukunft sein, dass durch Technologie wie Künstliche Intelligenz (KI), Entscheidungen nach ethischen Vorgaben von Maschinen übernommen werden?
Auch wenn Technologie noch so leistungsfähig werden, gibt es keine Algorithmen, die nach ethischen Werten entscheiden können und werden. Die Fähigkeit, ein moralisches Urteil zu fällen, bleibt der Künstlichen Intelligenz aufgrund fehlender emotionaler Kompetenz verwehrt. Für Menschen wird ein gut funktionierender ethischer Kompass immer wichtiger. In der Auseinandersetzung mit den digitalen ethischen Herausforderungen in einer technologisch geprägten Gesellschaft muss zunächst die Frage geklärt werden, welche Aspekte von Technologie die ethischen Fragestellungen auslösen. Das dient der Verständlichkeit von gesellschaftlichen Prozessen und bietet einen Ausgangspunkt, an dem eine ethische Betrachtung vorgenommen werden kann. Wird ein Digitalisierungsprozess näher betrachtet, so wird deutlich, dass die technologische Entwicklung zu neuen, vorher nicht möglichen Handlungsmöglichkeiten führt. Wie beispielsweise die umfassende Datenerfassung, und der Einsatz von Software basierend auf künstlicher Intelligenz.
Wie spiegelt sich digitale Ethik in der Gesellschaft wider, und gibt es eine menschliche Komponente in der Betrachtung?
Digitale Ethik spiegelt sich in den Grundprinzipien unserer Gesellschaft, der persönlicher Freiheit, Verantwortung, Wohlbefinden, Transparenz sowie Gerechtigkeit wider. Eine digitale Ethik muss eine Ethik für die Menschen sein, für ihr mögliches fehlbares, rationales, impulsives und egoistisches Handeln.
Digitalisierung ist demnach nicht nur die Entwicklung von Technologie, sondern deren zeitgleiche Integration in nahezu alle Lebensfelder. In ihrer ursprünglichen Bedeutung bezeichnete „Digitalisierung“ die Darstellung von Signalen aller Art in digitaler Form. Durch die globale Ausbreitung und die schnelle Geschwindigkeit der Entwicklung von Technologien entstehen neue Herausforderungen.
Die Entwicklung einer Digitalstrategie beschäftigt derzeit viele Unternehmen. Wie sinnvoll ist es hier das Thema digitaler Ethik zu einzubeziehen?
Ich empfehle Unternehmen von Beginn an, alle betreffenden Bereiche in eine Digitalisierungsstrategie zu integrieren - das beinhaltet auch das Thema digitale Ethik. Hier ist es hilfreich, vorhandene Strukturen zu nutzen, die etwa für das Thema Corporate Social Responsibility (CSR) aufgebaut wurden. Es ist wichtig, dass eine Digitalisierungsstrategie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt endet, sondern entsprechend den Prozessen angepasst werden können.
So ist es möglich, Vertrauen zu fördern und die Akzeptanz für zukünftige Entwicklungen zu schaffen. Es muss verhindert werden, dass die Einbeziehung von Aspekten digitaler Ethik als Innovationsbremse angesehen werden. Der Einsatz von modernen Technologien ist eine Fortführung von natürlichen Interessen. Technologie ist hierbei als ein Werkzeug zu betrachten, was für die Arbeit und den genutzt wird.
Natürlich ändern sich durch technologischen Fortschritt nicht ethische Überzeugungen. Deshalb ist die Vermittlung von moralischen Vorstellungen in die Digitalisierung notwendig, weil so der Wertschöpfung im Unternehmen das Vertrauen geschenkt werden kann. Das ist langfristig als klarer Vorteil zu betrachten. Digitale Ethik spielt sich auf allen Unternehmensebenen ab, somit benötigt es konkrete Maßnahmen, die auch alle Unternehmensebenen einbeziehen
Die Ethik disruptiver Technologien wird gerade im Bereich Künstlicher Intelligenz sehr kontrovers diskutiert. Welche Bedenken sind typisch und wie kann man ihnen begegnen?
Ein klassisches Bedenken bei solchen Technologien ist, dass sie nicht nur die Bereiche ändern, für die sie entwickelt, sondern auch Dinge ändern, die nicht abschätzbar sind. Es geht bei der Ethik disruptiver Technologien vor allem um ein erweitertes Vorsorgeprinzip, um einen Missbrauch der Innovation zu verhindern.
Das ist eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, die wir führen müssen. Blindes Vertrauen in die Macht der Maschinen ist jedoch genauso naiv wie kategorische Enthaltsamkeit inzwischen unmöglich ist. Digitale Technologien sind längst systemrelevant geworden und werden auf Regierungsebene, für kritische Sicherheitsinfrastruktur und in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens eingesetzt. Das Internet und die reale Welt sind keine getrennten Welten mehr. Doch die Algorithmen auf Basis von KI, die über uns entscheiden, sind den Nutzern meist nicht bekannt. Dennoch wirken diese unter Umständen über unser Leben und unseren Alltag. Die menschliche Intuition wird dabei komplett ausgeschlossen. Umso wichtiger ist es, Verständnis und Transparenz über die Funktionen der Technologie zu schaffen. Voraussetzung dafür wiederum ist, dass ethische Regeln bereits bei der Entwicklung berücksichtigt werden.
Was sagen Sie abschließend zur digitalen Ethik und dem Einsatz modernder Technologien wie Künstliche Intelligenz in unseren Alltag?
Es ist notwendig sich fundiert mit den Fragen der digitalen Ethik zu befassen, um unsere Gesellschaft so zu gestalten. Es muss definiert werden, was wir uns in der digitalen Gesellschaft unter moralischen Werten im digitalen Umfeld vorstellen. Demnach ist meiner Meinung nach eine digitale Mündigkeit gefragt. Es gilt zu verstehen, dass es nicht auf alle Fragen eine Antwort gibt. Wir müssen mit den Unsicherheiten, die in einer immer komplexeren Welt zunehmen, zu leben lernen. Denn KI kann und soll uns Menschen nicht alle Entscheidungen abnehmen. Doch die digitale Entwicklung braucht Regeln, und diese Regeln müssen transparent überwacht werden.
Auf internationaler Ebene hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 2019 zentrale Prinzipien für die Gestaltung künstlicher Intelligenz veröffentlicht.
Künstliche Intelligenz soll allen Menschen auf der Welt dienen, indem sie Wohlstand für alle, nachhaltige Entwicklung und gute Lebensbedingungen fördert.
Künstliche Intelligenz-Systeme sollten so gestaltet werden, dass sie Gesetze, Menschenrechte, demokratische Werte und Gleichberechtigung respektieren. Hierfür sollten entsprechende Sicherungen in die Systeme eingebaut werden. Der Eingriff des Menschen im Falle der Regelverletzung durch Maschinen sollte jederzeit möglich sein.
Intelligente Systeme und Künstliche Intelligenz-Lösungen sollen so transparent sein, dass Menschen die aus der Datenverarbeitung generierten Ergebnisse verstehen und in sie eingreifen können.
Sicherheit soll im gesamten Produktzyklus von Künstliche Intelligenz-Systemen gewährleistet sein, mögliche Risiken sollen fortwährend überwacht und gesteuert werden können
Institutionen, Unternehmen und Einzelpersonen, die Künstliche Intelligenz -Lösungen entwickeln und anwenden, sollen für das – diesen Regeln folgende – Funktionieren verantwortlich gemacht werden können.
Zur Person:
Tobias Loitsch ist tätig als Projektmanager, Autor und Publizist. Geboren und aufgewachsen in der Oberlausitz gehört er zur Dritten Generation Ostdeutschlands. Er beschäftigt sich als Leiter des NeuInstituts (NeuInTech) mit den Auswirkungen von Technologie auf die Gesellschaft im Zusammenhang mit emotionaler Intelligenz und digitaler Ethik. Als Impulsgeber leistet er Unterstützung in der Entwicklung von digitalen von Geschäftsmodellen und Prozessen. Tobias Loitsch ist aktiv in der Deutsch-Chinesischen Wirtschaftsvereinigung, der German-Chinese Association of Artificial Intelligence, der German-British Chamber of Industry u. Commerce, sowie bei Junior Chamber International. Zudem ist er Lehrbeauftragter an der Hochschule Macromedia, University of Applied Sciences im Bereich E-Commerce.
Aktuelle Buchveröffentlichung als Autor und Herausgeber: China im Blickpunkt des 21. Jahrhunderts: Impulsgeber für Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Springer Gabler, Heidelberg, Berlin 2019. Fachbeiträge in: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Springer Gabler, Heidelberg, Berlin 2018 sowie CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. Springer Gabler, Heidelberg, Berlin 2018. Weiterführende Informationen: www.loitsch.de und www.neuinstitut.de.