Karl Valentin hungert nach der Liebe seines Publikums (© Zeichnung von Alfons Schweiggert, München) - Alfons Schweiggert

Humor mit Bauchansatz: Einblicke in Karl Valentins Feinkostgewölbe

Humor hilft, das Leben leichter zu nehmen und Schreckliches erträglich zu machen. Und so ist es kein Zufall, dass während der Coronapandemie der Komiker Karl Valentin neu entdeckt wurde. Twitter hat mit seinen Zitaten in besonderer Weise dazu beigetragen, die Herausforderungen des Alltags mit einem Augenzwinkern zu ertragen, auch wenn vielen Menschen nicht zum Lachen zumute war (und ist). Zu den beliebtesten gehören beispielsweise: „Die Zukunft war früher auch besser!“ Und: „Ich freue mich heute noch, dass es mir gelungen ist, den heutigen Tag noch zu erleben.“

Der Münchner Autor Alfons Schweiggert hat in seinem Buch „KARL VALENTIN. Von der Kunst, so nicht kochen zu können, dass man es nicht essen kann“ Biografisches aus dem Leben eines „Hungerkünstlers“ zusammengetragen. Denn in vielen der Monologe, Couplets, Szenen und Stücke des selbst ernannten „Skelettgigerls“ spielt Essen und Trinken eine wichtige Rolle, ebenso bei seinen Bühnenauftritten und Filmen. „Ohne Essen und Trinken tät mir nix einfalln und außerdem wär ich nach kurzer Zeit verhungert und verdurstet.“

Die ersten Jahre seiner Komiker-Laufbahn waren überschattet von Hunger und Not. Wie nur wenigen ist Schweiggert in seinem Buch Seltenes gelungen: Er hat Fleisch um die Knochen der Biografie gesetzt, denn den meisten ist der Sprachkünstler und Komiker Karl Valentin (1882-1948) als jemand bekannt, der seine Texte mager hält und jede einzelne Pointe präzise herausarbeitet. Dass es dafür aber Genuss und Fülle braucht, kommt vielen nicht in den Sinn. Schweiggert hat dem Leben und Werk des Tragikkomikers von Weltrang in seinem Buch Gewicht gegeben. Valentin schmeckte ein Schweinsbraten mit Knödeln, aber auch Kuttel, Leber und Niere, Leberkäs, schwarzer Pressack, Weißwürste, dunkles Mischbrot, Nudeln oder ein Pichlsteinergericht. Aufs Butterbrot spritzte er mit Vorliebe Maggi.

Auch aß er mit Vorliebe mageres Fleisch, was vielleicht seine Vorliebe für auf den Punkt gebrachte Texte erklärt: Alles überflüssige, das Fette, wird weggeschnitten. Valentin inszenierte sich zwar oft „mager wie ein Suppenbein“, aber er hatte auch einen kleinen Bauchansatz („Feinkostgewölbe“) und war mit der Köchin seiner Eltern, Gisela Royes, verheiratet - und blieb es auch, als Liesl Karlstadt (eigentlich Elisabeth Wellano) seine Bühnenpartnerin und Geliebte war. 1913 trat er mit ihr zum ersten Mal gemeinsam auf. Einmal, als er nach einem Streit mit seiner Frau nach Hause kam, lag ein Zettel auf dem Küchentisch mit dem Hinweis „Dein Essen steht im Kochbuch!“. Angeblich soll er sich auch gewundert haben, dass ein „Rezept für Menschenauflauf“ in keinem Kochbuch zu finden war. Das hätte ihn besonders interessiert.

So schätzte er alles, was in seinem Planegger Garten von seiner Frau angebaut wurde: Rote Rüben, Kohl, Gelbe Rüben, Salat oder Kartoffeln. Alfons Schweiggert weist in seiner anekdoten- und portionsreichen Biografie nach, dass Valentin bereits vor dem zweiten Weltkrieg besonderen Wert auf regionale Lebensmittel legte: „Das Fleisch besorgte seine Frau bei den Bauern der Nachbarschaft. Am liebsten hätte Valentin auch viele Hühner, ein paar Kaninchen und ein Schwein gehalten. Er hielt sich gern im Garten auf und überwachte den Bauern, der bei ihm den Garten umpflügte.“

Als er noch in der Münchner Mariannenstraße wohnte, hat er im Frühling, so berichtet Liesl Karlstadt, „mit seinem feststehenden Messer in den Isaranlagen die ersten Büschl Löwenzahn oder Arnika samt Wurzeln aus der Erde herausg’schnitten und hat’s dann daheim ins Blumenkistl eing’setzt. Und wenn er dann seh’n hat können, wie die Knospen aufgangen sind und immer wieder ein neues gelbes Blümerl zum Vorschein kommen ist, dann hat er zufrieden vor sich hing’murmelt: ‚Ich könnt mir ja schönere Blumen kaufen, aber dö g’freun mi vui besser.‘“ Auch ein eigenes Blumenbeet legte der Komiker in seinem Planegger Garten an - allerdings nur für Löwenzahn (obwohl dieser überall wucherte), denn:

Schweiggert zitiert auch aus einem Brief Valentins vom 11. Mai 1938 an den Kulturamtsdirektor Max Reinhard, in dem er sich über die „skandalösen Zustände von der Verwahrlosung eines der schönsten Parks inmitten unserer Stadt“ beklagte. Er schrieb Vorschläge für Verbesserungsmaßnahmen und sparte auch nicht mit Kritik. Er wohnte damals am Mariannenplatz in unmittelbarer Nähe der Isar. Mit Schaufel und Rechen zog er schließlich zum Fluß und verbrachte viele Tagesstunden mit „Planierungsarbeiten“ am Flußhang. Aber auch in Planegg engagierte er sich für eine saubere Umwelt. Künstlerisch inspiriert wurde Valentin nicht nur von der Natur, sondern auch vom Verhalten der Standlfrauen und Besuchern des Münchner Viktualienmarkts.

Doch seine besten kreativen Einfälle hatte er vor allem in zwei Räumen: in seiner Küche und seiner Werkstatt („Laboratorium“), die er neben dem Haus eingerichtet hatte. Sie enthielt eine Dreh- und Hobelbank mit Schraubstock. Als gelernter Schreiner fertigte er auch Nudelhölzer, Kochlöffel, Fleischbretter, die er gegen Zigaretten und Nahrungsmittel eintauschte. Auch die meisten seiner Bühnenrequisiten machte er selbst. Denn wer keine Kenntnis vom Machen der Dinge hat, über die er spricht, ist auch nicht urteilsfähig. Handwerkliche Arbeit hingen für ihn mit engagiertem Tun eng zusammen. In der Küche konzipierte er am Küchentisch sitzend zahlreiche Ideen zu seinen Szenen und Stücken. „Er erinnerte dabei an einen Koch, der auch in der Küche seine Kreationen austüftelt“, so Schweiggert. Sein „Kochlöffel“ war ein ganz kurzer „Bleistift“, denn, so Valentin, „mit einem langen da fällt mir nix ei“ - Ideen wurden auf kleinen Zetteln notiert, die in der Küche verteilt wurden.

Auch Besuche empfing er hier häufig, auch wenn er hier nur wenig selbst gekocht hat. Gegen Ende seines Lebens kochte er allerdings vor Wut über die Behandlung, die ihm von Seiten der Stadt München und der bayerischen Bevölkerung widerfuhr: Keine Wohnung in München, aus dem Rundfunk wegen Humorlosigkeit entfernt, keine Möglichkeit, in der Stadt eine Singspielhalle einzurichten, Filme aufzuführen und Bücher zu publizieren. Unterernährt starb er im Februar 1948 an einer Lungenentzündung. Alfons Schweiggert bemerkt allerdings, dass er an Mangel an Zuneigung und Resonanz seines Publikums verhungert ist, denn diese Liebe brauchte er „wie das tägliche Brot, denn diese Liebe ging direkt ins Herz und hielt ihn fast 66 Jahre am Leben“.

Weiterführende Informationen

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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