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Humorvoll-unterhaltsam in den Tag starten. Guten-Morgen-Geschichte statt zu meckern

Was wäre, wenn wir häufiger mit einer Geschichte den Tag beginnen? Vorlesen und erzählen hilft Kindern beim Verstehen und beim Aufbau ihres Wortschatzes. Mit Guten-Morgen-Geschichten können wir Kinder verzaubern.

Als unsere Kinder noch klein waren, habe ich sie jeden Morgen zur Kita und zur Schule gebracht. Morgens war es immer stressig. Ein Kind war fröhlich, ein Kind bummelte beim Anziehen oder beim Zähneputzen, und ein Kind war schlecht gelaunt. So waren wir regelmäßig zu spät dran.

Sachliche Erklärung

Wenn ich die Kinder anmeckerte, tat es mir natürlich leid, und oft entschuldigte ich mich noch auf dem Schulweg bei ihnen. Jeden Morgen liefen wir zu viert zur Schule und zur Kita. Manchmal versuchte ich, meinen Stress zu erklären. Ich sagte ihnen, dass ich dringend eine bestimmte Bahn erreichen musste, um als Freelancer rechtzeitig bei meinem Auftraggeber zu sein. So wichtig diese Tatsache für mich war, die sachliche Erklärung war natürlich langweilig für die Kinder.

Humorvoll in den Tag starten

Eines Morgens erzählte ich eine Geschichte über den Stress und integrierte drei Kinder ins Geschehen. Das kam so gut an, dass ich nun jeden Morgen auf dem Schulweg eine Geschichte erzählte mit drei fiktiven Kindern, die ich Bimmelmi, Bammelra und Sammelda nannte. Jeden Morgen erlebten meine Kinder ein fiktives Abenteuer.

Abenteuer Schulweg

Sogar einen eigenen Eisladen besaßen Bimmelmi, Bammelra und Sammelda. Sie erlebten alle Abenteuer zu dritt. In den Hauptrollen steckten unsere Kinder, und doch war alles Fiktion. So erlebten sie echte Abenteuer. Die Geschichten dachte ich mir spontan beim Laufen aus.

Durch das Erzählen wurde der Schulweg selbst zum Abenteuer und machte uns großen Spaß. Es verhinderte nicht immer den morgendlichen Streit, dennoch wurde der gemeinsame Weg zum Highlight. Über 300 Geschichten habe ich erzählt. Die besten Geschichten hat unsere Klavierlehrerin später vertont. Meine Storys wurden zum Ritual, das uns die Stimmung am Morgen gerettet hat.

Erzählen und vorlesen als Ritual

Guten-Morgen-Geschichten wirken wie Gute Nacht Geschichten. Vielen Kindern wird abends vorgelesen. „Kindern öffnet das Vorlesen ein Tor zu neuen Welten: Es bringt sie zum Lachen und rührt vielleicht manchmal auch zu Tränen, es lässt Bilder vor dem inneren Auge entstehen und beflügelt die Fantasie.“ Bücher wie „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ haben wir zu viert an einem Tag im Urlaub verschlungen. Das Buch „Mio, mein Mio“ habe ich auf Wunsch unserer Kinder sogar zwei Mal vorgelesen. „Fachleute sind sich einig: Wenn Eltern ihren Kindern schon von klein auf vorlesen, tut das den Kleinen auf verschiedenen Ebenen gut.“

Größerer Wortschatz und Neuroplastizität

Die „Stiftung Lesen“ führt seit 2007 Vorlesestudien durch. Die Studien stellen fest: „Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, haben besonders gute Startchancen. Sie haben früh einen größeren Wortschatz, lernen leichter lesen, sind einfühlsamer und haben in vielen Fächern bessere Schulnoten.“ Die vollständige Vorlesestudie 2020.

Beim Vorlesen, Erzählen und Zuhören entstehen Bilder zu den Geschichten. Diese regen das Gehirn an. „Was im Gehirn geschieht, wenn man sich etwas vorstellt, ist mittlerweile recht gut erforscht. Solches Verstehen findet nicht an irgendeiner Stelle im Gehirn statt, sondern nahezu überall.“, schreibt Manfred Spitzer über Geschichten und Gehirnentwicklung. „Verbindungen zwischen Nervenzellen werden ganz allgemein dadurch geknüpft und vor allem gestärkt, dass sie benutzt werden. Man sprich von Neuroplastizität, und diese Formung der Verbindungen im Gehirn geschieht vor allem in der Kindheit“, führt Manfred Spitzer weiter aus.

Mürrisch oder experimentell

Meine Geschichten auf dem Schulweg hatte eine zweite wichtige Wirkung. Täglich passieren Dinge, die uns stören und herausfordern. Ist der erste Ärger verflogen, können wir wählen. Wir können mürrisch im Ärger verharren oder wir wählen, neugierig eine Alternative zu suchen, diese zu testen und mit Lösungen zu experimentieren. Mich hatten mein eigenes Meckern und der Streit morgens so gestört, dass ich mit den Geschichten eine Alternative fand. So begann der Tag spannend, humorvoll und unterhaltsam. Ich löste das Problem unserer Stress-Routine.

Resilienz

Wenn wir selbstwirksam werden und Probleme lösen, stärken wir unsere Resilienz. Zum Leben gehören Herausforderungen und Probleme. Da kommt kein Mensch drum herum. Entscheidend ist, wie wir damit umgehen. Resilienz wird auch das „Immunsystem der Seele“ genannt.

„Das lateinische Wort ‚resilire‘ bedeutet übersetzt ‚zurückspringen‘ oder ‚abprallen‘. Resiliente Menschen weisen eine optimistische Lebenseinstellung auf, denn sie leben in dem Bewusstsein, dass Krisen keine unüberwindbaren Hürden darstellen. Sie nehmen nicht die Opferrolle ein, sondern fokussieren sich auf mögliche Lösungsansätze.“, so Sabine und Dr. Ralf J. Jochheim, Gesellschaft für Resilienz.

Problemlösung suchen und finden

Weil ich eine Problemlösung suchte, konnte ich mit meinem Erzählen eine gute Lösung finden. Mit der Lösung erlebte ich ein Erfolgserlebnis, das mich glücklich machte. Wiederholt sich die Erfahrung, kein Opfer zu sein, sondern gestalten zu können, kann mich das resilienter machen gegenüber Herausforderungen und Problemen.

Allerdings ist das kein Selbstläufer. Es gibt zu viele Faktoren, die die Fähigkeit zur Resilienz beeinflussen, und die Forschung steht noch am Anfang. „Auch wenn resilienzaffine Phänomene im Prinzip seit Menschengedenken bekannt sind, weiß man letztlich immer noch vergleichsweise wenig darüber, wie im Fall von Bedrohung und Belastung das [...] Zusammenspiel psychischer, sozialer sowie biologischer und genetischer Einflussfaktoren in Entwicklungspfade mündet, die aus der Perspektive des gesamten Lebensverlaufs als ein Ausdruck der Erlangung von Resilienz bewertet werden können.“, so die Autor:innen von „Multidisziplinäre Perspektiven der Resilienzforschung“.

Auch zur Resilienz bei Kindern unter drei Jahren wird gezielt geforscht. Es wird untersucht, ob „Resilienz generell gefördert werden und wie die Resilienzentwicklung von Kleinkindern entwicklungsorientiert gefördert werden kann.“

Schulwege retten

Lasst uns den Morgen humorvoll und unterhaltsam starten mit Guten-Morgen-Geschichten und viele Schulwege retten. Verzaubern wir unsere Kinder!

Martin Gaedt schreibt über Provotainment, Leben und Arbeit, cleveres Recruiting, Wirtschaft & Management

Martin Gaedt ist Autor von "4 TAGE WOCHE", "Rock Your Work", "Rock Your Idea" und "Mythos Fachkräftemangel". Er ist Provotainer und hat seit 2014 in 650 Keynotes mehr als 100.000 Gäste begeistert, provoziert und entertaint. Seit 1999 gründet er Unternehmen und stellt 44 Fragen, der Anfang des Neuen.

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