Marlene Dietrich - Pixabay

Im Schatten der Weltgeschichte: Zwischen Hollywood und Bergen-Belsen

„Wo viel Licht ist, ist starker Schatten.“ (Goethe)

Während die aus Berlin stammende Sängerin und Schauspielerin Marlene Dietrich (1901-1992) nach ihrem Filmerfolg „Der Blaue Engel“ Anfang der 1930er-Jahre in die USA ging, in Hollywood Erfolge feierte und als Truppenbegleiterin im Zweiten Weltkrieg amerikanische Soldaten unterhielt, betrieb ihre Schwester Elisabeth mit ihrem Ehemann Georg Hugo Will in Bergen-Belsen bei Celle, das nur rund 25 Kilometer entfernt liegt, ein Kino für Wehrmachtsoldaten und SS-Offiziere. 1937 folgte Elisabeth ihrem Mann aus Berlin hierher - er hatte in der Lüneburger Heide die Leitung des Truppenkinos übernommen. Im Mai 1945 besuchte Marlene das befreite Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo sie ihre Schwester vermutete. Sie war entsetzt, als ihr bewusst wurde, welche Rolle ihre Schwester hier gespielt hatte, denn sie ging davon aus, dass „Liesel“ als Häftling im KZ gewesen sei.

Nach 1945 verlor Marlene in der Öffentlichkeit nie wieder ein Wort über ihre Schwester und ließ sie aus ihrer Biographie verschwinden, denn sie schämte sich für diesen Teil ihrer Familiengeschichte. Dennoch unterstützte sie Elisabeth und hielt bis 1973 heimlich intensiven Kontakt zu ihr: „Die beiden haben ganz viele Briefe miteinander gewechselt, haben telefoniert.“ Marlene lud die Schwester am Rande von Gastspielen in europäischen Städten ein, sie zu besuchen, bezahlte ihr die Reisen und Hotels. „Aber es durfte nichts nach außen dringen.“

Der niedersächsische Journalist und Schriftsteller Heinrich Thies zitiert in seiner Doppelbiographie „Fesche Lola, brave Liesel“ aus noch nie veröffentlichten Briefen und fängt die ungewöhnliche Verbindung der Schwestern in seiner Romanbiografie ein. Für sein Buch hat er vor allem den bislang weitgehend unbeachteten Briefwechsel zwischen Marlene Dietrich und ihrer Schwester ausgewertet. Er beschreibt Elisabeth als brav, fleißig und schüchtern. Marlene sei dagegen keck, „auftrumpfend, musisch begabt, in der Schule nicht gerade sehr engagiert“ gewesen. „Liesel ist ein entsetzlicher Tugendmoppel“, notiert die junge Marlene in ihrem Tagebuch.

Heinrich Thies stammt selbst aus der Nähe des Ortes Bergen-Belsen und war lange Zeit Redakteur der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“. Er vermutet, dass Liesel viel von der Situation in Bergen-Belsen mitbekommen haben muss: „Es ist ihr nicht verborgen geblieben, dass da Tausende von ausgezehrten Häftlingen von der Verladerampe, die unmittelbar in der Nähe ihres Wohnorts lag, zum zwei Kilometer entfernten Konzentrationslager getrieben wurden.“

Der Auschwitz-Überlebende Jehuda Bacon sagte einmal, dass er wusste, dass man ihn zu Asche machen würde. Er wusste aber auch, dass es etwas in ihm gibt, „das nicht sterben kann.“ Dieser Satz findet sich zwar nicht im Buch von Thies, aber er verweist auf den inneren Wert der Würde, der geschützt ist von den äußeren Zumutungen des Lebens. Es ist vielleicht kein Zufall, dass er das Thema im Kontext von Liesel anspricht, die sich nach ihrer Heirat nach ihrer Arbeit als Lehrerin sehnte, denn die Schule hatte ihrem Leben Sinn und Halt gegeben – „und vielleicht auch so etwas wie Würde“.

Licht und Schatten sind in diesem Buch wie die Schwestern untrennbar miteinander verbunden. Das gilt auch für die Karriere der Diva, die vielen Generationen auch durch das Antikriegslied „Sag mir, wo die Blumen sind" („Where Have All The Flowers Gone") in Erinnerung geblieben ist. Geschrieben wurde der Song 1955 vom US-amerikanischen Songwriter Pete Seeger. „Ich bin doch eine Kriegerin und nicht so eine Blümchen-Pazifistin“, sagte sie zu ihrer Tochter Maria, die sie drängte, den Song in ihr Bühnenprogramm aufzunehmen. Auch Burt Bacharach, ihr Arrangeur und Orchesterleiter, redete auf sie ein. Dann übertrug ihr Freund Max Colpet den Text in eine deutsche Fassung. Zum ersten Mal sang sie das Lied im Mai 1962 in Paris auf Französisch. Es wurde in allen Sprachen, in denen sie es sang, zum Erfolg.

Die Shows der Dietrich lief ab wie ein Uhrwerk – alles war einstudiert und sie wirkte, je älter sie wurde, wie eine aufgezogene Puppe.

Das australische Boulevardblatt „Daily Telegraph“ schrieb dazu: „Die Maske der Dietrich ist ein Meisterstück müde gewordener Perfektion.“ Die Beschreibungen in der Doppelbiographie erinnern an das Märchen „Die Lumpen“ von Hans Christian Andersen, in dem die eigene Vergangenheit und Gegenwart zu einem schönen Schein verklärt wird. Der Mensch fingiert sich als etwas anderes als er ist und schafft seinen eigenen Mythos. Die Inszenierung, in der alle Mitspieler nur ihre bemalte Seite vorzeigen, wird bereits in seinem Märchen „Geldschwein“ zur Sprache gebracht: Das Stück taugt zwar nicht, aber alle Beteiligten, die weder schauen noch fühlen, spielen "vorzüglich". Ihr Narzissmus lässt die Welt ins Ich schrumpfen, doch der Draht in ihnen ist zu lang. Sie sind eine Karikatur ihrer selbst, die an einer Kraft, die nicht aus ihnen hervorgeht, sondern ihnen nur angeklebt ist, elend enden. Ihre Spiegelwelt ist des Todes, der alsbald dieses lächerliche Gaukelspiel überbietet.

Der Vorhang der Geschichte aber fällt nie: Knapp ein Jahr nach der Veröffentlichung von „Fesche Lola, brave Liesel“ hat Heinrich Thies eigens für die Aufführung in Schlosstheater Celle eine Bühnenfassung seines Buches erarbeitet. Am 7. September 2018 wurde mit dem Stück die neue Spielzeit des Schlosstheaters Celle eröffnet.

Weiterführende Informationen:

Heinrich Thies: Fesche Lola, brave Liesel. Marlene Dietrich und ihre verleugnete Schwester. Hoffmann und Campe, Hamburg 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

Artikelsammlung ansehen