Im Spiegel: Veränderung als Konstante des Lebens
„Wer nach außen sieht, träumt. Wer nach innen schaut, erwacht.“ (C. G. Jung)
Intuition ist unbewusstes Denken, das sich häufig durch einen plötzlichen Impuls aus dem eigenen Innern ausdrückt. Es wird auch mit Begriffen wie Bauchgefühl, innere Stimme oder sechster Sinn in Verbindung gebracht. Doch wie ist es möglich, sich direkt mit seiner Intuition zu verbinden, sich in der Welt besser zurecht zu finden, sie zu deuten und das eigene Leben zu gestalten? Die Antworten kommen von uns selbst, aus unserem Unbewussten. Das erfordert eine besondere Art der inneren Meisterschaft, die sich der eigenen Begrenztheit bewusst ist und andererseits mit dem Offenen umzugehen weiß.
Wie viele andere Menschen auch mag ich das Wort „Esoterik“ nicht. Mehr anfangen können die meisten vielleicht etwas mit einem metaphysischen Überbau, mit etwas, das uns durchwirkt, das wir (noch) nicht begreifen können. Was allerdings nicht heißt, dass es nicht existiert. Vor diesem Hintergrund ist auch die Beschäftigung mit der Tarot-Forschung zu sehen, denn sie bedeutet, sich selbst zu erforschen und daran erinnert zu werden, dass es eine universelle Sehnsucht nach der Verbindung mit dem großen Ganzen gibt. Auch das gehört in den Nachhaltigkeitskontext. Das Kleine spiegelt sich im Großen und umgekehrt.
Alles ist miteinander verbunden. Die Beschäftigung mit diesem Thema in herausfordernden Zeiten wie diesen nimmt deshalb zu, weil es darum geht, Stabilität zu wahren, auch wenn wir wissen, dass das meiste außerhalb unserer Kontrolle liegt. Es geht darum, mit Anpassungsfähigkeit und Flexibilität wieder zurück zur eigenen Mitte zu finden, Veränderung als Konstante zu akzeptieren und sich ohne Angst auf das Rad des Lebens zu schwingen. Der Weg zeigt, dass alles stirbt und wieder erblüht. Mit dem Ende kommt ein Anfang, Altes wird für Neues aufgegeben, eine Tür wird geschlossen und eine andere geöffnet.
„Im Universum gibt es bekannte und unbekannte Dinge [Welten], und dazwischen gibt es Türen [Welten].“ (William Blake)
Tarot ist wie ein sprechender Spiegel, der uns mehr von uns selbst sehen und verstehen lässt. Jeder Mensch ist ein Original: einzig (nicht artig) und auf eine bestimmte Art begabt und schöpferisch. Die Karten, die das Wesen eines Menschen, seine Veranlagungen und emotionalen Quellen, sagen die Zukunft nicht voraus, sondern zeigen die Gegenwart und den Charakter eines Menschen, der durch das, was er tut, auch Einfluss darauf hat, wie seine Zukunft sein wird. Was am Ende wirklich zählt, sind die konkreten Taten und stimmige Entscheidungen.
Christian Dior ließ sich regelmäßig von einer Wahrsagerin Karten legen: „Der Zufall hilft stets denen, die etwas ganz stark wollen“, schrieb er in seinen Memoiren. Dior-Designerin Maria Grazia Chiuri ließ in ihrer zweiten Haute-Couture-Kollektion sogar Tarot-Motive in ihre Entwürfe einfließen. Die sinnhaften Bilder helfen uns, die Türen zu uns selbst zu finden. Die über 600 Jahre alte Tarot-Tradition spiegelt zugleich das Urbedürfnis nach künstlerischem Ausdruck, um die Erzählung der Menschheit bildlich zu fassen. Viele Kreative, häufig im Zusammenwirken, reichten die Lehre über die Jahrhunderte weiter. Obskure Schriften und mündliche Überlieferung sowie Erkenntnisse von Philosophen und Gelehrten verwandelten das einstige Gesellschaftsspiel in ein profundes Medium der Wahrsagung und Selbsterforschung. Jede folgende Generation fügte ihre jeweils eigene Sichtweise und Interpretationen hinzu.
Tarot ist deshalb auch immer im Spiegel seiner Zeit und des Herkunftslandes zu sehen.
Die Herausgeberin und Autorin Jessica Hundley folgt der Tarot-Geschichte, dem ersten Band aus TASCHENs Library of Esoterica-Reihe. Untersucht wird die symbolische Bedeutung hinter mehr als 500 Karten und Originalwerken – zwei Drittel davon wurden noch nie außerhalb der Decks veröffentlicht. Das erste visuelle Kompendium dieser Art reicht vom Mittelalter bis zur Moderne in der Reihenfolge der 78 Karten der Großen und Kleinen Arkana. Es umfasst die Decks von fast 100 zeitgenössischen Künstlern aus aller Welt. Legendär sind die Decks von Salvador Dalí oder Niki de Saint Phalle, künstlerisch-reduziert von Mieke Marple und surreal von Devany Amber Wolfe. Von Privatsammlungen, Bibliotheken und Museen aus aller Welt zur Verfügung gestellt, stehen für jedes Thema - von Tarot über Meditation, Astrologie bis Hexerei - ausgesuchte Werke der Moderne neben Archivbildern. Das Buch enthält Textauszüge von Éliphas Lévi, Carl Gustav Jung und Joseph Campbell, ein Vorwort der Künstlerin Penny Slinger, einen Leitfaden zur Lektüre der Karten von Johannes Fiebig sowie einen Essay über Orakel-Decks von Marcella Kroll.
Weiterführende Informationen:
Jeder ist ein Original: Wie uns Salvador Dalí heute den Spiegel vorhält
William Blake. Die Zeichnungen zu Dantes Göttlicher Komödie. TASCHEN Verlag. Köln 2017.
Dalí: Tarot. TASCHEN Verlag, Köln 2019.
Jessica Hundley, Thunderwing, Johannes Fiebig, Marcella Kroll: Tarot. Bibliothek der Esoterik. TASCHEN Verlag 2020.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.