In 80 Jahren eine neue Welt
Interview mit Maike Braun
Frau Braun, gerade haben Sie Ihre Erzählung „In 80 Jahren eine neue Welt. Zukunftsbericht einer klimafreundlichen Beispielfamilie“ veröffentlicht. Was war der Auslöser dafür?
Es hat mich schon geraume Zeit gestört, dass ich zu vielen Aspekten des Klimawandels nicht genug weiß, um mir eine fundierte Meinung zu bilden und oft nicht einmal die wesentlichen Kennziffern parat habe. Zum Beispiel hätte ich vor einem halben Jahr nicht sagen können, wer mehr CO2 produziert: Der Verkehr oder die privaten Haushalte und von wie viel CO2 wir überhaupt sprechen.
Als mich dann Ende letzten Jahres mein Bruder ansprach, ob ich nicht Interesse hätte, die grundlegenden Fakten zum Thema Klimawandel zusammenzutragen, war ich sofort dabei. Wir trafen uns mehrere Male, dann kam Corona und andere Dinge rückten in den Vordergrund. Ich sammelte in der Zwischenzeit fleißig weiter, was ich zum Thema Klima las. Irgendwann hatte ich dann den Kopf so vollgestopft, dass ich erst recht keine Übersicht hatte. Da sah ich die Ausschreibung der österreichischen Literaturzeitschrift mischen zum Thema Klima.
Was hat Sie besonders angesprochen?
Es war die Tatsache, dass die beiden Herausgeberingen Julia Knass und Katharina Peham keine Dystopien suchten, sondern, wie sie es in ihrem Call formulierten, „erzählerisch Möglichkeiten ausgelotet werden“, sollten.
Das fand ich aus zwei Gründen spannend. Zum einen wäre das eine Gelegenheit, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Zum anderen ist es – zumindest aus meiner Sicht – deutlich schwieriger, ein positives Bild zu entwickeln. Es ist schwieriger zu erzählen, wie es gehen könnte, wie die CO2-Emissionen auf Null gefahren werden könnten, als das, was jetzt schon passiert und sichtbar ist, „einfach“ nur schlimmer werden zu lassen. Deshalb hat mich die Ausschreibung sehr gereizt.
Die Ausschreibung fand zusammen mit dem mikrotext Verlag in Berlin statt, dem ich schon lange folge, und dessen Verlegerin, Nikola Richter, den Schwerpunkt auf Texte legt, die „Zeitgenossenschaft dokumentieren und Perspektiven in die Zukunft schreiben“ (Zitat Webseite). Das bringt dann so interessante Titel hervor wie Kochen für die Zukunft, Rezepte für ein gutes Klima“ oder auch „Micro Science Fiction“ von O. Westin.
Dann stellte sich nur noch die Frage nach dem „Wie“…
Der Klimawandel ist ein globales Thema. Deshalb hielt ich es für wichtig, mich in meinem Zukunftsentwurf nicht auf Deutschland zu beschränken. Dazu benötigte ich ein Vehikel, um das Thema global aufzuziehen.
Ihre Beispielfamilie besteht aus fünf Personen, als diese Geschichte zu Beginn des 21. Jahrhunderts beginnt. Zusammen sind sie 185 Jahre alt und wohnen in 1.000 Kubikmeter umbautem Raum, Energieeffizienz FFF (Baujahr 1970) Warum gerade diese Familie?
Die Beispielfamilie ist das erzählerische Vehikel, anhand dessen ich die Geschichte in verschiedenen Regionen der Welt spielen lassen kann. Ich habe die Kinder und Kindeskinder über die drei Weltregionen verstreut, die derzeit den größten Einfluss auf das Klima haben, also USA, Europa und Südostasien bzw. China. Der wachsenden Zahl an Familienmitglieder konnte ich dann jeweils andere Klimaaspekte beachten lassen und andere Klimamaßnahmen andichten.
Generell schreibe ich gern um einen wissenschaftlichen Kern herum und versuche, einen neuen Blickwinkel einzunehmen. Deswegen sind viele meiner Texte Nahzukunftsgeschichten, häufig auch dem Phantastischen bzw. der Science-Fiction zuzuordnen.
Inwiefern steht diese Erzählung im Kontext mit Ihren anderen Veröffentlichungen?
Darüber habe ich bislang noch nicht nachgedacht, aber tatsächlich gibt es da so etwas wie einen roten Faden. Das begann mit einer Ausschreibung von modernphantastik und Fischer Tor zum Thema Climate Fiction, für die ich eine Geschichte über Norilsk geschrieben habe - mit Sicherheit eine der unwirtlichsten Städte des Planeten. In riesigen trichterförmigen Gruben wird dort Nickel abgebaut wird. Zudem droht aufgrund der Erderwärmung der Permafrost zu schmelzen, was wiederum dazu führen kann, dass plötzlich Anthrax freigesetzt wird. Gerade jetzt ist Norilsk wieder in den Nachrichten, weil riesige Mengen Kerosin in die Umwelt gelangt sind.
Danach gab es eine Ausschreibung der Literaturzeitschrift metamorphosen zum Thema Utopie. Hierfür habe ich über eine Pandeumie, eine „gute“ Seuche geschrieben, die die Menschen tatsächlich rettet. Eine künstliche Intelligenz bringt die Menschen dazu, das „Richtige“ zu tun, in dem sie den Zahlungsverkehr übernimmt und entsprechende finanzielle Anreize setzt. Und jetzt der Entwurf für 2101 für mischen und den mikrotext Verlag. Je mehr ich zum Thema Klimawandel recherchiere, desto mehr Ideen für weitere Geschichten habe ich.
Für wen schreiben Sie, und welche Motivation steckt dahinter?
Meine Zielsetzung ist durchaus zu unterhalten, aber auch den Blick zu öffnen. So ist ja auch in meiner Erzählung nicht alles positiv (wer zu viel Strom verbraucht, wird öffentlich an den Pranger gestellt). Hilfe kommt von unerwarteter Seite (z.B. eine Handvoll Billionäre kaufen sämtliche Ölfelder auf, um das Land vor dem Zugriff der Mineralölindustrie zu schützen). Ich schreibe nicht für diejenigen, die sich ganz dem Kampf für das Klima gewidmet haben. Ich glaube nicht, dass ich diesen Menschen etwas bieten kann, das sie noch nicht wissen oder sie inhaltlich weiterbringt. Ich schreibe eher für diejenigen, die sagen, ist schon ein Thema, aber so genau weiß ich eigentlich auch nicht, was Sache ist. Wenn ich diese Menschen dazu bringen kann, mehr oder bewusster über den Klimawandel nachzudenken, bin ich zufrieden.
Alle stehen vor der Wahl: Sich der Angst hingeben. Oder alles mit einem Schulterzucken abtun, einfach weitermachen, wie sonst auch, darauf warten, dass alles „wie früher“ weitergeht. Oder, das wäre auch möglich, gemeinsame Sache zu machen. Weltweit.
Vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person:
Maike Braun wurde 1962 in Reutlingen geboren. Sie studierte Biologie in Heidelberg, den USA und England. Nach zwei Jahren Hirnforschung arbeitete sie acht Jahre bei einer internationalen Unternehmensberatung. Seit 2002 ist sie selbständige Unternehmensberaterin. Ebenso arbeitet sie als ausgebildete Mediatorin. Sie wohnt in Hamburg. Sie veröffentlichte bisher einen Wirtschaftskrimi und einen historischen Wissenschaftsroman, sowie in Literaturzeitschriften und Anthologien. Mehr auf mbautorin.de. Kurze Geschichten zum Bild auf Instantstories.
Literatur:
Maike Braun: In 80 Jahren eine neue Welt. Erzählung. Zukunftsbericht einer klimafreundlichen Beispielfamilie. mikrotext, Berlin 2020.