In schweren Wassern: Unterwegs auf dem Schiff unseres Lebens
Hochseesegler können die Weltmeere nicht „beherrschen“, denn Ozeane sind nicht kontrollier- und veränderbar. Sie müssen mit unvorhersehbaren Wetterereignissen, Meeresströmungen und Winden klarkommen. Auch wir müssen in Zeiten der Unsicherheit ständig Entscheidungen treffen, um auf dem Meer des Lebens richtig zu navigieren. Der schwedische Autor Henning Mankell, der 2015 seiner Krebserkrankung erlag, beschreibt in seinem letzten Buch „Treibsand" die eigenen provisorischen Wahrheiten als Schiffe, die auf dem Meer schaukeln: „Man muss sie in die richtige Richtung steuern. Sie an Untiefen und Unterwasser-Riffen vorbeinavigieren. Das Tempo oder die Anzahl der gehissten Segel variieren."
Sie benötigen, wie Fredmund Malik schon vor vielen Jahren schrieb, eine höhere Form des Navigierens (die Fähigkeit, sich im Unbekannten zurechtzufinden) – dann, wenn die Standorte ungewiss, die Ziele beweglich und die Wege vielfältig sind. Führungskräften sollte bewusst sein, dass sie die Seekarte oder ihre Global Positioning System (GPS) nicht verwechseln dürfen mit ihrer Aufgabe, das Schiff am Wind zu halten, um sicher den angepeilten Hafen zu erreichen. Auch sollte ihre Dominanz nicht in Arroganz und Narzissmus umschlagen. Narzissten brauchen ständig Handlungsfelder, in denen sie sich beweisen und hervortun können. Der Preis dafür ist auch in der inneren Währung ablesbar: Entseelung und Herzenserkaltung, die alle Menschen ausmacht, „die im tragischen Sinne groß sind“ und durch eine gewisse „krankhafte Unzulänglichkeit ihres Wesens“ groß werden, wie es auch Hermann Melville in seinem Roman „Moby Dick“ beschreibt. Verantwortungsvolle Kapitäne schwören ihr Team für die gemeinsame Route ein, können aus tiefstem Herzen begeistern und haben ein Gefühl für das Einhalten innerer und äußerer Grenzen, deren Überschreitung das Unternehmensschiff ins Wanken bringen würde.
Die Verbindung von beiden Bereichen hat auch Gunter Dueck in seinem Buch „schwarmdumm" hergestellt, wo er ein Unternehmen mit einem Segelschiff auf dem Meer vergleicht: Seit den 1990er Jahren wurde systematisch überlegt, wie sich Kennzahlen im Laufe der Zeit erheben und verfolgen lassen sollten, um „das große Schiff effektiv kontrollieren und lenken zu können". Maßgeblichen Einfluss hatten die Amerikaner Robert S. Kaplan und David P. Norton, die nach zwei Publikationen in Harvard Business Review (1992 und 1993) ihr Konzept im Bestseller „Balanced Scorecard" präsentierten. Eine Balanced Scorecard (BSC, engl. für ausgewogener Berichtsbogen) stellt er sich wie die Instrumente auf der Kapitänsbrücke eines großen Schiffes vor. Sie zeigen, wie im Auto auch, in welchem Zustand das Schiff ist: Wie viel Treibstoff gibt es noch? Wie weit ist es zum Hafen? Wie ist das Wetter? Wird das Schiff gesteuert, dann zeigen die Daten auf den Instrumenten an, wie das Schiff reagiert. „Ich lerne, es zu steuern, wie ich will. Ich bereite mich langsam vor, das Schiff auch in schweren Wassern sicher zu navigieren, indem ich über die Steuerung und die Reaktionen der Messinstrumente langsam ein Gefühl für die See bekomme." Einiges gelingt gut, anderes muss wieder in „Ordnung" gebracht werden. Werden die verschiedenen Sichten immer im Blick behalten, entsteht ein gutes Gefühl für die Balance im Leben: „Ich lerne, mein Leben zu steuern, weil ich ein Gefühl für die Wechselwirkungen und die Zusammenhänge in meinem Leben bekomme."
Auch der Handels- und Managementexperte Bert Martin Ohnemüller nimmt dieses Bild in seinen Publikationen auf: Wer Verantwortung für sich und andere übernimmt, „liefert damit auch Antworten und wird zum Kapitän auf seinem eigenen Schiff. Er bestimmt seinen Lebenskurs mit dem Kompass seines Herzens und wird so zum Vorbild für die Menschen in seinem Umfeld." Auch wenn sich Menschen nur von innen heraus motivieren können, so seine Überzeugung, können sie sich von außen jedoch inspirieren lassen, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, die Perspektive zu wechseln und die "mentalen Landkarten" neu zu schreiben. Wer ein Ziel vor Augen hat, darf sich seinen Weg dorthin bei der Bewegung „entwickeln“, denn es gibt immer Unwägbarkeiten und Unvorhergesehenes. Kleine Ziele und große Träume sind nichts Schlechtes, denn große Ziele sind oft unerreichbar. Die Chance, kleine zu erreichen, ist wesentlich höher – und ein wichtiger Teilerfolg, der den Glauben an sich selbst stärkt und dazu führt, dass das nächste Ziel gesetzt wird (Selbstwirksamkeitsüberzeugung).
Unterwegs begegnen auch Gleichgesinnte und Unterstützer. Die Franzosen sagen an dieser Stelle „Bon courage“. Wer sich eher an das WER als an das WAS hält, ist auch imstande, sich leichter an Veränderungen anzupassen. Wer die richtigen Menschen als Begleiter hat, dem fällt es auch nicht so schwer, die Richtung zu wechseln. Leider verlernen es viele Menschen, ihren inneren Kompass zu nutzen, den Ohnemüller Emotionales Positionierungs System (EPS) nennt und darauf verweist, dass dem GPS im Auto fast blind vertraut wird, aber Skepsis angebracht ist, wenn es darum geht, das eigene EPS zu nutzen, das wir bei unserer Geburt „ohne Aufschlag einfach mitgeliefert bekommen". Jemand, der ein gutes EPS hat und auf der Basis stabiler Selbstsicherheit denkt und handelt, muss sein Ego nicht ständig bedienen.
Gunter Dueck: schwarmdumm. So blöd sind wir nur gemeinsam. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015.
Fredmund Malik: Navigieren in Zeiten des Umbruchs. Die Welt neu denken und gestalten. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2015.
Henning Mankell: Treibsand. Was es heißt, ein Mensch zu sein. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2015.
Bert Martin Ohnemüller: „Raus aus dem Kopf – voll rein ins Herz …“. Gedanken und Interviews für mehr Freude, Erfolg und Erfüllung im Berufs- und Privatleben. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Kindle Edition 2023.
Bert Martin Ohnemüller: Warum wir in der Dekade der Menschlichkeit das Emotionale Positionierungs-System (EPS) brauchen. In: Bauchgefühl im Management. Die Rolle der Intuition in Wirtschaft, Gesellschaft und Sport. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. SpringerGabler Verlag 2021.
Bert Martin Ohnemüller: LEAD SPEAK INSPIRE: Eine Inspirationsquelle für die vor uns liegende "Dekade der Menschlichkeit", die neue Sichtweisen auf Führung, Teams und Unternehmenserfolg fordert. 3. Auflage Frankfurt a. M. 2019.
Bert Martin Ohnemüller: LEAD SPEAK INSPIRE. Inspirationsbuch Zielführende Fragen und Übungen helfen Ihnen Ihr wahres Potenzial im Berufs- und Privatleben zu entfalten. Frankfurt a. M. 1. Auflage Februar 2019.