Innovative Arbeitskultur: Warum immer mehr Unternehmen auf Design Thinking setzen
Viele weltweit führende Unternehmen entwickeln ihre innovativen Produkte und Dienstleistungen mithilfe von Design Thinking, einer systematischen Herangehensweise an komplexe Problemstellungen aus allen Lebensbereichen. Anstelle endloser Diskussionen führen rasch auf einander folgende Iterationsschleifen zu konkreten Ergebnissen.
Die Methode geht unter anderem zurück auf IDEO-Gründer David Kelley. Unterstützt von Hasso Plattner ist sie seit 2005 auch im Lehrplan der Stanford University in Kalifornien etabliert. Hier im Silicon Valley stehen die Professoren jungen Studenten beratend und tätig zur Seite, wenn sie ihre ersten Ideen umsetzen möchten. Der Geist des Silicon Valley ist aber auch geprägt von einer seit Jahrzehnten bestehenden IT-Unternehmenslandschaft, einer hohen Dichte an Kapitalgebern, jungen und mutigen Unternehmern, die den unbedingten Willen haben, Neues zu schaffen und möglichst viel auszuprobieren. Dazu braucht es vor allem kulturelle Qualitäten wie Optimismus, Hartnäckigkeit, die Kultur des Scheiterns, Unternehmergeist, aber auch eine "Just do it"-Haltung.
Am Anfang steht die Suche nach der richtigen Fragestellung für das jeweilige Problem. Wurde die Aufgabenstellung richtig verstanden, wird zur nächsten Phase (Beobachtung) übergegangen. Ist auch das Umfeld hinreichend erforscht, wird eine neue Perspektive eingenommen. Einsicht (Point of View) bedeutet, „neu“ auf das Problem zu sehen und einen neuen Ausgangspunkt für die Ideenfindung zu haben. Deshalb wird im Design Thinking mit interdisziplinären Teams gearbeitet. Die Erkenntnisse werden nicht nur in Form von Tabellen, Berichten und Grafiken dargestellt, sondern zuweilen auch durch das Erzählen von Geschichten (statt Vorlage von „Konzepten“). Schließlich werden die Erkenntnisse aus den ersten Phasen genutzt, um zu neuen Ideen zu gelangen. Dazu werden Vorschläge gesammelt, neue Ansätze entwickelt und Ideen visualisiert. Der gesamte Prozess ist durch eine offene, konstruktive Fehlerkultur geprägt. Nach dem Brainstorming bzw. anderen Formen der Ideensuche re-fokussiert man sich und stimmt über die gesammelten Ideen ab.
Im anschließenden Prototyping werden Ideen begreifbar gemacht und nehmen Gestalt an. Die Perspektiven der Teammitglieder laufen ineinander und verbinden sich zu nachhaltigen Konzepten. Beim Produkttest wird ähnlich wie in der Beobachtungsphase gearbeitet. Wenn alle Elemente integriert und die Eingangsfragen des Design Thinking beantwortet sind, und der Markt das Produkt annimmt, kann von einer gelungenen Innovation gesprochen werden.
Design Thinking-Lösungen müssen technische Machbarkeit und wirtschaftliche Umsetzbarkeit vereinen.
Bei innovativen Unternehmen wie Apple, Amazon oder Google sind diese Denkweisen bereits in der Firmenkultur angelegt. Unter den traditionell etablierten Unternehmen sind u. a. P&G und GE zu nennen, wo Design Thinking beispielsweise dabei helfen konnte, Kindern die Angst vor dem Kernspintomographen zu nehmen. Auch Konzerne wie SAP, Deutsche Telekom, Deutsche Post DHL und Deutsche Bank nutzen diese Methode, um neue Geschäftsmodelle und Produkte zu entwickeln. Automobilhersteller wie Daimler oder Audi nutzen Design Thinking-Methoden zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Mobilitätsdienstleistungen. 2007 wurde die HPI School of Design Thinking in Potsdam gegründet. Hier sehen Design Thinker durch die Nutzerbrille auf das Problem, um gemeinsam innovative Lösungen für Produkte, Dienstleistungen, Prozesse oder Systeme zu finden.
Thinking
Wie sich die Methoden kreativer, interaktiver und interdisziplinärer Teamarbeit zu einer hochproduktiven und innovativen Arbeitskultur fügen, zeigt sich am folgenden Beispiel aus dem deutschen Mittelstand. Als derzeit einziges Unternehmen deutschlandweit deckt die Mader GmbH & Co. KG mit seinem Leistungsspektrum die gesamte „Druckluftstrecke“, von der Erzeugung der Druckluft im Kompressor über deren Aufbereitung und Verteilung bis zur Druckluftanwendung, beispielsweise mit Pneumatik-Zylindern, ab. 2017 fand dort im Rahmen des Strategiemeetings des Führungskreises ein Workshop statt, bei dem Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen involviert waren. Durch verschiedene Design-Thinking-Tools wurden die Bedürfnisse der Mitarbeiter transparent gemacht, und es wurden Maßnahmen zur Steigerung der Mitarbeitermotivation definiert.
Bereichsübergreifende Projekte und Angebote fördern den Austausch und die Kommunikation über „Bereichsgrenzen“ hinweg. Das stärkt eine unternehmerische Denkweise, das Verständnis füreinander und soll gezielt Silodenken verhindern. Design Thinking-Workshops finden bei Mader zu unterschiedlichen Themen statt (Quelle: Mader Nachhaltigkeitsbericht). Einer hieß beispielsweise: „Wie können wir die bereichsübergreifende Kommunikation verbessern“. Die teilnehmenden Mitarbeiter entwickelten zwei Projektideen, die mit einfachsten Mitteln umgesetzt und praktisch getestet wurden. „MINDER“ ist ein einfacher „Marktplatz“ der Ressourcen – hier können Mitarbeiter, die bei bestimmten Projekten oder Aufgaben Unterstützung benötigen, ein „Gesuch“ einstellen. Mitarbeiter, die Ressourcen zur Verfügung haben, z.B. eine konkrete Fähigkeit, können diese hier „anbieten“. Aus dem gleichen Workshop entstand die Idee zum „Tag der offenen Abteilung“, der es allen Mitarbeitern ermöglichen soll, andere Abteilungen zu besuchen und etwas über deren Arbeit zu erfahren. Das Projekt „Stimmungsbarometer“ wurde mit dem Ziel initiiert, die Stimmungslage im Unternehmen mit Hilfe einfachster Mittel transparent zu machen. Auch diese Idee entstand aus einem bereichsübergreifenden Design Thinking-Workshop.
Unter dem Projektnamen „Neues Gebäude“ wurde das erste Change-Projekt umgesetzt, das sich umfassend mit dem Umzug an einen neuen Firmenstandort und der Gestaltung der neuen Arbeitsplätze befasste. Ebenfalls in 2017 startete das Projekt „Strategie Pneumatik“, welches zum Ziel hatte, die Unternehmensstrategie für den Produktbereich Pneumatik zu übersetzen und die Zusammenarbeit innerhalb des Bereichs zu verbessern. 2018 folgte das Projekt „Kommunikation MRO“, bei dem an der Kommunikation innerhalb des Bereichs gearbeitet wurde. Initiiert und beauftragt wurden die Projekte von den jeweiligen Führungskräften, die sich einen „externen“ Blick und Unterstützung bei der Umsetzung der Änderungsvorhaben wünschten. Die Change-Projekte werden hier zum Anlass genommen, aktiv mit agilen Arbeitsmethoden wie Design Thinking, Kanban und Daily Stand-ups zu experimentieren und ihren Einsatz im operativen Geschäft zu erproben.
Weiterführende Informationen:
Robert Kötter, Marius Kursawe: Design Your Life. Dein ganz persönlicher Workshop für leben und Traumjob! Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015.
Visionäre von heute - Gestalter von morgen. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Springer Gabler, Heidelberg, Berlin 2018.