Ist die Zukunft des Handels weiblich?
In den Konsumentinnen von heute zeigt sich noch immer die „stille, triumphale Genugtuung der Sammlerin, die in ihren Korb etwas heimbringt. Daraus ist dieses mysteriöse weibliche Universal der Handtasche entstanden. Ein Mann ohne Speer oder ohne Ball, das geht ja noch, aber eine Frau ohne Handtasche, das ist wider die Natur.“ Sagte der Philosoph Peter Sloterdijk vor einigen Jahren und verwies damit zugleich auf eine Entwicklung, die sich symbolisch an diesem wohl femininsten Accessoire zeigt. Eine Handtasche ist für viele Besitzerinnen heute nicht nur ein Produkt, sondern ein echtes Lebensgefühl. Die intelligente und urbane Frau entscheidet selbstbestimmt, kreiert ihren eigenen Lebens- und Stilmix, der sich auch in Produkten wiederfindet, mit denen sie sich umgibt.
Umfragen der vergangenen Jahre bestätigen, dass Frauen global für 70 Prozent aller Konsumausgaben verantwortlich sind. Täglich werden mehrere hundert emotionale Kaufentscheidungen getroffen - 80 Prozent aller Ge- und Verbrauchsgüter von Frauen. „Vergessen Sie Indien, vergessen Sie China, haben Sie Respekt vor der größten Weltmacht: Frauen“, hieß es bereits in einer Headline in der britischen Zeitschrift Economist vom April 2006.
Der bewussten Konsumentin von heute genügt es allerdings längst nicht mehr, gute Qualität zu einem niedrigen Preis zu kaufen. Das bestätigte auch Gisela Rehm, Marketingleiterin bei Häcker Küchen, in ihrem Vortrag beim Design Trend Forum im April 2019 in Rödinghausen. Beim Küchenkauf entscheiden 85 Prozent der Frauen. Da sie das Geschehen am Markt entscheidend mitbestimmen, möchten sie auch wissen, wo und unter welchen Bedingungen die Produkte hergestellt werden. Jeder einzelne Einkauf ist auch eine Stimme, ein persönliches Statement. „Unternehmen, die sich diesen Herausforderungen nicht rechtzeitig stellen, werden zukünftig nicht mehr wettbewerbsfähig sein“, so Rehm. Junge Frauen sind heute durch Abitur und Studium besser ausgebildet als junge Männer, die in Haupt- und Sonderschulen dominieren. In der neuen Sinnökonomie haben Frauen weitaus bessere Aufstiegschancen, so auch das Fazit der Veranstaltung.
Herzensbildung hat Muskelkraft inzwischen eingeholt. Im Essay „Erfindet euch neu!“ von Michel Serres, einem der letzten großen Philosophen Frankreichs, wird der Siegeszug der Frauen ebenfalls thematisiert: Seit zwei Generationen sind die besten Studenten Frauen. Sie sind fleißiger und besser motiviert. Dieser „Revolution“ wollte er im Zeichen der Gleichheit der Geschlechter eine Reverenz erweisen. Deshalb lautet der Titel dieses Buches im Original „Petite Poucette“.
Führt das Zeitalter der Vernetzung dazu, dass sich die alten Seilschaften und Allianzen der Männer auflösen und sich dadurch mehr Handlungsspielräume für Frauen bieten? Oder ist es ihre Intelligenz der Wandlungsfähigkeit, die mit einem neuen Machtverständnis verbunden ist? Um zu begreifen, weshalb Frauen besonders gern kaufen, und was sie kaufen, ist ein Blick auf ihr Verhalten und das Einbeziehen von Emotionen, die eine besondere Form von Intelligenz haben, notwendig. Deshalb war dies auch ein besonderer Aspekt des Häcker Design Rtrend Forums.
Einfluss auf die Designempfindung und Formwahrnehmung haben auch Geschlechtshormone wie Östrogene und Testosteron, die auf vielfältige Weise auf das Nervensystem einwirken. Der Autismus-Experte Prof. Simon Baron-Cohen bemerkt, dass das männliche und weibliche Gehirn gravierende Unterschiede aufweisen. Das weibliche Gehirn sei ein „E-Gehirn“ („Empathie“). Männer dagegen seien tendenziell „S“-Gehirne („System“). Jeder Mensch ist eine Mischung aus beidem – im Durchschnitt tendieren Männer hin zum „S“-Gehirn und Frauen zum „E“-Gehirn.
Auch wenn häufig um Gleichstellung gerungen wird – Frauen und Männer sind nicht gleich und werden es auch niemals sein. Gravierende Unterschiede zeigen Aussagen aus Studien nach Geschlechtsumwandlungen, auf die Hermann Scherer in seinem Buch „Schatzfinder“ verweist. So sagte eine holländische Frau nach ihrer Geschlechtsumwandlung zum Mann mit Testosteron-Behandlung: „Ich habe Probleme, mich selbst auszudrücken, ich finde nicht die richtigen Worte. Meine Sprache wird direkter, weniger ausgeschmückt. Dafür bin ich euphorischer. Wenn ich durch die Straßen gehe, sehe ich viele Dinge nicht mehr, ich vermisse das gesamtheitliche Bild. Früher konnte ich mehrere Dinge zugleich tun, jetzt muss ich alles nacheinander machen. Meine Fantasie ist stark eingeschränkt. Ich wollte immer ein Mann werden – aber so habe ich mir das nicht gewünscht!“
Erfolg im Handel und in der Küchenbranche bedeutet, einem stimmigen Konzept zu folgen und die Denkmuster der Konsumentinnen genau zu kennen: „Wie tickt die weibliche Klientel, was fühlt sie, welche Elemente müssen eingesetzt werden, um Emotionen bei ihr auszulösen?“, fragte Gisela Rehm in ihrem Vortrag. Mit dem Wissen um die Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozesse der Kundinnen ist es möglich, „dass der Handel sein Angebot bedürfnis- und bedarfsgerecht ausrichtet.“ Durch die technischen Innovationen und die Verschiebung der Mediennutzung kommt es zu einer grundlegenden Neuorientierung. Die medial geprägten und informierten Kundinnen fordern aber auch verstärkt nachhaltige und innovative Konzepte im Handel, denn Sortimente ähneln sich, Marken sind austauschbar. Viele haben ihr Gesicht verloren. Umso größer wird der Hunger nach Sinn und auf das Unverwechselbare.
Weiterführende Informationen:
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.