Ist ein gutes Bauchgefühl auch ein Qualitätsmerkmal für richtige Entscheidungen?
Interview mit dem Fußballschiedsrichter Patrick Ittrich
Patrick Ittrich, geboren 1979 in Hamburg, ist Schiedsrichter für den DFB. Er pfeift in der Bundesliga und der 2. Bundesliga sowie im DFB-Pokal und ist international für die UEFA im Einsatz. Als Polizeibeamter arbeitet er zudem als Handpuppenspieler in der Verkehrserziehung der Polizei Hamburg. Seine sportliche Karriere startete er bei seinem Heimatverein Mümmelmannsberger SV Hamburg, dem er bis heute treu ist. Als erster aktiver Bundesligaschiedsrichter gewährt er in seinem aktuellen Buch „Die richtige Entscheidung“ exklusive Einblicke hinter die Kulissen seiner Arbeit. Er berichtet von Momenten seiner Karriere – von der F-Jugend bis zur Bundesliga, vom Umgang mit Spielern und Trainern und vom Verhältnis zum Publikum. Da die Corona-Krise viele Sportler hart getroffen hat, lässt er die Hälfte seiner Buch-Einnahmen der DFB-Stiftung Sepp Herberger zukommen, die am 20. März 2020 einen Corona-Nothilfefonds für unverschuldet in Not geratene Mitglieder der Fußballfamilie ins Leben gerufen hat.
Herr Ittrich, was braucht es heute, um ein erfolgreicher Schiedsrichter zu sein?
Gesundes Selbstbewusstsein, fachliche Kompetenz, Führungsstärke, Entscheidungen treffen wollen, Ehrgeiz, Souveränität, körperliche Fitness und die Fähigkeit, öffentlichen Druck auszuhalten.
Was ist Ihre wichtigste „Werkzeugkiste“?
Ich habe eine Werkzeugkiste, in der alle Werkzeuge sind. Ich hole mir dann das Werkzeug, das ich brauche.
Wie filtern Sie aus der Flut an Informationen das heraus, was sie für wichtig halten?
Wichtig sind mentale Vorbereitung, Ruhe, Erfahrung, fachliche Sicherheit und die Unterstützung vom Team (Assistenten).
Weshalb braucht ein Schiedsrichter neben der rein fußballerischen Expertise heute auch ein hohes Maß an Sozialkompetenz?
Es geht um Verantwortung für eine ganze Gilde: Man ist Vorbild und hat eine Stimme in der medialen Welt.
Weshalb spielt im Fußball auch das Bauchgefühl eine wichtige Rolle?
Das Bauchgefühl ist für mich das, was man Erfahrung nennt. Es ist aber aufgrund der Überprüfbarkeit wichtiger, sich auf das zu verlassen, was man wirklich sieht. Dafür muss man jeden Tag trainieren.
Inwiefern unterstützt Sie das Bauchgefühl darin, den Instinkt dafür nicht zu verlieren, was richtig ist?
Indem ich versuche, beides perfekt zu paaren.
Welche Entscheidungen in Ihrer Karriere haben Sie aus dem Bauch heraus getroffen?
Einige.
Gab es Situationen, in denen Sie nicht auf Ihren Bauch gehört haben?
Klar und die Ergebnisse waren eher falsch als richtig.
Können Sie Ihr „Bauchgefühl“ beschreiben? Was macht es mit Ihnen?
Es signalisiert mir vor dem Treffen einer Entscheidung, welche genau ich zu treffen habe bzw. welches die bessere Entscheidung ist. Das ist gleichzeitig auch die Gefahr am Bauchgefühl.
Weshalb braucht Bauchgefühl, um treffsicher zu sein, auch Erfahrungswissen?
Bauchgefühl ist, meiner Meinung nach, ein Großteil an Erfahrungswissen.
Mit welchen anderen Begriffen verbinden Sie das Bauchgefühl (gesunder Menschenverstand, Intuition, innere Stimme etc.)?
Genau diese! Vielleicht noch „erster Impuls“. Ein gutes Bauchgefühl kann auch ein Qualitätsmerkmal für Entscheidungen sein.
Kann jemand ein guter Schiedsrichter sein, wenn er nicht auf sein Bauchgefühl hört?
Schwierig, weil das Bauchgefühl für mich mit Erfahrung zu tun hat. Wobei, wenn jede Entscheidung ohne Bauchgefühl richtig getroffen ist, passt es auch. Je nach Typ ist das Bauchgefühl früher oder später ausgereift bzw. da. Wichtig ist nur zu wissen, dass das Bauchgefühl auch falsch sein kann. Ich glaube es gibt niemanden, der mal nicht eine Entscheidung aus dem Bauch heraus getroffen hat. Es gibt nämlich Entscheidungen, die weder schwarz noch weiß sind.
Lässt sich das Bauchgefühl trainieren?
Nein, es meldet sich einfach.
Weiterführende Informationen:
Die richtige Entscheidung: Was wir von Schiedsrichtern lernen können
Patrick Ittrich mit Mats Nickelsen: Die richtige Entscheidung. Warum ich es liebe, Schiedsrichter zu sein. Edel Verlag. Hamburg 2020.