Jamaika: Trauermarsch verdrängt Reggae-Feeling
Die Zukunft in Deutschland beginnt im Stolperschritt: Die künftige Bundesregierung begeht dieselben Fehler wie große Unternehmen. Die Entscheider haben den Kontakt zur Basis verloren und sind zu weit weg vom Marktgeschehen. Diskussionen sind dogmatisch und nicht lösungsorienteiert. Statt an einer großen Vision zu arbeiten, verliert man sich im Klein-Klein. Doch diese Murxerei hat System – in der Politik genau wie in der Wirtschaft. Es geht um den Machterhalt – ob in der eigenen Fraktion oder im Chefsessel. Denn egal ob Vorstandsboss oder Spitzenpolitiker – die Amtszeit währt nur wenige Jahre. Und um eine Verlängerung zu bekommen, setzen beide vor allem auf eine Fehlervermeidungsstrategie. Zu wenig, um die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.
Die Wirtschaft packt gerade an, stellt Strukturen und Prozesse radikal um. Agilität ist das Gebot der Stunde: Kleine interdisziplinäre Teams ersetzen Hierarchien, realistische Teilprojekte eine trügerische Langfristplanung und die Kommunikation verläuft nicht mehr wie ein Wasserfall von oben nach unten, sondern eher wie ein reißender Fluss – schnell und vertikal. Die oberste Chefebene setzt den Rahmen: die Vision. Nur das verschafft uns die Chance, mit Ländern wie China und Singapur mithalten zu können.
Und die Politik? Läuft – oder besser gesagt – hinkt hinterher. Die Sondierungsgespräche sind dafür symptomatisch: Es geht nicht um Lösungen, sondern um Gesichtswahrung, nicht um den großen Wurf, sondern Scheinkompromisse, nicht um Zukunftssicherung, sondern Eigenprofilierung. Wie jahrzehntelang in der Wirtschaft eben. Das große Ganze ist noch in weiter Ferne, aber schon macht man sich Gedanken, wer auf welchem Posten sitzt. Schade! Vor allem deshalb, weil die aktuelle Konstellation aus CDU/ CSU, FDP und den Grünen einmalige Chancen bietet: Vertreter unterschiedlichster politischer Positionen müssen zusammenarbeiten. Interdisziplinärer war nie!
Wieso macht die Politik also nicht auch das, was in inzwischen immer häufiger in agilen Unternehmen umgesetzt wird? Man beginnt damit gemeinsam eine Vision für die Zukunft aufzustellen – und dann geht es Step by Step um die Umsetzung. Doch genau das ist für Außenstehende überhaupt nicht erkennbar. Und wenn immer mehr Bürger das Gefühl haben, dass die Politik – vor allem in der Steuerpolitik – den großen multinationalen Konzernen hinterherläuft, hängt das eben nicht nur mit dem sorgsamen Abwägen von Partikularinteressen in der Demokratie zusammen, sondern eben auch mit Entscheidungsprozessen, die weder hinterfragt wurden noch ansatzweise zeitgemäß sind.
Die Notwendigkeit von lebenslangem Lernen ist ein Mantra, das Politiker gern vor sich her tragen, ohne dabei allerdings auszuführen, wie sie es bei dem Thema selbst halten: Wie oft war Frau Merkel in Silicon Valley? Hat Herr Seehofer einmal drei Monate in Shanghai gelebt? Wie ist es mit den restlichen Mitgliedern des Parlamentes? Wer war lange Zeit im Ausland, weiß wie Entrepreneure, also die Gestalter von morgen, ticken oder hat gar selbst Erfahrungen als Unternehmer, weiß also konkret um die Verantwortung für Mitarbeiter/Bürger?
Wo also steuert Deutschland hin? In ein Land, in dem wir gut und gerne leben. Als gemeinsame Vision, der Wahlkampf, hat es gezeigt, taugt das nur wenig, weil die Bürger eben ganz handfeste, reale Sorgen und Ängste haben. Ob diese begründet oder unbegründet sind, ist dabei zweitrangig. Es muss nur eine übergeordnete Antwort darauf geben, wie man dieser kaum fassbaren und seinen Folgen auch noch gar nicht absehbaren Herausforderung der Globalisierung in all seinen Facetten begegnet. Bildung ist aus meiner Sicht der Schlüssel dafür. Würden wir endlich mehr in die Bildung stecken und wie David Precht und Gerald Hüther es fordern und endlich unsere Schulen und das marode Schulsystem umbauen, dann hätten wir nicht nur weniger Zukunftsängste, sondern auch weniger Probleme – alle Volkswirtschaftler wissen, dass die Produktivität eines Landes kausal mit der Bildung der Bevölkerung zusammen hängt.
Doch dazu müssen auch alle an das gleiche Ziel glauben und gemeinsam Wege finden wollen, es zu erreichen. Im nächsten Schritt braucht es einen Kreis von Menschen, dem es gelingt genau das zu bewerkstelligen. Das wäre die Aufgabe unserer Politiker – statt sich auf das zu beschränken, was leicht zu erfüllen ist.
Stehen wir vor einer Herkulesaufgabe? Sicher. Sie nicht sehen zu wollen, und ständig in den eigenen Grenzen zu denken, ist am Ende ein Weg der für viele in Deutschland in den finanziellen Abgrund führen wird. Dann sind Renten, von denen die Menschen nicht leben können vorprogrammiert und die Wohlstands-Schere wird noch weiter auseinander gehen. Die Anzeichen sind schon da. 20 Prozent der Kinder in Deutschland gelten als arm oder von der Armut bedroht. Ein Skandal, der nicht zum Aufschrei führt?
Wir sind einer der reichsten Industrienationen auf unserem Planeten und wir schaffen es nicht, ein Ausbildungssystem aufzubauen, bei dem jedes Kind mit Freude lernen darf, jedes Kind seine Talente erforschen darf und seine ganze Kreativität einsetzen lernt? Wir schaffen es nicht genügend Professoren anzuziehen und zu halten, damit wichtige Forschungsprojekte hier in Deutschland umgesetzt werden? Wir schaffen es nicht, jeden Klassenraum modern einzurichten?
Wäre das nicht mal ein Anfang? Sich einfach darauf zu konzentrieren den langfristigen Wohlstand durch Bildung zu sichern. Übrigens wissen Firmen das seit langem – wer profitabel werden will, investiert immer in die Ausbildung seiner Mitarbeiter. Das und nur das rechnet sich langfristig. Gibt also einiges, das sich die Politik gerade von der Wirtschaft abschauen kann.