Kann die Digitalisierung einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Wirtschaft leisten?
Mit der Digitalisierung ist es wie mit einem Wasserglas. Für die einen ist es halbvoll und für die anderen halbleer. Getrunken wird es trotzdem.
Die Digitalisierung ist nicht nur positiv und nicht nur negativ. Es ist wichtig, die kritischen Erörterungen dazu ernst zu nehmen, ohne in Alarmismus und Panik zu verfallen. Es geht darum, ihre Rolle zu verstehen, um sie mit entsprechenden Grundkompetenzen richtig und aktiv zu gestalten – zum nachhaltigen Nutzen von Menschen und Umwelt. Auch sollten ihre negativen Auswirkungen begrenzt und Gestaltungsräume aufgezeigt werden, das Geschehen zu beeinflussen und die Dinge in der Hand zu behalten. Das bedeutet allerdings auch, sich rechtzeitig mit Risiken und Auswirkungen zu befassen. Auch kann eine nachhaltige Digitalisierung nur gelingen, wenn darauf vertraut wird, dass sich unser Leben dadurch signifikant verbessert.
Der Sammelband „CSR und Digitalisierung“, der 2021 in 2. Auflage erschien, und das Buch „Über Morgen. Der Zukunftskompass“ von Verena Lütschg zeigen die vielfältigen Facetten dieses komplexen Themas auf. Lütschg fragt, wie wir morgen mit all den neuen Technologien leben wollen, und plädiert ebenfalls dafür, die Chance zu nutzen, unsere Zukunft aktiv mitzugestalten: „Beim Klima, bei Biotechnologien und künstlicher Intelligenz müssen wir jetzt die Weichen für eine technologische Entwicklung zum Wohle aller stellen.“
Beide Publikationen geben Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen, die sich dem Thema Digitalisierung widmen (ethische Implikationen der technologischen Revolutionen, Wünsche und Auswüchse der Selbstoptimierung, Circular Economy, Fortschritte in Medizin, Naturwissenschaften und KI). Auch hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie viel Nachholbedarf es im Bereich Digitalisierung noch gibt und wie essenziell es ist, dass auch der Nachwuchs digital gebildet wird. Viele Unternehmen haben in der Pandemie Verluste verzeichnen müssen, weil es ihre IT nicht zuließ, dass im Homeoffice gearbeitet werden kann. Auch das Schul- und Universitätssystem bekam zu spüren, dass die Erfahrungen mit E-Learning gering sind. Das Neue kam schneller als gedacht, weil sich der Erfahrungsraum in der Krise enorm vergrößert hat.
Bislang beschäftigt es die Unternehmen allerdings nur so weit, wie es ihre Kundinnen und Kunden nachfragen. Die meisten scheuen vor umfassenden Änderungen noch zurück. Es gibt allerdings auch einzelne Vorreiter, die mit ihrer digitalen Kompetenz zur Lösung gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen beitragen wollen. Die IASS-Forscherin Silke Niehoff analysierte in einer Studie, die in der Zeitschrift „Business strategy and the environment" erschien, die Nachhaltigkeitsberichte von 20 Dax-Unternehmen sowie zwölf Interviews mit Unternehmensvertretern, um herauszufinden, mit welchen Nachhaltigkeitszielen und Werten Großunternehmen ihre Digitalisierungsprozesse verbinden.
Die wichtigsten Ergebnisse
Die Unternehmen sind stark auf Kundenanforderungen fokussiert und sehen die Digitalisierung als Möglichkeit, ihr Geschäftsmodell effizienter zu gestalten, ohne es grundlegend zu verändern. Damit reproduzieren sie nicht nachhaltige Wirtschaftsmuster.
Die Erfüllung von Kundenwünschen wird in den Nachhaltigkeitsberichten am häufigsten als Motivation für Digitalisierung genannt.
Der zweite vermuteten Nutzen der Digitalisierung wird unter dem Thema „Optimierung“ zusammengefasst: Die Digitalisierung wird als Instrument zur Weiterentwicklung bestehender Prozesse und zur Verbesserung der Effizienz und Geschwindigkeit bei gleichzeitiger Kostenreduzierung verstanden.
Wenn Umweltkriterien im Vordergrund stehen, kann die Optimierung bestehender Prozesse durchaus zu mehr Nachhaltigkeit beitragen.
Einen über den unmittelbaren Nutzen hinausgehenden Ansatz, der Nachhaltigkeitsfragen ganzheitlich adressiert, haben nur wenige Unternehmen.
Nur drei Prozent der Maßnahmen deuten auf ein „starkes Nachhaltigkeitsweltbild“ hin, 45 Prozent haben ein schwaches und 41 Prozent ein mittleres Nachhaltigkeitsverständnis. Hier leistet Digitalisierung nur einen geringen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit.
Unternehmen, die Digitalisierung als Gestaltungsaufgabe für eine nachhaltige Entwicklung begreifen, könnten anderen Unternehmen als Vorbild dienen, wenn die Sichtbarkeit ihrer Bemühungen erhöht wird.
Weniger nachhaltig ausgerichtete Unternehmen kann die Politik durch Informationsaustausch, Unterstützung und Regulierung ansprechen, um eine nachhaltigere Weltsicht und eine nachhaltige Umsetzung der Unternehmensdigitalisierung zu fördern.
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage, SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2021.
Verena Lütschg: Über Morgen. Der Zukunftskompass. Wie wollen wir in Zukunft leben? Alle wichtigen Technologien auf einen Blick. Wilhelm Heyne Verlag, München 2022.