Wer zu wenig schläft, kann auch nicht mehr vernünftig entscheiden! - Getty Images/Westend61

Karriere im Schlaf: Warum alle erliegen, die den Kürzeren haben

Schlaf kostet Zeit. Und Geld. So der weitverbreitete Irrglaube. Aber wer wenig schläft, kann auch nicht mehr träumen und hat keine Visionen.

„Früher hieß es zwischen Männern: Ich hab den Längeren. Heute sagen sie: Ich habe den Kürzeren – und meinen den Schlaf. Als wäre es ein Zeichen für Stärke und Erfolg, wenn man wenig schläft“, sagte der Chrono-Biologe Till Roenneberg auf einer Podiumsdiskussion im Oktober 2013 im Münchner Arabellapark. Arianna Huffington, die zu Gast war, lachte und fragte in die Runde: „Hat das schon jemand getwittert? Das wird ganz groß.“ Der Wert des Schlafes ist ihr ein wichtiges persönliches und gesellschaftliches Anliegen: 2007 hatte sie ein „Erweckungserlebnis“: Sie saß am Schreibtisch und brach vor Erschöpfung zusammen, wobei sie sich einige unschöne Verletzungen im Gesicht zuzog. Danach habe sie den Schlaf „wiederentdeckt“ und rückblickend erkannt, dass sie die schlechtesten Entscheidungen im Leben getroffen hat, wenn sie zu wenig Schlaf hatte. „Dann stellt man die falschen Leute ein, heiratet die falsche Person.“

In einer Leistungs- und Beschleunigungsgesellschaft, die das Leben nach dem Effektivitätsprinzip ausrichtet, ist Schlafen zum Störfaktor geworden. Es kommt hinzu, dass durch die flexiblen Lebensverhältnisse soziale Bindungen nicht mehr so stabil sind. Es fehlt vielen Menschen eine verlässliche Konstante im Leben. Damit verbunden sind Ängste, die besonders in der Nacht hochkommen. Unser Gehirn ist so konstruiert, dass es ständig Konflikte oder Probleme lösen will – gibt es keine, werden sie „gemacht“. Menschen mit einem ausgeprägten Kontrollbedürfnis schlafen bekanntlich schlechter, weil sie beunruhigt sind, wenn sie den Schlaf nicht steuern können. Auch nicht seinen Bruder, den Tod, den sie sich durch ihre Geschäftsreisen scheinbar vom Leibe halten.

Wie die Träume sind Schlaf und Tod Kinder der Nyx, der aus dem Chaos entstandenen Nachtgöttin der griechischen Mythologie. Wenn der Schlaf über die Menschen kommt, entrückt er sie. Vor 150 Jahren schliefen die meisten Menschen neun bis zehn Stunden. Nach einer Umfrage des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller (BAH) sind es heute nur noch 6,7 Stunden. Die meisten Menschen brauchen sieben bis acht Stunden Schlaf pro Nacht, um am Folgetag ausgeruht zur Arbeit gehen zu können.

Jahrelang haben vor allem Manager ein „Karrierebild“ vermittelt, das sich fest im kollektiven Bewusstsein verankert hat und von vielen als vorbildlich übernommen wurde: Rund um die Uhr arbeiten, keine Zeit zu verschwenden – auch nicht im Schlaf. Es wurden vor allem jene bewundert, die sich damit rühmten, mit dem „kürzeren“ auszukommen, was nicht nur ungesund ist, sondern häufig auch negative Auswirkungen auf das Unternehmen hat. Der US-Schlafforscher Mark Rosekind fand heraus, dass wir 50 Prozent unserer Entscheidungsfähigkeit und 20 Prozent unserer Gedächtnisleistung verlieren, wenn wir nur fünf statt acht Stunden schlafen. Charles Czeisler, Professor an der Harvard University in Cambridge /Massachusetts, bemerkt sogar, dass müde Manager wie Betrunkene handeln. Sie treffen Entscheidungen oft erst spät in der Nacht, wenn die das operative Geschäft erledigt ist oder kehren nach Dienstreisen erschöpft direkt ins Büro zurück: „Ansonsten intelligente und wohlerzogene Manager benehmen sich anders, wenn sie übermüdet sind: Sie beschimpfen ihre Mitarbeiter, treffen unkluge Entscheidungen, die die Zukunft ihres Unternehmens beeinflussen, und halten wirre Vorträge vor ihren Kollegen, den Kunden, der Presse oder den Shareholdern."

Kein Patient würde sich einem alkoholisierten Arzt anvertrauen. Die Mitarbeiter eines Unternehmens, das von einem erschöpften Manager geleitet wird, haben allerdings häufig keine Wahl. Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach unter 517 Top-Entscheidern genügen jedem fünften Manager in Deutschland fünf Stunden Schlaf oder weniger. Thomas Middelhoff, der zu Zeiten der New Economy auch sich selbst gegenüber "High Speed" forderte, genügen drei, vier Stunden Schlaf. „Wenn Thommes nicht arbeitet, verbringt er viel Zeit auf Flughäfen, ist viel im Ausland, oft in London, bei seinem neuen Unternehmen“, sagte einmal ein Vertrauter.

Dr. Dražen Mario Odak, Vorstand und Gesellschafter der Stephan Unternehmens und Personalberatung, wird regelmäßig mit der Frage der Qualität und Effizienz von Mitarbeitern konfrontiert. Seine Erfahrung ist, „dass Qualität und Effizienz viel zu häufig mit der quantitativen Komponente viel Arbeitszeit (= wenig Schlafenszeit) in Verbindung gebracht wird. Mehr oder minder direkt wird in vielen Bewerbungsgesprächen im Managementbereich gefragt, ob man bereit sei, länger, also bis 22/23 Uhr oder auch mal am Wochenende zu arbeiten. Nicht selten wird erst gar nicht gefragt, sondern ein ‚Ja‘ auf diese Frage vorausgesetzt und mit Engagement, Leistungsfähigkeit und Qualität gleichgesetzt. Wir brauchen das Verständnis, dass das Ausruhen und Schlafen ein Teil des erfolgreichen, qualitativen Arbeitsprozesses und damit Komplementärgut zum unternehmerischen Erfolg ist. Wir brauchen mehr ‚Penner‘ im Vorstand und in den Führungsetagen, die eine gesunde Balance zwischen Schlaf und Arbeit, qualitative Spannung und Entspannung vorleben, in ihrer Führungskultur fördern und als betriebswirtschaftliche Erfolgsfaktoren kultivieren.“

Lkw-Fahrer müssen vorgeschriebene Ruhezeiten einhalten, damit sie ihre Fahrzeuge nur in ausgeschlafenem Zustand zum Ziel steuern. Übermüdete Manager können dagegen ein ganzes Unternehmen orientierungslos an die Wand fahren. Benedikt Herles beschreibt das Problem im Zusammenhang seiner Erfahrungen mit Unternehmensberatungen in seinem Buch „Die kaputte Elite“ – er zitiert hier einen Manager, der „High Potentials“ offen mitteilt, dass angeblich „mehr als vier Stunden Schlaf pro Tag reine Gewohnheit“ seien. Erkennungszeichen solcher Wachheitswahnsinniger sind rote Augen im Widerschein ihres aufgeklappten Laptop-Displays, sie arbeiten bis in die Nacht, sind ständig unterwegs und benötigen, um wach zu bleiben, Kannen voller Kaffee, Wein und mitunter Aufputschpillen. Sie lassen sich durch nichts übermannen - vom Schlaf schon gar nicht, weil er Zeit kostet. Und Geld.

Der Preis dafür ist hoch: Wer wenig schläft, kann auch nicht mehr träumen und hat keine Visionen. Und kann Sätze wie die Benedikt Herles nicht verstehen, weil er nicht nur Persönlichkeits-, sondern auch Aufmerksamkeitsdefizite hat: „Von den gestressten Unternehmensberatern, die am Donnerstagabend müde am Münchner Flughafen landen, haben leider nur die wenigsten Zeit, von einer anderen Wirtschaft zu träumen. Sie kalkulieren und prognostizieren, optimieren und analysieren weiter. Sie versuchen mitzuhalten im sich immer schneller drehenden Hamsterrad der globalen Technokraten-Ökonomie. Nur wenige haben verstanden: Abspringen lohnt sich. Für uns alle.“

Wer nicht abspringt, kommt irgendwann geistig und körperlich zum „Erliegen“, denn Schlaf unter fünf Stunden bedeutet, Raubbau mit seinem Körper zu treiben. Die Folge sind Herz-Kreislauf-Störungen, Diabetes und Depressionen. Nachtarbeit und wenig Schlaf machen anfälliger für Übergewicht und Diabetes. Das Gehirn kann die tagsüber gemachten Erfahrungen und aufgenommenen Informationen, die im Zwischenspeicher Hippocampus verarbeitet werden, nachts nicht mehr in den Langzeitspeicher Neokortex weiterleiten. Der Müll aus dem Zwischenspeicher wird nicht mehr entsorgt, um Platz zu schaffen für neue Informationen. Es lagert sich „Giftmüll“ zwischen den Synapsen ein. Reaktionsgeschwindigkeit und Entscheidungsstärke nehmen ab.

Schlafmangel schlägt sich auch auf die Ausstrahlung eines Menschen nieder, führt zu seelischem Ungleichgewicht und fehlender Bewusstheit seiner selbst. Wer nicht schläft, kann seine Gedächtnisinhalte nicht mehr festigen, denn gelernt wird vor allem im Schlaf. Die Aufmerksamkeit kann nicht mehr ungeteilt einer einzigen Sache gewidmet werden. Damit verbunden sind mangelnde Empathie und Leistungseinbrüche. Schlafmangel führt zu Frustration und belastet das Arbeitsklima und zwischenmenschliche Beziehungen. Die persönliche und kollektive Kreativität wird ausgebremst, was dazu führt, dass Innovationen verhindert sowie Qualität und Unternehmenserfolge beeinträchtigt werden.

Qualität, insbesondere in den Bereichen Dienstleistung und Innovation, ist nicht durch (zeitliche) Quantität skalierbar. „Oder wäre es vorstellbar, dass ein Genie mehr Erfindungen produziert, weil es 24 Stunden am Tag arbeitet, ohne zu schlafen?“, sagt Dr. Dražen Mario Odak und schlägt damit eine geistige Brücke zu den „wirklichen Vorbildern“, die sich kaum im Management oder in der Politik finden, sondern in Kunst und Wissenschaft.

Geniale

So waren war Goethe und Einstein bekannte Langschläfer, die sich nicht vor zehn Stunden aus dem Bett bewegten. Der französische Naturwissenschaftler und Philosoph René Descartes schlief gern bis mittags aus. Leonardo da Vinci, Thomas Edison, Winston Churchill und John F. Kennedy hielten regelmäßig Mittagsschlaf. Wenn sich der französische Dichter Saint-Pol-Roux zum Mittagschlaf zurückzog, hängte das Schild an seiner Tür: „Poet bei der Arbeit.“ Aus der US-Basketballliga NBA ist der Satz überliefert, jeder wisse, dass man NBA-Spieler auf keinen Fall um 15 Uhr am Nachmittag anrufen sollte – dann würden sie nämlich ihren Mittagsschlaf halten.

Die Journalistin Maureen Cleave schrieb 1966 im „Evening Standard“ über John Lennon, dass er der wahrscheinlich „faulste Mensch Englands“ sei. Über sich selbst sagte er, dass er zwar geistige Bewegungen wie Schreiben und Lesen liebt, körperlich aber „völlig träge“ sei. Es lockte ihn nur eine „physische Aktivität“: Sex. Auch Udo Jürgens sagte einmal von sich, dass er eigentlich ein fauler Mensch sei.

Mit Faulheit ist hier jedoch nicht der Begriff der sieben Sünden gemeint, aus denen sich alles Übel der Welt speiste. Damit war häufig die Trägheit des Herzens gemeint, die auf den Egoismus des Menschen verwies. „Nichtstun“ bedeutet hier jedoch, (mehr) Zeit für sich zu verwenden, die eigenen Fähigkeiten zu optimieren und kreativ zu sein in der „Schule“ (der Begriff stand im antiken Griechenland für Müßiggang und Nichtstun) des Lebens. Inzwischen bestätigen viele neue Studien, dass Langschläfer nicht faul sind, sondern im Schlaf nachhaltige Kopfarbeit leisten.

Um den Anforderungen moderner Arbeitswelten gewachsen zu sein, müssen auch Unternehmen rechtzeitig reagieren, denn Schlafverzicht ist die "Antithese intelligenten Managements", so Charles Czeisler, Professor an der Harvard Medical School und weltweit einer der renommiertesten Schlafforscher. Stechuhr und ein morgendlicher Arbeitsbeginn immer zur gleichen Zeit ist der Generation Y schwer zu vermitteln, denn die meisten der Digital Natives befinden sich im Flow. Das bedeutet, dass es kreative Freiräume braucht, die durch feste Zeiten und Anwesenheitspflicht eingeschränkt wird. Beispiele aus der Natur bestätigen dies: So kämpfen Eulen morgens gegen Übermüdung, weil "ihre Zeit einfach noch nicht gekommen ist". Vor allem viele Kreative und Innovatoren gehören zu den Spätstartern.

Firmen mit einer nachhaltigen Führungs- und Unternehmenskultur berücksichtigen die Eigen-Zeiten der Kreativen genauso wie Aus-Zeiten für alle Mitarbeiter: So stehen in der Züricher Google-Zentrale bunte Kojen, die auch zum Schlafen genutzt werden können. Der Berliner Spieleerfinder Wooga bietet seinen Mitarbeitern sogenannte „Couchicles“ zum Entspannen. Die memo AG, ein ökologischer Versandhandel, bietet ihren Mitarbeitern zum Wohlbefinden nicht nur einen Naturgarten rund um das Firmengebäude und bei schönem Wetter eine bestuhlte Terrasse zum Entspannen, sondern auch einen Wintergarten mit Sitzgruppen, Sofaecke und einem „ausgefallenen Hängesessel“ (memo Nachhaltigkeitsbericht).

Das Bewusstsein, dass die besten Ideen außerhalb des Büros entstehen, ist in diesen Unternehmen tief verankert. Der österreichische Managementexperte und Autor Ronald Hanisch bestätigt, dass sich die Besten immer wieder aus der täglichen Hektik ausklinken, „um das Spiel von außen zu betrachten. Ganz in Ruhe. Denn nur aus dieser Position können sie erkennen, ob das Timing im Zusammenspiel stimmt. Und nur aus dieser Perspektive können sie die entscheidenden Augenblicke wahrnehmen, in denen Führung wirksam werden kann.“

Weiterführende Literatur:

Ronald Hanisch: Das Ende des Projektmanagements. Wie die Digital Natives die Führung übernehmen und Unternehmen verändern. Linde Verlag GmbH, Wien 2013.

Benedikt Herles: Die kaputte Elite. Ein Schadensbericht aus unseren Chefetagen. Knaus Verlag, München 2013.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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