Kein Amt: Warum bürgerschaftliches Engagement heute unverzichtbar ist
„Die Erde ist freundlich, warum wir eigentlich nicht?“ Heißt es im Song "Stück vom Himmel" von Herbert Grönemeyer, der daran erinnert, dass Nachhaltigkeit und Freundlichkeit zusammengehören. Wer anderen mit Aufmerksamkeit, Respekt und Fürsorge begegnet, verändert auch sein Gehirn. In einer Studie der Berkeley University heißt es, dass der Großteil der Teilnehmer berichtete, mehr Energie zu haben, nachdem sie anderen geholfen hatten. Sie fühlten sich optimistischer, stärker und selbstbewusster und verspürten mehr Gelassenheit. Je regelmäßiger Freundlichkeit praktiziert wird, desto mehr baut sich unser Gehirn entsprechend um. Jeder von uns kann dies wie einen Muskel trainieren, sich selbst in seinem Tun zu verbessern und dafür zu sorgen, dass es nicht bei einem einmaligen Engagement bleibt. Klein und regelmäßig ist oft besser als groß und unbeständig. Das Glücksgefühl, etwas Positives für jemanden getan zu haben, macht alle Beteiligten froh. Die körperlichen und seelischen Auswirkungen verlängern nach Christine Carter, die das Buch „Raising Hapiness“ (2010) schrieb, sogar unser Leben: „Menschen über 55, die sich freiwillig in Organisationen einbringen, haben eine um 44 Prozent verringerte Wahrscheinlichkeit, verfrüht zu sterben. Dieser Effekt ist stärker, als viermal in der Woche Sport zu treiben.“
Freude erzeugt Freude, und aus einer guten Tat werden viele weitere. Zudem ist erwiesen, dass Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und dadurch Anerkennung erhalten, in der Arbeit weniger unter Stress leiden, da sie die Probleme dort als nicht so entscheidend für ihr Wohlbefinden einschätzen. Dass Menschen, die sich ehrenamtlich für andere einsetzen, glücklicher sind, haben auch Wissenschaftler im UN World Happiness Report herausgefunden. Studien bestätigen aber auch, dass Unternehmen, die nachhaltig ausgerichtet sind und sich überdurchschnittlich engagieren, erfolgreicher agieren sowie krisenrobuster und nachweislich profitabler sind: Sie haben weniger Probleme, gutes Personal zu finden, und sie sind besonders innovativ.
Menschen, die sich über das normale Maß hinaus engagieren, sind ein Gewinn für die Gemeinschaft. Ohne sie wäre die Gesellschaft ärmer, weil sie zu einer sinnstiftenden Gestaltung beizutragen und es so manches soziale Angebot gar nicht gäbe. Viele von ihnen möchten das, was sie von der Gesellschaft erhalten haben, auch an sie zurückgeben. Es geht ihnen um ein tätiges, selbstverantwortliches und sozial erfülltes Leben. Davon profitieren alle Bürger der Region – jetzige und nachfolgende Generationen – und am Ende steht eine sozialere und gerechtere Gesellschaft. Als Ulrike Folkerts zusammen mit Peter Maffay 2010 zur Engagement-Botschafterin des Bundesfamilienministeriums benannt wurde, sagte sie, dass es ihr vor allem darum geht, „Zeichen zu setzen, den Menschen zu zeigen, dass sie auch in einer globalisierten Welt nicht ohnmächtig sind. Durch mein persönliches Engagement kann ich etwas gegen das Ohnmachtsgefühl tun. Der Blick auf das eigene Leben wird relativiert, und ich leiste zumindest einen kleinen Beitrag dazu, dass die Welt ein bisschen gerechter wird.“ Menschen mit Herzblut, Kreativität und Macherqualitäten, die sich über das normale Maß hinaus engagieren, sind ein Gewinn für die Gemeinschaft. Ohne sie wäre die Gesellschaft ärmer, weil sie zu einer sinnstiftenden Gestaltung beizutragen und es so manches soziale Angebot gar nicht gäbe. Viele der Menschen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen, möchten das, was sie von der Gesellschaft erhalten haben, auch an sie zurückgeben. Es geht ihnen um ein tätiges, selbstverantwortliches und sozial erfülltes Leben.
Bürgerschaftliches Engagement führt zu einer besseren Vernetzung der Lebenswelten der „Geber“ und der „Nehmer“.
Ehrenamtstätigkeiten tragen zu einem sinnerfüllten Leben bei.
Engagierte Menschen vermitteln ein gesellschaftliches Wertegerüst.
Ein gelungenes bürgerschaftliches Engagement braucht Langfristorientierung und kontinuierliche Kommunikation.
Wer zusammen handeln möchte, muss vorher fähig sein, komplexe Sachverhalte „zusammen" zu denken. Es braucht Synthesen, gemeinsame Entschlüsse, Klarheit, Vertrauen und Tun.
Derzeit durchleben wir einen Paradigmenwechsel vom traditionellen Ehrenamt hin zu einem neuen Verständnis bürgerschaftlichen Engagements, das sich u.a. dadurch äußert, dass die Enquete Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ das traditionelle „Ehrenamt“ als überholt ansieht, weil es aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen nicht mehr vollständig erfasst. Die Kommission plädiert deshalb für einen neuen Begriff der zugleich auch ein neues Selbstverständnis zum Ausdruck bringen soll. „Bürgerschaftliches Engagement“ zeichnet sich aus durch zeitlich befristete Projekttätigkeiten, die in die eigene Biographie passen müssen. Engagierte üben ihre Tätigkeiten längerfristig aus, im Durchschnitt bereits seit neun Jahren. Keine Altersgruppe ist ehrenamtlich engagierter als die 65-Jährigen und Älteren. Auch die körperliche Fitness eines Rentners von heute ist heute – Dank medizinischer Versorgung, gesünderer Ernährung und dem Wandel einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft - im Durchschnitt unvergleichbar höher als vor hundert Jahren.
Der Strukturwandel belegt, dass der Staat an den Grenzen seiner Leistungsfähigkeit angelangt ist. Er trennt sich von Aktivitäten, die er früher freiwillig erbracht hat. Es ergibt sich eine Situation, die das „traditionelle Ehrenamt“ bisher nicht kannte (Bsp. Streichung von Zuwendungen). Ökonomen warnen, dass der Sozialstaat künftig nicht mehr zu finanzieren ist, schon heute wird jeder dritte erwirtschaftete Euro für Sozialleistungen ausgegeben. Das Geld reicht dennoch nicht. Die Überschuldung der Haushalte führt dazu, dass sich der Staat aus immer mehr sozialen Bereichen zurückzieht. Umso wichtiger ist das freiwillige soziale Engagement, das mit Vorteilen für den Staat verbunden ist. Unter der Krise des Ehrenamts leiden vor allem Kommunen und das Vereinswesen. Sogar bei den 940 Tafeln, die in Deutschland 1,4 Millionen Menschen mit Lebensmitteln versorgen, werden freiwillige Helfer knapp. Unsere stark wandelnde Gesellschaft braucht deshalb neue Modelle des Miteinanders und sozialer Verantwortung.
Unserer Art des Arbeitens und des Wirtschaftens fehlt die soziale und fürsorgliche Dimension. Die Krise des Ehrenamts ist ein Indiz.Heribert Prantl
Nur nachhaltige und gesunde Unternehmen können sich Investitionen auch außerhalb ihres Geschäftsauftrags und in soziale und ökologische Projekte leisten - sei es in Form von Spenden oder Unterstützung des sozialen Engagements ihrer Mitarbeiter. Deshalb basiert die geförderte Zivilgesellschaft auch auf stabilen, erfolgreichen Wirtschaftsunternehmen. Die Mader GmbH & Co. KG, die auch zu den Erstunterzeichnern der Initiative „Diversity als Chance – Die Charta der Vielfalt“ gehört, bekennt sich mit der Unterzeichnung zugleich dazu, den Herausforderungen des demografischen Wandels aktiv zu begegnen. Dazu gehört auch - vor allem im Personalbereich – die Förderung und Erhaltung des Mitarbeiter-Engagements. Das Unternehmen aus Leinfelden-Echterdingen stellt hochwertige Pneumatik- und Handhabungstechnik her und ist seit 1936 zuverlässiger Partner der Industrie. Es gehört zu den erfolgreichen mittelständischen Firmen in Baden-Württemberg. „Verantwortung ist einer unserer zentralen Unternehmenswerte. Wir freuen uns besonders, wenn Jugendliche selbst gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und sich engagieren. Da ist es selbstverständlich, dass wir dies unterstützen“, sagt Werner Landhäußer, Gesellschafter der Mader GmbH & Co. KG. Zusammen mit Kollegen übernahm er das Unternehmen 2003 mit einem klassischen MBO aus einem internationalen Konzern. Bis Mitte 2019 war er zudem Geschäftsführer. Die strategische Weiterentwicklung von Mader hin zu einem sozial, ökologisch und ökonomisch erfolgreichen Unternehmen steuerte er mehr als 15 Jahre lang gemeinsam mit Peter Maier, ebenfalls geschäftsführender Gesellschafter bei Mader. Mitte 2018 entschlossen sich die beiden zur Gründung des Start-ups LOOXR, einem Spin-off der Mader GmbH & Co. KG, das die Digitalisierung des gesamten Druckluftprozesses zum Ziel hat. Seine Vision einer nachhaltigen, werteorientierter Unternehmensführung führt er als CEO auch im neuen Unternehmen fort.
Mader unterstützt die Schülerkampagne WOW-Day , dessen Erlöse Waldorf- und Bildungsinitiativen zugutekommen, sowie die Initiative „Mitmachen Ehrensache“ , bei der es darum geht, dass sich Jugendliche selbstständig einen Arbeitgeber ihrer Wahl suchen, auf ihren Lohn verzichten und das Geld jeweils regional ausgewählten "guten Zwecken" spenden. Das sind in der Regel Projekte der Jugendarbeit, die von Jugendlichen selbst ausgewählt werden. Der "Mitmachen Ehrensache"-Aktionstag wendet sich an Schülerinnen und Schüler ab Klasse 7 der allgemeinbildenden Schulen und der beruflichen Schulen in Baden-Württemberg. Besonders engagierte Jugendliche bewerben als sogenannte „Botschafter/innen“ die Aktion und beteiligen sich an der Organisation vor Ort oder auch bei der landesweiten Planung. Gemeinsamer Träger sind die Jugendstiftung Baden-Württemberg und die Stuttgarter Jugendhaus gGmbH, die auch für die landesweite Umsetzung verantwortlich sind. In 22 Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs sowie in einem Landkreis in Bayern wird die Aktion durch regionale öffentliche oder freie Träger der Jugendbildung umgesetzt. Diese haben eigene regionale Aktionsbüros und vernetzen mit der Aktion Schulen, Arbeitgeber und Träger der Jugendarbeit miteinander. Im Jahr 2003 haben die Jugendstiftung Baden-Württemberg und die Stuttgarter Jugendhaus gGmbH die im Jahr 200 gegründete Aktion landesweit umgesetzt und stetig ausgebaut. Heute ist sie die größte regelmäßige freiwillige Beteiligungsaktion für Jugendliche in Baden-Württemberg. Sie suchen sich selbstständig einen Arbeitgeber ihrer Wahl und jobben dort im Vorfeld oder am Internationalen Tag des Ehrenamts. Zugunsten eines regionalen, gemeinnützigen Projekts verzichten sie auf ihren Verdienst.
Andreas Maier, damals Schüler der 8. Klasse am Freihof-Gymnasium in Göppingen, hat dies in die Tat umgesetzt und sich 2011 bei Mader beworben: Er arbeitete einen Tag im Bereich Logistik und das von Mader gezahlte Entgelt floss einem guten Zweck zu. Was blieb, war das Gefühl, etwas Sinnvolles geleistet zu haben. „Da wir das Projekt für beide Seiten für sehr sinnvoll halten, werden wir uns auf jeden Fall auch in Zukunft daran beteiligen“, sagt Stefanie Kästle, heute Mitglied der Geschäftsführung und damals im Unternehmen verantwortlich für Personal, Nachhaltigkeit und Qualitätsmanagement. Das Beispiel zeigt, dass es für ein gelungenes soziales Engagement Langfristigkeit, die Einbeziehung aller Unternehmensbereiche und die Einbindung jedes einzelnen Mitarbeiters braucht. Zudem bestätigen Studien, dass Firmen, die sich überdurchschnittlich engagieren, erfolgreicher agieren: Sie haben weniger Probleme, gutes Personal zu finden. Und sie sind besonders innovativ. Soziales Engagement ist für sie keine "Kür", und erst recht kein reiner Altruismus. „Wir haben so die Möglichkeit, unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden, indem wir ein gemeinnütziges Projekt finanziell unterstützen. Zugleich gewähren wir den Jugendlichen einen Einblick in den Arbeitsalltag und leisten einen Beitrag zur Berufsorientierung“, so Kästle.
Weiterführende Informationen:
Ulrike Böhm: Die Macht der kleinen Schritte. Wie man als mittelständisches Unternehmen zum Klimaretter wird. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
Sebastian Braun: Ehrenamtliches und freiwilliges Engagement im Sport Sportbezogene Sonderauswertung der Freiwilligensurveys von 1999, 2004 und 2009. Köln 2011.
Alexandra Hildebrandt: Kleine Handlungen, große Wirkung. Ganz nah! Wo die Kraft der Gemeinschaft am besten gedeiht. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2016
Alexandra Hildebrandt: TUN! Warum wir Könner brauchen, um die Zukunft meisterlich zu gestalten. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.
Heribert Prantl: Kein Kümmern. In: Süddeutsche Zeitung (14./15.9.2019), S. 5.