Kein Zaubertrank: Was Digitalisierung wirklich ist
Viele Vorstände deutscher Konzerne sparen zwar nicht an großen Worten, wenn es um Digitalisierung geht, doch kennen sie sich oft zu wenig damit aus. Vieles mutet an, als sei Digitalisierung ein „Zaubertrank, der sich nach Belieben anrühren und ausschenken lässt und dann viel Gutes bewirkt … Die Sprechbläschen im Zaubertrank blubbern“, sagte der Journalist Jens Tönnesmann vor einigen Jahren. Das Problem: Viele wissen gar nicht genau, was hier hineingehört oder was er bewirkt. Viele Vorstandsmitglieder haben auch keine Digitalerfahrung, die sich in ihrem Lebenslauf niederschlägt. Schon seit langem wird beklagt, dass sogenannten „Learning Journeys“ ins Silicon Valley zwar optisch verändern, aber innerlich substanzlos bleiben würden. Das betrifft auch die danach eröffneten „Brutstätten“ der Beschleunigung (z.B. Inkubatoren) gerade entdeckter Ideen, die mitunter Feigenblatt-Charakter haben und signalisieren sollen, dass das Unternehmen etwas zum digitalen Wandel beiträgt.
Leider steht die Verteidigung alter Organisationsstrukturen einer nachhaltigen Entwicklung noch immer häufig im Weg.
Damit sich die Digitalisierungseuphorie am Ende nicht als „fauler Zauber“ entpuppt, braucht es zuerst die Anpassung der Organisationsstruktur und der Unternehmensprozesse, da sie viel länger dauern als die Etablierung neuer Technologien. Die digitale Transformation, die nach Roland Berger über die vier Kernhebel „Digitale Daten“, „Automatisierung“, „Vernetzung“ und dem „digitalen Kundenzugang“ wirkt, ist also weit mehr als nur eine technologische Herausforderung. Sie erfordert auch eine kulturelle Transformation. Immer mehr erkennen die Notwendigkeit, den innerbetrieblichen digitalen Transformationsprozess richtig zu meistern. Für die globale Wettbewerbsfähigkeit müssen Veränderungsprozesse strategisch auf allen Ebenen angebunden sein. Entscheidende Impulse und Maßnahmen müssen dabei von der Führungsebene ausgehen.
Es geht heute nicht nur darum, dass die Digitalisierung Unternehmenskulturen beeinflusst, sondern auch, ob diese die digitale Transformation ermöglichen.
Vor allem Traditionsunternehmen und Mittelständler sollten sich fragen, welche Dienstleistungen oder Produkte sie anbieten können und sich über ihren Kern bewusst sein. Im Mittelstand ist zwar ein Bewusstsein für die Notwendigkeit der Digitalisierung vorhanden, doch fehlt es häufig an Entscheidungen. Der Grund dafür ist vor allem mangelndes Wissen über die richtigen Technologien für die jeweilige Markt- und Kundensituation. Interessant ist, dass jene, die die Chancen der Digitalisierung erfolgreich nutzen, oft einen schweren und zuweilen schmerzhaften Weg hinter sich haben. Denn die Verabschiedung von alten Denkmustern ist nicht selbstverständlich und bedeutet einen radikalen Einschnitt in der Unternehmenskultur: weg von standardisierten Geschäften angebotsorientierter Formate, hin zum Dienstleister und Partner und Problemlöser der Kunden.
Dazu gehört auch der Druckluftspezialist Mader in Leinfelden-Echterdingen, wo sich die vier Ebenen Technologie, Mensch, Werte und Vision wechselseitig beeinflussen. Erkennbar ist das auch am Unternehmenswert „Nachhaltigkeit“, der nach der Überarbeitung des WerteCodex im Jahr 2018 auf Wunsch der Mitarbeitenden neu aufgenommen wurde. Ein anderes Beispiel sind die Unternehmenswerte „Begeisterung und Optimismus“ – sie sind die Basis dafür, wie hier alle Beteiligten dem Neuem gegenüberstehen wollen. Mit dieser Haltung und Herangehensweise wird es gelingen, „die Digitalisierung für das Unternehmen und seine Kunden gewinnbringend einzusetzen und auch Hürden auf dem Weg dorthin mit Leichtigkeit zu nehmen“, sagt Stefanie Kästle, Mitglied der Mader-Geschäftsführung.
Für das Unternehmen sind Digitalisierung und Nachhaltigkeit eng miteinander verbunden, weil mithilfe der Digitalisierung zu mehr Nachhaltigkeit beigetragen werden kann – indem der gesamte Druckluftprozess transparenter gestaltet und so die Kunden dabei unterstützt werden, Druckluft effizienter zu erzeugen und zu nutzen. „Gleichzeitig halten wir es für essenziell, die Digitalisierung selbst unter Nachhaltigkeitsaspekten zu betrachten, das heißt Technologien mit ‚Sinn und Verstand‘ einzusetzen“, so Kästle. Das gelingt beispielsweise, indem Kosten und Nutzen in einem großen Kontext abgewogen werden, Technologie nicht um ihrer selbst willen zum Einsatz kommt und die Menschen, die sie nutzen sollen, aktiv eingebunden und gehört werden.
Weiterführende Informationen:
Arndt Borgmeier, Alexander Grohmann, Stefan F. Gross: Smart Services und Internet der Dinge: Geschäftsmodelle, Umsetzung und Best Practices. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München 2017.
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2021.
Jens Tönnesmann: Aus der alten Welt. In: DIE ZEIT (28.9.2017), S. 37.