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Klares Denken, Erkenntnisgewinn und Meinungsbildung: Wie wir immun gegen Unsinn werden

Viele Menschen bilden sich ihre Meinungen auf der Basis von Andeutungen, Gerüchten, Vermutungen und Denkfehlern. Das führt dazu, dass Schwarmdummheit ihren gesunden Menschenverstand überlagert und sie am Ende nicht mehr fähig sind, vernünftig zu denken und am sozialen Leben in dieser Gesellschaft teilzuhaben. Deshalb ist es wichtig, für gesicherte Erkenntnisse und ein gemeinsames Verständnis von Wirklichkeit einzutreten, denn nur auf diesem Fundament können wir unsere Debatten austragen. Leider entfernen wir uns immer mehr davon, denn Tatsachen, Meinungen und Ängste werden vermischt – das schadet nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der Debattenkultur. Das englische Wort für Wahrheit (truth) geht auf den Begriff der Treue und des Vertrauens (trust) zurück. Dass sich in der Debattenkultur jemand einfach darum ohne Eigeninteresse kümmert, ist heute kaum mehr denkbar – deshalb gerät das Richtige oder der gesunde Menschenverstand (der auch die Wahrheit verkörpert und urteilender Verstand ist) zwischen die Fronten. So handeln einige Politiker aus der Reaktion des Volksinstinkts – es geht nicht um gute Entscheidungen, sondern um Wählerstimmen: „Das Hirn soll beweisen, dass der Instinkt richtig lag und liegt. Um Wahrheit geht es dem Instinkt nicht.“ (Gunter Dueck) Wo nur darauf gesetzt wird, wird es gefährlich, weil vor allem die Sehnsucht nach Einfachheit bedient wird.

Das westliche Denken seit der Aufklärung kommt durch Beweise zu gesicherten Erkenntnissen - nicht durch Gerüchte und Hörensagen. Richtige Meinungsbildung ermöglicht fundierte Entscheidungen, fördert Verständnis und verbessert die nachhaltige Zusammenarbeit. In seinem Buch „Immun gegen Unsinn. Wie wir uns eine fundierte Meinung bilden“ zeigt der Journalist, Politik- und Unternehmensberater Thilo Baum, dass professionelle Meinungsbildung trotz Aufklärung und Bildung nach wie vor in der Gesellschaft unterrepräsentiert ist. „Wie das geht, vermittelt uns die Schule nicht – von daher werden gebildete Menschen ebenso Opfer wie ungebildete.“ Es betrifft also nicht nur Menschen, die früher abergläubisch waren und heute Verschwörungsmythen folgen.

Woran Verschwörungsgläubige zu erkennen sind:

  • Falschbehauptungen werden als Fakten und Meinungen ausgegeben (selektive Fakten unterstützen ihre Interpretation der Dinge).

  • Die Ergebnisse ihres „Denkens“ unterliegen dem Bestätigungsfehler („confirmation bias“)

  • Sie verweigern Beweise und fordern Gegenbeweise

  • Ihr Deckmantel: „Ich stelle nur Fragen.“

  • Sie beschimpften und diffamierten ihre Gegner.

  • Ihre Logik können sie nicht widerlegen.

  • Sie gehen nur auf das ein, was in ihr Weltbild passt.

Das gefährdet unsere Demokratie und Rechtsordnung und torpediert die Meinungs- und Willensbildung. Das zeigen auch zahlreiche Beispiele des Herausgeberbandes „Bauchgefühl im Management“. Belegt wird auch hier, dass unsere Meinung häufig auf Irrtümern und Desinformation beruht - und dadurch mitunter unkluge Entscheidungen getroffen werden. Der „naive Realismus“ des eigenen Weltbildes verhindert, das eigene Urteil kritisch zu hinterfragen. Wie stark persönliche Vorlieben und Außenfaktoren auf Entscheidungen einwirken, wird dann nicht wahrgenommen und nicht berücksichtigt. Bauchgefühle allein reichen deshalb nicht immer, auch wenn sie zuweilen geniale Abkürzungen des Denkens sind, die den Kopf schonen und das Gehirn von der Aufgabe, Situationen bis ins Letzte zu durchdenken, entlasten. Den meisten Menschen ist inzwischen bewusst, dass Desinformation eine Gefahr für die demokratische Gesellschaft darstellt. Mit Falschinformationen wird zum Beispiel versucht, Wahlen zu beeinflussen und das Vertrauen in Politik, Parteien und Medien zu untergraben. Dieser Herausforderung müssen sich Politik, Zivilgesellschaft und Medien stellen.

Die zentralen Ergebnisse der Bertelsmann-Studie Verunsicherte Öffentlichkeit im Überblick:

  • Für 84 Prozent der Menschen in Deutschland stellen vorsätzlich verbreitete Falschinformationen im Internet ein großes oder sehr großes Problem für unsere Gesellschaft dar.

  • 81 Prozent sind der Ansicht, dass Desinformation eine Gefahr für die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedeutet.

  • 54 Prozent sagen, das Thema Desinformation bekäme zu wenig Aufmerksamkeit.

  • Über 90 Prozent der Befragten sagen, dass die Absender:innen damit die politische Meinung in der Bevölkerung beeinflussen wollen. Ähnlich hoch sind die Werte für die Beeinflussung des Wahlausgangs (86 Prozent) und die Spaltung der Gesellschaft (84 Prozent).

  • Desinformation werden am häufigsten im Zusammenhang mit umstrittenen und kontroversen Themen, wie Einwanderung, Gesundheit, Krieg und Klimakrise wahrgenommen.

  • Zwei Drittel machen Protest- und Aktivistengruppen verantwortlich, gefolgt von Blogger:innen und Influencer:innen (60 Prozent), ausländischen Regierungen (53 Prozent) sowie Politiker:innen und Parteien in Deutschland (50 Prozent).

  • Jede:r Zweite ist der Auffassung, Desinformation käme gleichermaßen aus dem In- wie aus dem Ausland. Mehr als die Hälfte glauben, dass Desinformation sowohl aus dem rechten als auch dem linken Spektrum verbreitet werde.

  • Die Befragten aus den USA machen häufiger Politiker:innen und Parteien für Desinformation verantwortlich und betrachten das jeweils andere politische Lager als Absender.

Meinungsbildung ist nämlich eine handwerkliche Leistung. Kritisiert werden auch die Schulen, die den Unterschied von Behauptung und Meinung nicht klar vermitteln: „Weil wir den Unterschied zwischen Behauptungen und Meinungen nicht in der Schule lernen und nur eine Minderheit aus Fachleuten die Zusammenhänge kennt, sind weite Teile der Gesellschaft massiv gefährdet.“

Behauptungen lassen sich theoretisch prüfen: Stimmt es? Stimmt es nicht? Baum verweist darauf, dass das Bundesverfassungsgericht zugleich deutlich erklärt, dass nur wahre Behauptungen von der Meinungsäußerung gedeckt sind, Lügen aber nicht. Unwahre Behauptungen hingegen sind niemals von der Meinungsfreiheit gedeckt, denn sie eignen sich nicht für eine qualifizierte Meinungsbildung, die in der Demokratie so wichtig ist. Tatsachenbehauptungen behaupten einen Fakt („Die Sonne scheint.“) und können den Beweis antreten. Wer unzutreffende Tatsachenbehauptungen aufstellt und anderen eine nicht existente Wirklichkeit vorspiegelt, manipuliert die Meinungsbildung. Lügen sind falsche Tatsachenbehauptungen („Hunde sind Fische“) und niemals Meinungen („Hunde sind toll“). Als solche fallen sie nicht unter die Meinungsfreiheit und können kein ernst zu nehmender Teile einer Debatte sein.

Meinungen werden aus dem, was Menschen wissen oder zu wissen glauben, abgeleitet. Eine fundierte Meinung ist nur mit Hilfe zutreffender Informationen möglich. Meinungen sind dann unqualifiziert, wenn ihr Falschinformationen zugrunde liegenlassen, sich nicht belegen oder widerlegen („Das Wetter ist schön“). Für Meinungen können Argumente angeführt werden.

„Denken wir nicht klar, ziehen wir mitunter absurde Schlüsse.“ Thilo Baum

  • Unbelegte Behauptungen, die sich zugleich nicht prüfen lassen, sollten als gegenstandslos betrachtet werden.

  • Klares Denken führt zu klarer Kommunikation.

  • Es braucht die Bereitschaft zur Differenzierung sowie Offenheit für eigene Fehler und Veränderungen, Selbsterkenntnis und Selbstreflexion, Skepsis gegenüber zu einfachen Antworten.

  • Informationen müssen zutreffend eingeordnet werden.

  • Intuition ist ein unbewusstes Werkzeug zum Nachdenken - um sich auf sie zu verlassen, ist es wichtig, sich zuvor mit dem Gegenstand der Entscheidung vertraut gemacht zu haben.

  • Gute Kommunikation ist in erster Linie relevant.

  • Themen sollten auf den Punkt gebracht werden – je nach Kontext und abhängig vom Empfänger.

  • „Prägnant“ bedeutet, etwas so zu formulieren, dass es Menschen unmittelbar verstehen. „Es geht weniger darum, was wir sagen wollen, als vielmehr darum, was ankommen soll.“ (Thilo Baum)

  • Es braucht Qualitätssicherung in der öffentlichen Kommunikation: Wer etwas behauptet, sollte dies belegen.

  • In den öffentlichen Debatten geht es häufig darum, Recht zu behalten.

Wer Recht behält, hat die beste Entscheidung getroffen. Wer aber im Verlauf aufgrund neuer Einsichten seine Meinung ändert, ist nicht glaubwürdig. Dabei sollte der Unterschied zwischen jemandem, der immer Recht hat, und jemandem der häufig irrt, berücksichtigt werden. Denn dieser liegt häufig darin, dass im Gegensatz zum Rechthaber der Irrende seinen Irrtum einsieht. Zuspitzungen und blinder Aktionismus verhindern Lernen und Einsicht. Das führt zu verzerrten Wahrnehmungen: Menschen sind in ihrer eigenen Geschichte gefangen, weil sie durch einen bestimmten Wahrnehmungskorridor, der ihre Welt vereinfacht, Schein-Sicherheiten erhielten. Damit verbunden sind innere Zwiespältigkeit, Voreingenommenheit und selektive Informationsauswahl. Ein solcher „naiver Realismus“ verhindert, das eigene Urteil zu hinterfragen. Auch Experten betrachten – vor allem in Krisensituationen - ihre Weltsicht häufig als gegeben und ihre Entscheidungen, Diagnosen oder Urteile als alternativlos. Thilo Baum verweist darauf, dass es schon für den Philosophen und Wissenschaftstheoretiker Karl Popper (1902–1994) sehr wichtig war, dass sich Thesen widerlegen lassen („Logik der Forschung“) – das gilt auch für Forschende und Wissenschaftler. Denn der Wahrheit lässt sich am ehesten durch die ständige Korrektur von Fehlern nähern.

  • Wann sind Behauptungen oder Äußerungen zulässig?

  • Wie arbeiten Demagogen heute?

  • Welchen Denkfehlern unterliegen Menschen immer wieder?

  • Wie kann Desinformation unterbunden werden?

  • Wie kommen wir zu gesicherten Erkenntnissen? Und woran erkennen wir sie? Was ist der Unterschied zwischen Erkenntnissen und Annahmen?

  • Wie lassen sich Fachinhalte treffend formulieren?

  • Wie lassen sich Fakten von Lügen unterscheiden?

  • Wie kann man sich gegen Fake News immunisieren?

  • Sind Lügen von der Meinungsfreiheit gedeckt?

  • Woran ist Manipulation erkennbar?

  • Wie können wir uns anhand gesicherter Erkenntnisse eine fundierte Meinung bilden? Wie funktioniert professionelle Meinungsbildung?

  • Wie kann Sinn von Unsinn unterschieden werden?

  • Was ist der Unterschied zwischen Tatsachenbehauptungen und Meinungsäußerungen?

  • Wie gelingt es uns, im Dschungel der täglich geäußerten Kommentare und Meinungen nicht den Überblick zu verlieren?

  • Wie machen wir uns immun gegen Unsinn (Gerüchte, falsche Behauptungen und unterschwellige Unterstellungen)?

  • Warum sollten die Vernünftigen die Lügen der Lügner widerlegen?

  • Warum haben Verschwörungserzählungen so viel Erfolg?

  • Wie lässt sich auf effektive Weise herausfinden, was die Wahrheit ist und was falsch?

  • Wie können wir sicher sein, dass etwas stimmt, was wir zu wissen glauben?

  • Thilo Baum: Immun gegen Unsinn. Wie wir uns eine fundierte Meinung bilden. Gabal-Verlag, Offenbach 2024.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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