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Können statt Quote: Was im Arbeitsleben wirklich zählt

Variantenreichtum statt Einheitlichkeit

Verbunden werden mit dem Begriff Vielfalt (Diversity) heute verschiedene Dimensionen wie Perspektive, Kultur, Erfahrungen, Alter, Geschlecht oder Sprache. Die historischen Wurzeln der kulturellen Vielfalt, die Homo sapiens entwickelte, liegen im Pleistozän. Wichtigste Voraussetzung für ihre Entfaltung war die „erste Globalisierung“: die Ausbreitung des anatomisch modernen Menschen in alle Erdteile. Durch die zweite Globalisierung wurde diese transformiert. Ihr Verlust in der dritten Globalisierung verläuft parallel zum Verlust der biologisch-genetischen Vielfalt. Einige Forscher bezeichnen letzteren bereits als das sechste große Artensterben in der Erdgeschichte. Die Parallelität von Artensterben und Sprachensterben in unserer Gegenwart wirft die Frage nach der Beziehung beider Phänomene auf. Das Thema ist detailliert aufgearbeitet im Sammelband „Die Welt im Anthropozän“.

Doch was bedeutet Vielfalt in Unternehmen? Diversity Management ist heute in den meisten Firmen eine Selbstverständlichkeit, denn mit dem demografischen Wandel wird es wieder mehr altersgemischte Teams geben.

Könner brauchen keine Quote

Diversity beschreibt den Bestandteil einer modernen Unternehmensleitkultur, die die Verschiedenheit der betrieblichen Belegschaft nutzt und fördert. Doch es macht einen Unterschied, ob ein Thema von außen „gestellt“ ist oder sich von innen heraus entwickelt und die Organisation wirklich „bewegt“. Hinzu kommt, dass ein Begriff wie Diversity oft leer bleibt, weil er nur mit guten Worten zu unterschiedlichen Haltungen, Kulturen, Meinungen und multikulturellen Teams verbunden ist. Das Allgemeine steht dann über dem Konkreten und die Quote über dem Können.

Was wirklich zählt, ist, was ein Mensch kann und zu tun bereit ist. Wer will als echte Könnerin und echter Könner schon die „Quotenfrau oder den Quotentürken oder den Quotenschwarzen“ (Wolf Lotter) machen? Wer macht, geht ans Werk und ist sich bewusst: Wo es viele Worte gibt, wird ein Thema oft nicht ernst genommen und das Wesentliche verdeckt. „Schaffe net schwätze“, zitiert der Personalexperte und Geschäftsführer der Neumüller Unternehmen, Werner Neumüller, in diesem Zusammenhang häufig den Unternehmer Reinhold Würth, der das berühmte Schrauben-Handelsunternehmen aufgebaut hat. Er spricht damit auch einen Aspekt an, der in der Diversity-Debatte oft vernachlässigt wird: das Familiäre im Sinne einer vertrauten Gemeinschaft, aus der Innovatives und Produktives hervorgebracht wird. In kleineren Teams sind die Dinge überschaubar, hier kann schneller entschieden und gehandelt werden.

Verantwortung hat einen Namen

Werner Neumüller ist ein Freund von Teamarbeit, weil Produkte hier besser entwickelt, gefertigt oder verkauft und administriert werden können. Das sei meist ökonomischer, intellektuell anspruchsvoller und vor allem mit mehr Freude für alle Beteiligten verbunden. Er bevorzugt kleine Entscheidungsgremien oder Einzelpersonen, die nachhaltig und verbindlich Ziele ausgeben. Außerdem hat Verantwortung in kleinen Teams einen Namen. Er ist davon überzeugt, dass Mitarbeiter eher einer Person als einem Gremium vertrauen: „Es muss daher persönlich Verantwortliche geben.“ Auf der funktionalen und operativen Ebene kann nach Ansicht des Personalexperten dann eine Demokratisierung sinnvoll möglich werden. Dem Menschen soll es langfristig gut gehen soll. Das sei für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens essentiell, vor allem in Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels.

Konkret bedeutet das laut Werner Neumüller:

• Arbeitgeber können nicht nur fordern, sondern sollten auch unterstützen, helfen und fördern, denn die Zeit der Kontrolle und des autoritären Führungsstils ist mit der Generation Y und der neuzeitlichen Denkweise zunehmend vorbei.

• Die Leistung und das Können eines jeden Einzelnen sollte – unabhängig von Ausbildung, Alter, Unternehmenszugehörigkeit oder Herkunft – zum zentralen Kriterium gemacht werden.

• Niemand sollte Stereotypen verfallen und andere Menschen in Schemata pressen.

• Wer Diversity im Unternehmen heute ausklammert, kann heute und in Zukunft keine nachhaltig erfolgreichen Geschäfte machen.

• Nicht nur augenblickliches Wohlergehen ist entscheidend, sondern ein Sicherheitsgefühl für die Zukunft – etwa durch Jobsicherheit. Denn Individuen haben ein Recht auf Beschäftigung bis in das Rentenalter.

Verschiedenheit bezüglich Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung, physischen Fähigkeiten oder Religion kann am Arbeitsplatz allerdings auch zu Konflikten führen, die den Betriebsfrieden stören und Innovationen verhindern. Unternehmen müssen sich mit diesen Veränderungen auf eine konstruktive Art und Weise auseinandersetzen.

Im Oktober 2014 unterzeichnete Neumüller die Charta der Vielfalt, die 2006 auf Initiative der Deutschen BP in Zusammenarbeit mit der Daimler AG, der Deutschen Bank und der Deutschen Telekom ins Leben gerufen wurde. Bei Neumüller werden beispielsweise drei ehemalige Auszubildende beschäftigt, die ähnlich leistungsfähig sind wie manch älterer und erfahrener Mitarbeiter. Nur die Arbeitsweisen würden sich unterscheiden, sagt der Geschäftsführer: „Der Jüngere versucht z.B. kreativ mit modernen Arbeitsmitteln und Fleiß sein Ziel zu erreichen, der Erfahrenere eher über bewährte Strategien und langjährige Erfahrung.“ Neumüller versucht beide im Team gleichzustellen und mit ähnlichen Positionen zu versehen und so von den jeweiligen Arbeitsweisen in der Leistung zu profitieren. Er macht seinen Mitarbeitern Angebote, mehr Geld für mehr oder bessere Leistung zu verdienen, ohne sie mit Nachdruck dazu anzuhalten. Jeder kann so größtenteils auf seinen Verdienst und seine berufliche Weiterentwicklung sowie zukünftige Position im Unternehmen selbstbestimmt Einfluss nehmen:

Einige entscheiden sich für ein jeweiliges Mehr und arbeiten engagiert darauf hin; andere definieren sich aus Werten außerhalb des Beruflichen und entscheiden sich für mehr Freizeit: „Eine physische und psychische Entlastung setzt Energie frei, die Mitarbeiter gerne für ihre persönlichen und privaten Belange, aber natürlich auch wieder für die Firma oder ihre Karriere einsetzen können.“

Langjährige ältere Mitarbeiter wurden schon immer mit Ausbildungs- oder Aufsichtstätigkeiten „und nicht in den günstigen Vorruhestand verabschiedet“. Sie verfügen über Erfahrung und Wissen in Bezug auf Verfahren und Techniken, aber auch in Bezug auf Stammkunden und kommunikative Mitarbeiterführung.

Der Personalexperte betont allerdings auch, dass dieser Ansatz für Konzerne eine große Herausforderung darstellt, denn sie leben in einer eher starren Tarifstruktur, in der das Alter, die Berufsjahre und Jahre der Zugehörigkeit wesentlich sind. Dennoch ist er davon überzeugt, dass auch dort über ein intelligentes und leistungsorientiertes Diversity- und Gruppenmanagement sowie der Stärkung kleinerer Einheiten viel erreicht werden kann.

Worauf es heute ankommt, lässt sich auch aus der Diversity-Historie lernen

Die Diversity-Idee begann in den 1960er Jahren in den USA: Sie entwickelte sich aus der alternativen Grassroot-Movement (Graswurzel-Bewegung), deren Ziel (wie bei den Bürgerbewegungen) Chancengleichheit war. Daraus entwickelte sich die heutige Leitkultur. Allerdings sah man damals „noch jeden Grashalm – und nicht den ganzen Rasen“, wie der Publizist Wolf Lotter einmal bemerkte. Das ist zugleich ein entscheidender Aspekt von Diversity: immer auch den Einzelnen mit seiner Persönlichkeit und Unverwechselbarkeit zu sehen und nicht nur „die“ Vielfalt, denn das Atom des Unternehmens ist das Individuum. Wenn darauf zugunsten großer Worte und Publikationen verzichtet wird, ist es auch nicht möglich, die Welt aus der Perspektive anderer Menschen zu sehen und sie besser zu verstehen.

In einer globalen und vernetzten Welt, in der offene Systeme gesteuert werden müssen und Umbau- und Veränderungsarbeit im Fokus stehen, ist dies besonders wichtig. Vor diesem Hintergrund bemühen sich immer mehr Unternehmen um Familienfreundlichkeit, „wollen gutes Personal halten und treffen Maßnahmen, um einem drohenden Fachkräftemangel entgegen zu wirken“, sagt Werner Neumüller. Nachhaltige Personalführung macht für ihn vor allem das aus, was der Mittelstand macht und schon immer gemacht hat: „Mitarbeiter mehr als Familienmitglieder zu sehen“: als Individuen, deren Können in einem überschaubaren und vertrauten Umfeld gewürdigt und gefördert wird.

Weiterführende Literatur:

Wolfgang Haber, Martin Held, Markus Vogt (Hrsg.): Die Welt im Anthropozän. Erkundungen im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Humanität. Oekom Verlag, München 2016.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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