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Kooperieren für die Nachhaltigkeit

Interview mit Dr. Johannes Merck, Chief Corporate Responsibility Officer and Advisor (Otto Group)

Herr Dr. Merck, weshalb wird das „Wie“ heute mehr hinterfragt als das „Ob“ nachhaltiger unternehmerischer Verantwortung?

Weil die ökologische Krise, und dadurch bedingt auch die gesellschaftliche Spaltung, sich weiter zuspitzt und für alle Akteure offensichtlich geworden ist, dass es ein „weiter so“ nicht geben kann. Die Unternehmen müssen ihren Beitrag zur Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaftstätigkeit leisten. Wir müssen die ökologischen Belastungsgrenzen des Planeten respektieren und die Lebensbedingungen für Mensch und Natur erhalten. Das dramatische Artensterben ist ein deutliches Warnsignal. Weder kann der Staat alles regeln, noch reguliert sich der Markt von alleine. Wir brauchen klare Rahmenbedingungen und die Kreativität der Unternehmen selbst, um die Herausforderungen erfolgreich zu meistern. Kooperation und Partnerschaft stimuliert die Kreativität der Unternehmen. Das Bilden von Allianzen hat deshalb neben seinem praktischen Wert auch einen Wert an sich. Es fördert den Zusammenhalt und den ganzheitlichen Blick auf unsere Probleme.

Welche Vor- und Nachteile sind mit den verschieden freiwilligen Kooperationsformen verbunden?

Je weniger unterschiedliche Akteure eine Allianz bilden, desto schlanker sind die Verhandlungsprozesse und desto schneller kann man ins Handeln kommen. Gleichwohl mangelt es solchen Allianzen an Legitimation, da sie die zu lösende Problemlage nur aus einer Perspektive betrachten.

Als Beitrag zur Diskussion über die Notwendigkeit eines Lieferkettengesetzes hat die Otto Group in Zusammenarbeit mit dem Institut für Unternehmensführung und Organisation der Leibniz Universität Hannover eine wissenschaftliche Studie zu Strategien und Erfolgsfaktoren von Nachhaltigkeitskooperationen am Beispiel der Textilindustrie vorgelegt. Welche Kooperationsmodelle haben sich aus Ihrer Sicht bislang bewährt?

Alle in der vorliegenden Studie genannten Kooperationsmodelle haben sich bewährt. Da es sehr unterschiedliche Herausforderungen gibt, braucht es auch unterschiedliche Formen von Allianzen, um ihnen zu begegnen.

Was ist bei der Entscheidung und der Verbindung unterschiedlicher Akteure mit unterschiedlichsten Interessen Ihrer Meinung nach besonders zu beachten?

Wichtig ist, dass es ein klares Commitment bezüglich der zu erreichenden Ziele gibt. Dann müssen eindeutige Regeln der Zusammenarbeit vereinbart werden, damit der Diskurs der sehr unterschiedlichen Partnern qualitativ gut und konstruktiv gestaltet werden kann. Schließlich ist es wichtig, feste Vereinbarungen mit einer hohen Verbindlichkeit zu treffen, an die alle Parteien sich binden, auch wenn die Kompromisslage für den ein oder anderen noch so schwierig ist.

Wo sind die Grenzen der verschiedenen Kooperationstypen?

Auch das hängt unter anderem von dem jeweiligen Gegenstand ab, um den es in der Sache geht. Eine Entscheider-Allianz kann sich zum Thema „Vermeidung von Kinderarbeit“ zwar ein gutes Programm geben, sie wird gleichwohl nicht auf die Akzeptanz stoßen, die sie zur Aktivierung breiter gesellschaftlicher Kräfte braucht, da sie nicht die Sachwalter der Zivilgesellschaft einbezogen hat und damit ein Legitimationsdefizit entsteht.

Was könnten passende Lösungsansätze sein? Welche Kooperationen sind für die Otto Group besonders wichtig und warum?

Die Otto Group hat über 20 Jahre umfangreiche und zumeist postitive Erfahrungen mit den verschiedenen Kooperationsformen gemacht. Im Zeitverlauf sind unsere Kooperationen dabei eher komplexer geworden. Zwar gilt auch heute noch, dass jede Herausforderung ihren spezifischen Kooperationstypen erzeugt. Eine 2°-Initiative zur Durchsetzung von Interessen der Wirtschaft in Richtung „ambitionierte Rahmenbedingungen für den Klimaschutz“ zum Beispiel wird man im Zweifelsfall nicht als Multistakeholder-Initiative (MSI) anlegen. Um sozial und ökologisch hochkomplexe Probleme in der Wertschöpfungskette von Textilien zu lösen, wird man hingegen versuchen, möglichst viele unterschiedliche Sichtweisen, Interessen und Kompetenzen an einen Tisch zu bekommen: Hier bietet sich eine Multistakeholder-Initiaive an. Wir bewerten es als einen großen Fortschritt, dass sich heute im Bündnis für nachhaltige Textilien Wirtschaft, NGOs, Politik, Gewerkschaften und Standardorganisationen zwar kontrovers, aber auch konstruktiv über Fragen verständigen können, die diese Akteure früher durch tiefe ideologische Gräben getrennt hätten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Johannes Merck, Jahrgang 1957, Studium der Geschichts- und Rechtswissenschaften an der FU Berlin. Ab 1985 Tätigkeit beim deutschen Bundestag; 1990 Promotion zum Dr.phil.; seit 1989 bei der Otto Group verantwortlich für die Steuerung aller Nachhaltigkeitsaktivitäten, u.a. als Vice President Corporate Responsibility, Vorstandsvorsitzender der Umweltstiftung Michael Otto, Gründungsgeschäftsführer und heutiger Beiratsvorsitzender der Systain Consulting sowie Kurator der Aid by Trade Foundation. Merck ist seit 2014 Honorarprofessor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE).

Weiterführende Informationen:

Zur Notwendigkeit eines Lieferkettengesetzes: Studie zu freiwilligen Nachhaltigkeitskooperationen

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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