Krank aus Protest: TUIfly Spiegel einer kranken Arbeitswelt?
Wie weit muss eine Unternehmenskultur am Boden liegen, bis sich ganze Belegschaften wie jüngst bei TUIfly verabreden, krank zu feiern? Solch ein kollektiver Frust entsteht nicht über Nacht. Dienst nach Vorschrift werden viele der Beschäftigten bis dahin schon lange gemacht haben. Identifikation mit dem Arbeitgeber? Fehlanzeige! - Die Kunden? Egal! - Der Image-Schaden einer Marke? Was soll’s!
Kollektives Krankfeiern aus Protest ist eine neue Dimension des Streiks. Es gibt hier keinen Rechtsrahmen, in dem über Arbeitskampf abgestimmt wird und Arbeitgeber diese Form der Mitbestimmung dulden müssen. Von wildem Streik ist die Rede. Die in dieser Woche rund 10.000 gestrandeten Passagiere von TUIfly und Air Berlin werden mit höherer Gewalt und einseitig gekündigten Verträgen abgespeist. Es scheint, als ob das Management von der Dreistheit seiner Belegschaft kalt überrascht wurde.
Als die ersten auffällig vielen gelben Scheine Anfang der Woche in der Personalabteilung eintrudelten wurde spekuliert, ob mal wieder die Grippe-Welle zugeschlagen habe. Ja, die Zeit würde passen und es sind in diesen Tagen viele Schniefnasen unterwegs. Jedes größere Unternehmen hat für diese Fälle in seinem Business Continuity Management fein säuberlich Maßnahmen definiert, die greifen und das Business aufrecht halten sollen. Doch schnell wurde beim Blick auf das ganze Land klar, dass es sich hier nicht um eine Häufung echter Erkrankungen handeln kann, sondern um Protest-Kranke. Arbeitnehmer, die scheinbar die Nase gestrichen voll haben.
TUIfly - Spiegel einer erkälteten Arbeitswelt?
Ich erlebe in der Karriereberatung viele extrem frustrierte Angestellte, doch krankfeiern aus Protest kommt nur den wenigsten von ihnen in den Sinn. Zu groß ist die Gefahr, die Quittung durch den Arbeitgeber zu kassieren. Und sie möchten die Kollegen nicht hängen oder die Kunden nicht im Regen stehen lassen. Auch wenn sie bei mir über ihre Chefs und die Arbeitsbedingungen schimpfen, dieser letzte Funke Verantwortungsbewusstsein lässt sie sehr lange zögern und aushalten, bis die Notbremse Krankschreibung gezogen wird.
Diese Sorge scheint bei kollektivem Schulterschluss großer Teile einer Belegschaft nicht zu bestehen. Es sind die Macht und der Schutz der Masse, die Sicherheit für den Einzelnen versprechen.
Warum noch altmodisch in Gewerkschaften organisieren, Urabstimmungen durchführen, Plakate mit Parolen malen und sich im frischen Herbst die Beine vor der Hauptverwaltung in den Bauch stehen, wenn es auch mit Krankschreibung und Lohnfortzahlung gemütlich auf dem heimischen Sofa funktioniert? Ärzte zu finden, die guten Gewissens überlastete Piloten und Flugbegleiter aus dem Verkehr ziehen, das scheint in der heutigen Zeit von gesellschaftlichem Burnout kein großes Problem zu sein. Dieser Gedanke kommt mir erschreckend schnell in den Sinn, wenn ich die letzte Woche betrachte.
Und wie bei jedem Streik sahen wir auch hier wieder das Bild von schwarzen Anzugträgern am großen runden Tisch in Verhandlungen. Wie kommt die Kuh vom Eis und der Mitarbeiter morgen wieder zum Dienst? Im nächsten Bild dann die frohe Botschaft von dreijähriger Standortgarantie und einem Aufschub der Pläne für den Konzernumbau auf unbestimmte Zeit. Was halt so dabei rauskommt, wenn die Basis streikt und sich Gewerkschaften und Management zur Schlichtung treffen. „Ab Montag rechnen wir damit, dass unsere Flieger wieder normal abheben werden“, so die Prognose der sichtlich erleichterten Personalvorständin am Freitag Abend.
Klarheit geben statt Pflaster kleben!
Alles wieder gut? Dem ersten Anschein nach ja - zum Glück der vielen in den Herbsturlaub startenden Deutschen, und sicherlich auch zur Rehabilitation des im Fokus stehenden Managements.
Doch das, was Angestellte wirklich zu solch einem Verhalten ihrem Arbeitgeber gegenüber bewegt, das sitzt aus meiner Erfahrung sehr viel tiefer als die unglücklich verplapperte Ankündigung eines geplanten Zusammenschlusses und die unkonkrete Sorge vor Arbeitsplatzverlust.
Angestellte aus verschiedenen Unternehmen und Branchen berichten mir immer wieder, dass sie nicht mehr verstehen, was da oben geschieht. Dass ihnen die Strategie unklar, oft auch gar nicht bekannt ist. Dass Köpfe in den Führungsriegen alle Nase lang ausgetauscht werden, die Hintergründe von Wechseln sowie die Ziele der Neuen jedoch nicht nach unten kommuniziert werden. Dass viele neue Ideen gesponnen werden, doch die Ressourcen schon für das heutige Tagesgeschäft nicht mehr ausreichen. Dass sich Angst und Unsicherheit breit machen über die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens bis hin zum eigenen kleinen Arbeitsbereich, der Aufgaben und Kompetenzen. Hinzu kommen Resignation und Frust, dass versprochene Veränderung am Ende doch nicht stattfindet, sondern Pläne aus Angst vor zu viel Wandel in den Schubladen versauern oder verabschiedete Entscheidungen ohne Erklärung wieder rückgängig gemacht werden.
Es geht um Klarheit, offene und ehrliche Kommunikation sowie um konsequentes Handeln. Das ist es, was sich viele Angestellte inmitten heutiger Unsicherheit und Angst verursachender Schnelligkeit so sehr wünschen.
Doch auch im Fall TUIfly ist wieder einmal ein Pflaster auf die Wunde geklebt worden, das oberflächlich kurzfristig Heilung verspricht. Garantien über einen Status Quo und die Verschiebung von Entscheidungen. Es scheint gereicht zu haben, um die Wogen zu glätten, doch die Ursachen offsichtlich tiefer Unzufriedenheit in der Mitarbeiterschaft werden damit - zumindest nach außen sichtbar - aus meiner Wahrnehmung nicht angegangen.
Versteht das Management diese neue Art von Streik nicht als Hilferuf und damit auch als echte Chance, in den nächsten Monaten gemeinsam mit Mitarbeitern, Eignern und potenziellen Investoren nicht nur über Strukturen, sondern grundlegend über Veränderung von Kultur, Haltung und Verhalten zu sprechen sowie glaubhaft das folgen zu lassen, was das Unternehmen auf eine andere Entwicklungsstufe hebt, werden in den nächsten Jahren wahrscheinlich keine Pflaster mehr ausreichen.
Nicht der Kostendruck und die Notwendigkeit von Zusammenschlüssen machen Angestellten Angst, sondern der immer noch einer alten Management-Denke geschuldete Umgang hiermit.
Mitarbeiter möchten ernst genommen, gesehen, gehört, informiert und so weit wie möglich in Entscheidungsprozesse integriert werden. Zufällig aus der Presse von Veränderungen zu erfahren, das ist ein Schlag ins Gesicht, befeuert Misstrauen, Angst, Dienst nach Vorschrift und wie in diesem Fall unberechenbaren Widerstand.
Ob Dax-Konzern, öffentlicher Dienst oder Mittelständler um die Ecke: Klarheit und Echtheit im Verhalten sowie eine hierzu stimmige Kommunikation von Management, Führungskräften und jedem einzelnen Mitarbeiter sind aus meiner Sicht die entscheidenden Schlüssel, um derart fixe Ideen wie kollektives Krankfeiern aus Protest in den Köpfen motivierter Mitarbeiter in Zukunft erst gar nicht entstehen und Arbeit wieder ein ganzes Stück leichter und damit gesünder werden zu lassen.
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