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Krisenbewältigung braucht Vorsorge

Naturkatastrophen, Klimawandel, Pandemie, Verletzlichkeit, global verknüpfte Lebenswelten - jede Krise ist für sich allein schon eine enorme Herausforderung. Doch die Ereignisse stehen nicht isoliert, sondern interagieren und verstärken sich gegenseitig.

Es geht heute vor allem darum, Risiken zu akzeptieren und informiert und richtig mit ihnen umzugehen. Als uns im März 2019 Covid-19 traf, wusste niemand etwas, aber es musste mit dem vorhandenen Wissen entschieden werden. „Da unser Wissen immer auf den Erfahrungen der Vergangenheit basiert, sind wir für unerwartete Wendungen oft blind. Angesichts des Neuen kann nur mit Schätzungen, Vergleichen und Szenarien gearbeitet werden“, schreibt der Personalexperte und Autor Werner Neumüller im Kontext des Themas Bauchgefühl in Krisenzeiten.

Häufig wachsen sie über einen längeren Zeitraum im Dunkeln heran. Und dann brechen sie aus wie eine Sturmflut, ein Blitzeinschlag oder ein Erdbeben. Dabei ist vieles vorhersagbar. Dass viele Menschen dennoch bei Krisenereignissen überrascht sind, liegt möglicherweise daran, dass die Zukunft gern als Verlängerung der Gegenwart gesehen und Wandel ausgeblendet wird - vor allem, wenn er unangenehm ist und Veränderungen des eigenen Verhaltens bedeuten. Dadurch können Krisen unbemerkt heranwachsen. Wenn sie dann plötzlich ausbrechen, löst dies Ohnmachtsgefühle vor allem bei jenen aus, die zuvor den Verdrängungsmechanismus eingeschaltet haben. Viele Menschen geraten dann auch an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Während der COVID19-Pandemie arbeiteten die Gesundheitssysteme am Limit, Volkswirtschaften gerieten ins Wanken und der soziale Zusammenhalt stand vor einer Bewährungsprobe. Das Krisenmanagement erschien im Umgang mit der Corona-Krise häufig machtlos. Es gab zwar vielerorts Pläne, was zu tun ist, doch die waren größtenteils unzureichend. Denn es gab keine Blaupausen dafür, wie eine komplexe Gesellschaft mit all ihren Anforderungen und Akteuren sicher durch eine solche Krise zu navigieren ist.

Mit diesen Aspekten waren viele Unternehmen und Organisationen konfrontiert:

  • unklare Lagebilder

  • hoher Zeitdruck

  • mangelnde Routinen

  • Koordinationsprobleme

  • komplizierte Rechtslagen

  • langwierige Entscheidungsprozesse

  • fehlende Maßnahmen der Krisenvorsorge und Prävention.

  • Nachhaltigkeit und Resilienz: Lehren aus der Krise.

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Karlsruhe hat dazu kürzlich im Auftrag des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) vorgelegt, die auch auffordert, Indikatoren für Resilienz in die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie mit einzubeziehen. Es ging um die Frage, welche Lehren im Bereich Resilienz aus der Pandemie gezogen werden und in die Nachhaltigkeitsgovernance integriert werden können. Es wurde untersucht, wie immer mehr Regierungen und internationale Organisationen wie das Büro für Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen Resilienzansätze nutzen, um im Umgang mit den Folgen von Klimawandel, dem Verlust von Biodiversität sowie anderen globalen Risiken Maßnahmen zu planen und Fortschritte zu überwachen.

  • Die Akteure müssen lernfähig sein, Neues ausprobieren, ein Scheitern muss explizit einkalkuliert, akzeptiert und juristisch abgesichert werden.

  • Eine Stärkung der systemischen Anpassungsfähigkeit ist nur durch eine aktive Förderung dezentraler Organisations- und Beteiligungsformen möglich. In großen Organisationen bedeutet dies, den einzelnen Abteilungen und Mitarbeitenden eine weitreichende Entscheidungskompetenz zuzuweisen.

  • Krisen fallen härter aus, wenn Staat und Gesellschaft keine Vorsorge treffen.

  • Politik und Gesellschaft müssen lernen, dass es keinen vorgegeben Weg aus einer Krise gibt und ein Flickenteppich an Lösungen auch durchaus effektiv sein kann.

  • Wissenschaftsbasierte Politikberatung muss Mainstream werden. Dazu müssen Politik und Verwaltung über alle Ressorts und Ebenen hinweg in die Lage versetzt werden, verfügbares Wissen über mögliche Zukünfte richtig einzuordnen und dann auch anzuwenden. Es geht um die Fähigkeit, in einer dynamischen und von Unsicherheit geprägten Welt aus einer exponentiell zunehmenden Menge an Daten die relevanten Informationen herauszufiltern, um auch komplexe Zusammenhänge zu erkennen.

  • Um einen schnellen „bounce back“ nach einer Krise zu ermöglichen, kann die Politik frühzeitig die Robustheit der bestehenden Strukturen fördern (z.B. Steigerung der Widerstandsfähigkeit von Infrastrukturen gegenüber Naturgefahren durch regulatorische Vorgaben).

  • Es ist wichtig den Begriff Resilienz auch in Richtung Agilität und Anpassungsfähigkeit zu verstehen. Resilienz-Konzepte können auch genutzt werden, um Systeme und deren Verhalten gegenüber Schocks und Störungen zu analysieren. Je schneller das betroffene System seine normale Funktionsweise zurückerlangt, desto resilienter ist es („Fähigkeit zum bounce back“). Der „bounce forward“ gilt als erweiterter Resilienzbegriff, bei dem die Fähigkeit im Fokus steht, langfristig zu überleben und zu prosperieren. Ziel ist nicht die Rückkehr in den Systemzustand vor einem Schockereignis, sondern eine kontinuierliche Anpassung unter sich verändernden Umweltbedingungen. Dadurch wird der bounce forward möglich – und das System wird nach einer Krise noch leistungsfähiger und nachhaltiger als zuvor.

  • Aufgabe des Staates könnte es sein, solche Experimente in der Zivilgesellschaft zunächst im Kleinen zuzulassen, zu fördern, zu vernetzen und von rechtlichen Hürden zu befreien.

  • Nur aus einer System-Perspektive lassen sich die Mechanismen großer Krisen verstehen.

  • Die Zivilgesellschaft sollte in die Lösungsfindung und Umsetzung eingebunden werden.

Zur Widerstands- und Anpassungsfähigkeit in Krisen gehören nicht nur Finanzmittel, Produktionskapazitäten oder Infrastruktur, sondern auch immaterielle Ressourcen wie spezifische Wissensformen, Kreativität, Sozialkapital und Diversität. Durch kulturelle Vielfalt sowie möglichst unterschiedliche Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements entstünden auch jeweils eigene Fähigkeiten und Erfahrungen im Umgang mit Krisen.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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